Der Rosenheimer Anzeiger vom 26. und 27. April 1924
Buben verüben „Eisenbahnattentat“ bei Trostberg, Einbruch in Rosenheim und Maifeiern-Verbot
Wieder einmal schauen wir an diesem Samstag ins Zeitungsarchiv: Was berichteten unsere Kollegen vor 100 Jahren? Blickt mit uns in die Ausgabe des Rosenheimer Anzeigers vom 26. und 27. April 1924:
Rosenheim - „Noch ist das letzte Eisenbahnattentat bei Kaltenbrunn im vorigen Jahre trotz hoher ausgesetzter Belohnung nicht geklärt, so ist schon wieder von einem solchen zu berichten“, schreibt die Zeitung an jenem Tag, „Oberhalb der Fabrik, in Nähe Nock, wo der Zug fast direkt neben der Alz fährt, war gestern mittags eine Winkellatsche auf d as Geleise gelegt worden und nur der Aufmerksamkeit des Lokomotivführers, der im letzten Moment noch schnell bremste, war es zu verdanken, daß schließlich ein Unglück vereitelt wurde, da fast die Lokomotive schon au dem Geleise gehoben war. Angesichts der hochgehenden Alz hätte bei einer Entgleisung ein schreckliches Unglück geschehen können, da der Zug von der Primiz von Daumburg her gut besetzt war. Wie wir noch hören, sollen die Attentäter drei Buben im Alter von 10 bis 12 Jahren sein und hoffentlich gelingt deren Habhaftmachung bald.“
„Im vierten Stock eines Hauses an der Münchenerstraße wurde vorgestern vormittag ein frecher Einbruch verübt. Der Dieb sprengte während der kurzen Abwesenheit der Bewohner das Vorhängschlotz der Türe ab und entwendete zwei neue Knabenanzüge und eine goldene Uhr samt Kette“, heißt es in einem weiteren Artikel. „Der Polizeibericht meldet dazu: ‚Aus einer Dachkammer eines Anwesens in der Münchenerstraße wurde ein dunkelbrauner Anzug. eine Streifhose sowie eine goldene Herrenuhr mit Doublekette gestohlen. Die Uhr, welche der Täter bereits verkauft hatte, konnte wieder beigebracht werden. Täter ist ein angeblicher Franz Albert Prinz aus Berlin .“
Der Rosenheimer Anzeiger vom 26. und 27. April 1924: Buben verüben „Eisenbahnattentat“ bei Trostberg, Einbruch in Rosenheim und Maifeiern-Verbot
Doch es gibt auch gute Nachrichten: „In einer von den Vertretern des selbständigen Kaufmannstandes sehr gut besuchten Versammlung bei Grabichler wurde gestern abend die Neubelebung des Kaufmännischen Vereins Rosenheim beschlossen. Der bisherige Vorsitzende, Herr Bankdircktor Beßtler, gab dabei einen Rückblick auf die Geschichte des schon drei Dezennien bestehenden Vereins, der in den Zeiten vor dem Kriege auf gesellschaftlichem uild fachlichem Gebiete eine bedeutende Rolle im Leben unserer Stadt gespielt hat. Dabei wurde dankbar der Verdienste des unvergeßlichen Gründers, Förderers und Vorsitzenden, Herrn Kommerzienrat Senft, gedacht. In den letzten Jahren sei der Verein ein Opfer der Zeitumstände geworden. Vor einiger Zeit sei jedoch das Bedürfnis nach Wiedererweckung des Vereins stärker geworden und man habe die Versammlung einberufen, um sich über das weitere Geschick des Vereins schlüssig zu werden.“
„Herr Fabrikant Seifert begrüßte die Wiederbelebung des Vereins, wünschte aber, daß dieses Beginnen keine Spitze gegen die seit Jahren erfolgreich wirkende Aseru bedeuten soll. Nach kurzer Aussprache votierten sämtliche an wesenden Mitglieder des alten Kaufmännischen Vereins für dessen Fortbestehen. Die anwesenden übrigen Herrschaften erklärten einhellig ihren Beitritt zum Verein. Die Wahlen ergaben Herrn Kaufmann Hans Senft als ersten, Herrn Direktor Degen als zweiten Vorsitzenden. Die übrigen Ausschußämter sind folgend besetzt: Schriftführer Adolf Schweickart, Kassier Franz Reisser, Beisitzer Buchhändler Bensegger und Bankdirektor Lenze. Die neuen Satzungen wurden durchberaten und genehmigt. Herr Bankdirektor Beßtler wurde in Anbetracht seiner Verdienste um den alten Verein zum Ehrenmitglied ernannt. Die besten Wünsche geleiteten den Verein in die neue Aera.“ Damit ist heuer ein Doppel-Jubiläum zu verzeichnen, denn 1949, vor 75 Jahren, gründete sich der Wirtschaftliche Verband erneut.
Lustige Witwe kommt
Gleichzeitig gibt es schlechte Nachrichten für die Planer von Maifeiern: „Das Ministerium des Innern veröffentlicht heute einen Erlaß zum 1. Mai, der im wesentlichen die Bestim mungen vom Vorjahr aufrechterhält, aber darüber hinaus Heuer politische Versammlungen und Auszüge unter freiem Himmel überhaupt verbietet. Auch sonstige Maifeiern dürfen nicht unter freiem Himmel abgehalten werden und die Polizeibehörden sind zu strengem Vorgehen angewiesen. Strenge Strafen bedrohen Ueberschreitungen“, heißt es. Die Gründe sind in den turbulenten Umständen jener Jahre zu finden, erst im Vorjahr 1923 hatte der „Hitler-Putsch“ stattgefunden und die nachfolgenden Prozesse laufen zu diesem Zeitpunkt noch.Doch es gibt natürlich auch heitere Nachrichten: Wie das OVB weiter schreibt, sei die Rosenheimer „Spiel ohne Grenzen“-Mannschaft inzwischen in Rheinhausen eingetroffen. „Die beiden Trainer Richard Horner und Herbert Kauer sind schon seit Tagen in Rheinhausen, um beim Aufbau der Spiele zu ‚spionieren‘. Die telefonischen ‚Spionageergebnisse‘ hatten in den letzten Tagen der Vorbereitung noch einmal eifrigste Aktivität entfacht. Die Rückschlüsse der Beobachter, von welcher Art denn nun die Spiele am Sonntagnachmittag sein könnten, beeinflußten die letzten Trainingsstunden, von denen die Sportler aus den Rosenheimer Vereinen an die 30 absolvierten.“
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Schließlich, die Werbung: „Wir zahlen Belohnung - und erbitten ihre Mithilfe“ heißt es in der Annonce der „Kukirol-Fabrik Groß-Salze bei Magdeburg“. Kurz gesagt konnte sich gegen Belohnung melden, wem in einer Apotheke oder Drogerei nicht die Produkte des Unternehmens auf Wunsch verkauft wurden. Gratis Kostproben verspricht unterdessen ein Herd-Hersteller, der zu eienm „Vortag: Backen mit Heißluft“ einlädt. Eine riesige Anzeige verspricht schließlich „DIe lustige Witwe kommt!“ - Gemeint ist die gleichnamige Oper.
hs