Der „Rosenheimer Anzeiger“ und „Der Wendelstein“ vom 23. Dezember 1898
„Wendelstein“ kein Fan von „Fischer-Franzl“, Hochstapler in Mühldorf und Altötting wird Stadt
Wieder einmal schauen wir an diesem Samstag ins Zeitungsarchiv: Was berichteten unsere Kollegen kurz vor Weihnachten im Jahr 1898? Blickt mit uns in die Ausgabe des „Rosenheimer Anzeiger“ und des „Wendelstein“ vom 23. Dezember 1898:
Rosenheim - „Vorgestern wurde eine stadtbekannte Persönlichkeit, ein unglücklicher Kretin, der sogenannte Fischer-Franzl von München, wo er schwer erkrankte, hierher transportiert und mittels Sanitäts-Kolonne ins hiesige Krankenhaus verbracht“, meldet „Der Wendelstein“ in seinen „Vermischten Nachrichten“. Soweit wäre die Nachricht schon berichtet, aber der Autor kann sich einen Kommentar nicht verkneifen: „Es ist nur zu wundern, wie so ein geistesbeschränkter Mensch, der seinen Unterhalt nicht durch Arbeit erwerben kann, in einer fremden Stadt sein Fortkommen die ganze Zeit über finden konnte.“
Gleichzeitig mahnt das Blatt gleich im nächsten Beitrag die Würdigung von Briefträgern und Postboten an: Jahraus, jahrein, bei Sturm und Wetter bedienen sie das große Publikum mit gleichem Pflichteifer und gleicher Treue.“ Man möge ihnen daher ein kleines Weihnachts- oder Neujahrsgeschenk zukommen lassen. Der „Anzeiger“ wiederum mahnt an, nicht auf den allerletzten Drücker noch Weihnachtsgeschenke zu kaufen. „Eine Befolgung dieses Rates wäre eine Wohltat für die Angestellten in den Ladengeschäften, welche um diese Zeit ohnehin mit vielen Überstunden überanstrengt zu arbeiten haben.“
Die Zeitung vor 125 Jahren: „Der Wendelstein“ mag „Fischer-Franzl“ nicht, ein Hochstapler in Mühldorf und Altötting wird Stadt
Was sind daneben die Titelthemen? Der „Anzeiger“ reserviert die halbe erste Seite für eine Anzeige in eigener Sache, in der zum Neuabschluss oder der Erneuerung des Abonnements eingeladen wird. Den Rest der Seite nimmt überwiegend ein Bericht über die Tätigkeit des griechischen Prinzen Georg als Hochkomissar für Kreta, das nach dem Türkisch-Griechischen Krieg internationales Protektorat geworden war. Der „Wendelstein“ wiederum widmet sich in seiner Titelgeschichte einer Reform des Kreditwesens, der Autor fordert darin eine harte Linie gegenüber säumigen Schuldnern.
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Ansonsten hat der, sich explizit an ein katholisches Publikum richtende „Wendelstein“ noch zu vermelden: „Der Prinzregent hat auf Ansuchen der hiesigen Marktgemeindeverwaltung genehmigt, dass der Markt Altötting fortan die Bezeichnung Stadt führt.“ Der „Anzeiger“ dagegen erwähnt nur, dass, ebenfalls auf Anordung des Prinzregenten, Nymphenburg der Stadt München einverleibt werde. In Wasserburg, so der „Anzeiger“, sei wiederum ein Vertrag zur Errichtung eines Elektriztätswerks vom Stadtrat beschlossen worden. Dieses sollte dann 1900 in Betrieb gehen.
Und dann ist da eine Geschichte, für die sich beide Zeitungen begeistern konnten: Die des Versicherungsagenten Benedikt Siebenhütter aus Rosenheim. Dieser, so berichten beide Blätter, habe sich in der Bahnhofsrestauration in Mühldorf Bier und Speisen servieren lassen und sich dabei als Bahnbeamter ausgegeben, um dafür weniger bezahlen zu müssen. Entstanden sei ein Schaden von 35 Pfennig. Er habe jedoch gegen das schöffengerichtliche Urteil Einspruch erhoben und sei in zweiter Instanz nun wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden.
hs