Der „Rosenheimer Anzeiger“ und der „Wendelstein“ vom 16. März 1899
Der „Anzeiger“ beklagt „unverantwortlichen Leichtsinn“ eines Unfallopfers und ein Radium-Vortrag
Wieder einmal schauen wir an diesem Samstag ins Zeitungsarchiv: Was berichteten unsere Kollegen vor 125 Jahren? Blickt mit uns in die Ausgaben des „Rosenheimer Anzeigers“ und des „Wendelstein“ vom 16. März 1899:
Rosenheim - „Vorgestern Morgens 5 Uhr kam auf bis jetzt noch unbekannte Weise im Ökonomiegebäude des Herrn Spediteur J. Niedermaier in Endorf ein Feuer aus, welches auf seinen Herd beschränkt werden konnte“, berichtet der „Anzeiger“, „Die Ortsfeuerwehr und die rasch zur Hilfe herbeigeeilten Nachbarfeuerwehren hatten mit Aufwendung aller Kraft gearbeitet und konnten das an das Ökonomiegebäude anstoßende Wohnhaus retten. Der Besitzer ist sehr wenig versichert, der Schaden jedoch ein beträchtlicher.“
Auch einen weiteren Unglücksfall hat der „Anzeiger“ zu berichten: „Der Maurer Franz Oberbauer von Aschau bei Kraiburg [wollte] in der Nähe der Station Gars trotz geschlossener Barriere den Bahnkörper überschreiten, fiel jedoch mitten auf dem Geleise zu Boden und wurde von dem daherbrausenden Personenzug erfasst und überfahren. Der Zug wurde sofort zum Stehen gebracht, worauf ein sich zufällig im Zuge befindlicher Geistlicher dem Verunglückten die Generalabsolution erteilte. Leider konnte derselbe trotz sofortiger ärztlicher Hilfe dem Leben nicht mehr erhalten bleiben, sondern starb bereits nach einer Stunde; er war bis zum letzten Augenblicke bei vollständiger Besinnung.“ Die Zeitung mahnt Ihre Leser: „Möge doch dieser Fall allen Jenen zur Warnung dienen, die gleich dem Verlebten in unverantwortlichem Leichtsinn das Geleise noch zu überschreiten suchen, wenn der Zug bereits in Sicht ist.“
Der „Rosenheimer Anzeiger“ und der „Wendelstein“ vom 16. März 1899: Der „Anzeiger“ beklagt „unverantwortlichen Leichtsinn“ eines Unfallopfers und ein Radium-Vortrag
„Vor mehreren Tagen zechten zwei Schreinergehilfen in einer hiesigen Wirtschaft den ganzen Tag, bis sie total betrunken waren. In diesem Zustande suchten dieselben ihren Meister auf und stürmten auf diesen in exzessivster Weise ein“, berichtet wiederum der „Wendelstein“ aus Rosenheim, „Die Situation, in welcher derselbe den rabiaten Gesellen gegenüber sich befand, war nicht ungefährlich. Die Polizei machte der widerlichen Szene ein Ende. Die Rohlinge, welche der Festnahme energischen Widerstand entgegensetzten, wurden verhaftet.“
Weiterhin berichtet die Zeitung über königliches Wohlwollen für die Stadt: „Auf das von der Festversammlung im ‚Deutschen Kaiser‘ abgesandtes Huldigungstelegramm an Seine Königliche Hoheit den Prinz-Regenten ist sorgende telegraphische Antwort eingelaufen: ‚Herrn Bürgermeister Wüst, Rosenheim. Seine Königliche Hoheit der Prinzregent lassen allen Beteiligten für die anlässlich des Allerhöchsten Geburtstagsfest und der Centenarsfeier des Königlichen Hauses der festlichem Mahle zum Ausdrucke gebrachten Gefühle treuester Anhänglichkeit, über welche Allerhöchstdieselben aufrichtige Freude und Genugtuung empfunden haben Ihren huldvollsten Dank entbieten.“
Fachvortrag angesichts von Strahlungsbegeisterung
In einer großen Annonce im „Anzeiger“ lädt wiederum der Kaufmännische Verein zu einem „Experimental-Vortrag“ des Physikers „Herrn Caroli aus München“. Inhalt sei „Kathodenstrahlen, Fluorescens-Erscheinungen, Röntgenstrahlen, Telegraphie ohne Draht und so weiter.“ Man sehe „einem zahlreichen Besuche Seitens der Herren Mitglieder samt Angehörigen, sowie der verehrlichen Einwohnerschaft [...] entgegen“, so die Vorstandschaft des Vereins. Das kommt nicht von ungefähr. Ein Jahr 1898 hatte das Ehepaar Curie ihre Forschungsergebnisse zur Entdeckung der Radioaktivität vorgestellt.
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Radiumverbindungen galten zunächst als relativ harmlos oder gar gesundheitsfördernd und wurden in den Vereinigten Staaten und Europa als Medikament gegen eine Vielzahl von Leiden beworben oder als Zusatz in Produkten verarbeitet, die im Dunkeln leuchteten. Wer gute Englischkenntnisse hat, kann sich hier in zwei Folgen des Podcasts „Behind the Bastards“ in zwei Folgen die ärgsten Auswüchse dieses Phänomens anhören.
hs