Diplom-Psychologe Eberhard Bauer
Experte: Warum Irlmaier wieder Interesse hervorruft und wie seine Vorhersagen zu beurteilen sind
Wir werfen wieder einmal einen Blick ins Zeitungsarchiv, diesmal allerdings zu einem speziellen Thema: Dem „Hellseher“ aus Freilassing, Alois Irlmaier. Zum Abschluss unserer kleinen Reihe haben wir nun einen Experten, den Diplom-Psychologe Eberhard Bauer, Forschungskoordinator beim Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. befragt.
Freilasssing/Freiburg/Rosenheim - „Die derzeitige ‚mediale‘ Renaissance Irlmaiers verdankt sich ganz offensichtlich dem Ukraine-Krieg und der Gefahr eines von Putin angezettelten Dritten Weltkriegs - also der atomaren Katastrophe“, erklärt Diplom-Psychologe Eberhard Bauer, Forschungskoordinator beim Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.. Dabei handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der aus privaten Mitteln finanziert wird und dem es, laut seinen Angaben, um ein verbessertes Verständnis von Geist-Materie-Beziehungen und psychophysischer Wechselbeziehungen aus geistes-, sozial- und naturwissenschaftlicher Perspektive geht, wobei parapsychische Phänomene explizit berücksichtigt werden.
„Ich bin Psychologe und arbeite seit vielen Jahren als Forscher und Berater am Freiburger ‚Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V.‘, dem IGPP, das 1950 von Professor Hans Bender, meinem akademischen Lehrer, gegründet worden ist, zu dessen Assistentenkreis ich noch gehörte“, erklärt Bauer selbst. Er kann darauf verweisen, selbst zahlreiche wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht zu haben, unter anderem auch zum Thema Prophetie.
Experte: Warum Irlmaier wieder Interesse hervorruft und wie seine Vorhersagen zu beurteilen sind
Alois Irlmaier wiederum wurde 1894 in Scharam zwischen Siegsdorf und Eisenärzt geboren und lebte später als Brunnenbauer in Freilassing. Einen Namen machte er sich als Rutengänger und „Wahrsager“, in den 1940er- und 1950er-Jahren wurde er auch von Weitgereisten nach seinen Visionen gefragt. Noch heute ist Irlmaier für seinen Ruf bekannt, das Internet ist voll mit angeblichen Vorahnungen Irlmaiers. „Alois Irlmaier war mit Sicherheit zu vielschichtig, um ihm mit wenigen Sätzen gerecht zu werden. Er war ein Mann aus dem Volke, bäuerlicher Abstammung, mit einer außergewöhnlichen Begabung, Wasseradern und -quellen zu finden. Mit dieser irgendwie doch etwas übernatürlichen Fähigkeit sicherte er seine Existenz und gewann dann das Vertrauen der Menschen für sein eigentliches Metier – die Hellseherei“, erklärte der Berchtesgadener Autor Stephan Berndt, der seit drei Jahrzehnten über Irlmaier forscht und dessen Vorträge in Berchtesgaden stets ausverkauft sind.
In einer dreiteiligen Serie betrachteten wir uns die Berichterstattung über sein Leben und Wirken in Schlaglichtern: Im ersten Teil dieser Reihe blickten wir zunächst ins Jahr 1949, als Irlmaier sich am Amtsgericht Laufen wegen des Vorwurfs von Betrugs und Gaukelei hatte verantworten müssen. Es gelang ihm jedoch, den vorsitzenden Richter von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Im zweiten Teil dann ging es ins Jahr 1950: Ein regelrechtes „Irlmaier-Fieber“ wurde in der Presse konstantiert. Es gab sogar erste und gut besuchte Fachvorträge über ihn. In der Zeit bis zu seinem Tod 1959 schwor Irlmaier dann der Hellseherei ab und erlangte einen guten Ruf als Rutengänger und Brunnenbauer, wie wir im dritten Teil nachzeichneten.
„Grundelemente wiederholen sich“
„Die Grundelemente der ‚Sehervisionen‘ von der ‚Endzeit‘ oder vom ‚Weltuntergang‘ und so weiter wiederholen sich. recht stereotyp wiederholen. Das wird etwa in der klassischen Studie von Arthur Hübscher: ‚Die grosse Weissagung‘, 1952 aufgezeigt, in der sich, bereits sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mitten im Kalten Krieg, alle diese Elemente finden“, fährt Eberhard Bauer fort, „Solche Endzeit-Prophetien stellen ein Spiegelbild zeittypischer kollektiver Ängste und Befürchtungen dar und sind entsprechend zu kontextualisieren, wie beispielsweise in den frühen 1980er Jahren mit der Nostradamus-Welle in der BILD-Zeitung und der damals weit verbreiteten Angst vor dem ‚Überfall aus dem Osten‘ beziehungsweise dem ‚Einmarsch der Sowjets‘.“
Auch im OVB nahm zu diesem Zeitpunkt die Berichterstattung zu Irlmaier und anderen „Sehern“ wieder Fahrt auf. „Von Hellsehern und Bayerischen Propheten“ oder „Auf den Spuren heimischer Hellseher“ lauten die Überschriften von Beiträgen von Erwin Lars vom 24. Oktober 1979 und dem 16. September 1983. In letzeren gibt beispielsweise der Forstamtsmann Axel Weidinger Anekdoten rund um Irlmaier und weitere bekannte „Hellseher“ aus der Region wieder, hinterfragt aber auch teils kritisch. Auch über verschiedene in diesem Zeitraum erscheinende Publikationen über Irlmaier wird in der Zeitung berichtet.
„Völlig verfehlt für bare Münze zu nehmen“
„Es wäre völlig verfehlt und würde auch der parapsychologischen Kasuistik widersprechen, diese Aussagen für bare Münze zu nehmen“, betont Eberhard Bauer, „Irlmaier war vermutlich ein ‚begabter‘ Rutengänger und ich möchte keinesfalls ausschliessen, dass er erstaunliche ‚Treffer‘ bei seinen alltäglichen Konsultationen oder Voraussagen erzielte. Das wäre so ungewöhnlich nicht. Allerdings handelt es dabei um anekdotisches Material, bei denen man Zufallstreffer nie ausschliessen kann. Und Irlmaier dürfte auch ein breites ‚implizites‘ Wissen im sozialen Umgang gesammelt haben, wo seinen Ratsuchenden jeweils der Schuh gedrückt haben mochte.“
Unsere regelmäßige Reihe mit Blicken ins Zeitungsarchiv:
Inflation und Mord-Drama am Waginger See: Das bewegte die Region vor 100 Jahren
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„Kein ‚Hellseher‘ kann unterscheiden, woher sein ‚Wissen‘ stammt, ob es sich um erfahrungsbasierte Menschenkenntnisse handelt, wie das beispielsweise bei Krankenschwestern oder Psychotherapeuten der Fall sein, geschicktes (Er-)Raten aufgrund unbewußter Signate des Gegenüber, was man als ‚cold reading‘ bezeichnet oder um eine paranormale, ‚telepathische‘, Intuition. Mit anderen Worten: Da es sich um keine experimentell kontrollierte Situation handelt, können Sie die Zufallshypothese nie ausschliessen“, schleißt Bauer.
hs