Der „Rosenheimer Anzeiger“ und der „Wendelstein“ vom 25. November 1898
Der Kaiser dampft durch Rosenheim und ein grässlicher Unfall in Wasserburg
Wieder einmal schauen wir an diesem Samstag ins Zeitungsarchiv: Was berichteten unsere Kollegen vor 125 Jahren? Blickt mit uns in die Ausgabe des „Rosenheimer Anzeigers“ und des „Wendelsteiners“ vom 25. November 1898:
Rosenheim - „Der aus zwei Salonwagen, dem großen Speisewagen, dem fünfzig Tonnen schweren Küchenwagen, drei Schlafwagen und zwei Gepäckwagen bestehende, 340 Tonnen schwere und 38 Achsen starke Hofzug ist heute mit dem deutschen Kaiserpaare um 10 Uhr Vormittag hier eingetroffen und hatte nach fünf Minuten Aufenthalt die Fahrt nach München fortgesetzt, wo die Ankunft um 11.30 Uhr erfolgte“, vermeldet der „Rosenheimer Anzeiger“ in einer seiner Titelgeschichten an diesem Tag. „Der Bahnhof war abgesperrt für das Publikum und da der Zutritt auf den Perron [Bahnsteig] gestattet war, machte das anwesende Publikum vom dem dankenswerten Entgegenkommen vollen Gebrauch.“
„Die Kaiserin grüßte vom Fenster ihres Salonwagens mit Handbewegung die stille, ehrerbietige Begrüßung des am Perron anwesenden Publikums erwidernd. Kaiser Wilhelm sah sehr frisch aus, jedoch stark gebräunt, die Kaiserin Augusta zierte die anmutsvolle Hoheit“, fährt der Bericht fort, „Nichts kann an die Farbenpracht des Orients erinnern, Herbstnebel haben die Bergeshäupter der bayerischen Alpen verhüllt.“ Doch „köstlicher als alle Begeisterung in fremder Sprache erklingt ihnen der deutsche Ruf: Willkommen, herzlich willkommen in Bayern, in Deutschland!“
Aber was hatte es mit dieser Kaiserreise eigentlich auf sich? Vom 11. Oktober bis 26. November 1898 hatte Wilhelm II. seine Palästinareise unternommen, an deren Höhepunkt er die deutsche Erlöserkirche in Jerusalem einweihte. Er stützte die Macht des Sultans im labilen Osmanischen Reich seit der Balkankrise, bemühte sich um eine politische Stärkung des Christentums, vor allem der evangelischen Kirche, und ermutigte die deutschen christlichen und jüdischen Siedler, ohne sich politisch für sie einsetzen zu wollen. Vor allem aber ging seine „Damaskusrede“ am 3. November in die Geschichtsbücher ein. Darin erklärte er, der deutsche Kaiser werde zu allen Zeiten der Freund aller Mohammedaner sein, was in Europa Verwunderung und Misstrauen hervorrief.
Kaiserbesuch in Rossenheim: „Anzeiger“ berichtet umfangreich, „Wendelstein“ schweigt
Am nächsten Tag, den 26. November 1898 würde er nach Berlin zurückkehren, wo er einen festlichen Einzug abhielt. Auch dies wurde von Zeitgenossen teils kritisch gesehen. Der „Rosenheimer Anzeiger“ widmet der Kaiserreise neben seiner Titelgeschichte auch noch zwei kurze Berichte über die Kaiserin sowie darüber, wie der Kaiserzug und seine Reisen organisiert werden. Wie dagegen schaut es bei der Konkurrenz, dem „Wendelstein“, der sich als „Katholisches Volksblatt für das bayerische Oberland“ bezeichnet, aus? Dort findet sich kein Wort über die Kaiserreise. Man darf mutmaßen, dass dies auch an besonders in bayerisch-katholischen Kreisen weiter vorherrschenden Vorbehalten gegenüber dem Reich liegen mag. Auch der „Anzeiger“ hatte ein paar Jahrzehnte davor noch über reichskritische Äußerungen Ludwigs II. berichtet.
Titelthema beim „Wendelstein“ ist ein allgemein gehaltener, längerer Bericht über Wohnungsinspektionen, Kontrollen ob Wohnungen überfüllt, hygienisch annehmbar und so weiter sind. Unter „Bayern und Süddeutschland“ findet sich dann noch die Meldung, dass der Kreistag des Landkreises Traunstein die Errichtung eines Gymnasiums sowie eine Erweiterung der Realschule beschlossen hat. Beim „Anzeiger“ ist noch bemerkenswert, dass sich zwei kurze Meldungen zur „Dreyfuß-Affäre“ auf der Titelseite finden. Kurz gesagt handelte es sich dabei um den in den Medien der Zeit aufmerksam verfolgten Prozess gegen einen jüdischen Offizier der französischen Armee, welcher der Spionage für Deutschland bezichtigt wurde. Der unschuldige Dreyfuß wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt, obwohl der eigentliche Täter zwischenzeitlich bekannt war und erst nach einer langen Leidenszeit freigesprochen. Der Fall gilt als Brandbeschleuniger für den damals wachsenden Antisemitismus in Frankreich. Dreyfuß selbst war dem Staat derart verbunden, dass er sich im 1. Weltkrieg zurück zum Dienst melden würde.
Grässlicher Unfall in Wasserburg
Im Anzeiger findet sich dann noch ein Unfallbericht aus Wasserburg: „Gestern Nachmittag ereignete sich in der sogenannten Botschmühle bei Gässertsheim ein gräßliches Unglück. Die Mühle wird zur Zeit neu aufgebaut. Gestern wurde der Dachstuhl aufgerichtet. Plötzlich stürzte der ganze Dachstuhl zusammen und begrub sechs Arbeiter. Einer erlitt einen schweren Schädelbruch und bei den Übrigen wurden durch die Ärzte Schenkel-, Bein- und Rippenbrüche konstatiert. Der am schwersten verletzte Arbeiter dürfte schwerlich mit dem Leben davonkommen.“ Der Unfall sei durch Fahrlässigkeit verursacht worden.
Diese Blicke ins Zeitungsarchiv gab es schon:
Inflation und Mord-Drama am Waginger See: Das bewegte die Region vor 100 Jahren
Preußen-Bashing durch den „Kini“, Ehrungen und „Siegestropfen“: Die Zeitung vor 150 Jahren
150 Jahre alte Flachwitze, alles wird teurer und die Rinderpest rollt an
Was berichtet unterrdessen der „Wendelstein“ so aus der Region? Unter Berufung auf den „Berchtesgadener Anzeiger“ wird, unter anderem, ein sagen wir mal kurioses Stück veröffentlicht: „In unserer Praxis sind uns schon letzthin Redaktions-‚Erdbeeren‘, ja sogar Redaktions-‚Enten‘ (Leider keine essbaren) vorgekommen und jetzt gesellt sich zu den ‚Blüten‘ noch ein Strauß ‚Almenrausch‘ welcher uns gestern in schön blühendem Zustande überbracht wurde. Darum rühmet und preiset das milde Klima des Berchtesgadener Landes!“
hs