Der „Rosenheimer Anzeiger“ vom 2. Dezember 1873
Post für den „Anzeiger“, Warnung vor Brasilien und drakonische Strafen für Landstreicher
Wieder einmal schauen wir an diesem Samstag ins Zeitungsarchiv: Was berichteten unsere Kollegen vor 150 Jahren? Blickt mit uns in die Ausgabe des „Rosenheimer Anzeigers“ vom 2. Dezember 1873:
Rosenheim - „Sie haben nun schon mehrere Male Leitartikel über die Teuerung der Lebensmittel gebracht, offenbar in der Absicht, diesen namentlich den Minderbemittelten und vorzüglich der Arbeiterklasse sehr fühlbaren Missstand in irgendeiner Weise beseitigen zu helfen. Allein glaube ich nicht, dass Sie in Ihren bisherigen Artikeln das Richtige getroffen haben, auch dürfte der Anzeiger als Lokalblatt nicht der richtige Platz sein, um in denselben so dringende Wünsche auf Abänderung der bestehenden Gesetzgebung an den Mann zu bringen“, beginnt ein Leserbrief, den der Anzeiger an diesem Tag prominent an erster Stelle auf seiner Titelseite abdruckt. Er bezieht sich damit auf Artikel wie den, welchen wir in einer vorherigen Ausgabe dieses Formats schon besprochen haben.
„Die Redaktion ist gerade nicht dieser Ansicht, da allgemeine Kalamitäten auch in jeder Weise besprochen werden sollten“, erwidert die Redaktion des „Anzeigers“, „Was übrigens die Wünsche auf Abänderung der bestehenden Gesetze betrifft, so kann und soll darüber wohl jedes Lokalblatt schreiben, weil eben dadurch auch die königliche Regierung, die ja von jedem Blatte das Pflichtexemplar bezieht, am besten die Stimmung des Volkes kennenlernt.“ Der Leser fordert dann in seiner Zuschrift weiter, dass die Regierung und insbesondere die Staatsanwaltscfhaft verstärkt gegen durch die Lebensmittelteuerungen überhand nehmenden Fälschungen und Streckungen von Lebensmitteln vorzugehen. Prominent sei dies etwa bei Butter, die durch minderwerrtigeres Fett ersetzt oder gestreckt würde.
Warnung vor Brasilien und drakonische Strafen für Landstreicher
„Das Reichskanzleramt hat neuerlich wieder Veranlassung genommen, auf Grund eingelaufener amtlicher Berichte die verbündeten Regierungen einzuladen,. ihre Staatsangehörigen ernstlich vor der Auswanderung nach den südamerikanischen Staaten, insbesondere auch nach Brasilien zu warnen“, heißt es dann in einer Meldung aus der Rubrik „Politische Umkschau“, „Die Werbungen, welche durch gewissenlose Agenten in Deutschland nach dieser Richtung betätigt werden, bringen leider immer noch neue Opfer nach diesen Ländern, welche durch ihr Klima, durch ihre Bodenbeschaffenheit, durch ihre Lebensgewohnheiten die dort sich ansiedelnden fast unabwendbar ins Verderben bringen.“
Die deutschen Staaten waren zu diesem Zeitpunkt immer noch Auswanderungsländer. Hauptziel waren dabei die USA. Doch nach Erlangenen ihrer Unabhängigkeit begannen auch die südamerikanischen Staaten verstärkt um Auswanderer zu werben. In Deutschland wurden dafür sogar eigene Schiffahrtslinien begründet. Die zu diesem Zeitpunkt hervorstechendste Episode dabei waren die Bemühungen Georg Anton Schäffers im Namen Brasiliens. Der aus Unterfranken stammende Arzt und Abenteurer warb eine große Zahl von Auswanderern an. Diese erfuhren jedoch erst auf hoher See, dass sie für den Militärdienst verpflichtet und zudem die Bedigungen vor Ort alles andere als vorteilhaft sein würden. Auch in der Folge kam es noch zu einigen ähnlichen Fällen, welche den Ruf von Brasilien als Ziel von Auswanderung lange trüben sollten.
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Auf Seitre drei findet sich dann die Liste der öffentlichen Sitzungen des königlichen Stadt- und Landgerichts Rosenheim. Insgesamt 13 Verfahren werden, leider ohne Angabe der weiteren Hintergründe, aufgelistet. Ein paar Beispiele: „Kaspar stanner, Wirt am Schloßberg, wegen Körperverletzung zu 14 Tagen Gefängnis und wegen Übertretung der Polizeistunde zu drei Talern Geldstrafe oder einem Tag Haft.“ Oder: „Lorenz Maier, Dienstknecht von Altötting, wegen Landstreicherei und Abweichens von der Reiseroute zu 12 Tagen Haft.“ Der Landstreicher bekommt also fast so viel Haft verschrieben, wie der wegen Körperverletzung angeklagte.
hs