Blick ins Zeitungsarchiv
„Pogromstimmung“: Die Kontroverse um den Umbau des Eisstadions in Rosenheim 1991/1992
Auf Anregung eines Lesers blicken wir auf die Berichterstattung im Oberbayerischen Volksblatt (OVB) über die Kontroverse anlässlich des Ausbaus des Eisstadions von Rosenheim in den Jahren 1991/1992 zurück. Diese wurde zeitweise enorm hitzig und hatte umfangreiche Folgen.
Rosenheim - „Bei der letzten Zusammenkunft des Kreisverbands Rosenheim im Bayerischen Gemeindetag befasste sich die Kreisvorstandschaft auch mit den aus ihrer Sicht ‚unwürdigen Vorgängen‘ rund um die Auseinandersetzung über das Rosenheimer Eisstadion“, berichtete das OVB am 26. März 1992, „Vor allem die äußerst unfairen Attacken gegen Oberbürgermeister Dr. Stöcker wurden von den Bürgermeistern mit Befremden zur Kenntnis genommen. [....] Die beispiellose Verleumdungskampagne, die in persönlichen Drohungen gegen Dr. Stöcker und seine Familie gipfelte und an der sich bedauerlicherweise auch einige Medien beteiligt hätten, wurde von den Bürgermeistern auf das schärfste missbilligt.“
Was war geschehen, dass sich die Gemeindeoberhäupter zu diesem Statement veranlasst sahen? „Ein paar Jahre später kam dann die Diskussion über das Eisstadion, das wäre doch auch einmal ein Thema?“, regte einer unserer Leser nach dem Artikel über die Umwandlung des Max-Josefs-Platz in Rosenheim zu einer Fußgängerzone im Jahr 1984 an. „Damals ging es hoch her, was sogar mit Drohungen gegen den damaligen Oberbürgermeister, den 2013 verstorbenen Michael Stöcker, endete!“
Es muss ein wenig etwas von déja vu für manche Zeitgenossen der Ereignisse Anfang der 90er-Jahre gewesen sein, als 2018 erneut eine Sanierung des Rosenheimer Eisstadions teils heftig diskutiert wurde. Zum einen, weil ein Liga-Ab- und Wiederaufstieg der Starbulls zeitgleich stattfand. Aber auch, weil sich einer der damaligen Kandidaten für die Kommunalwahl und jetzt Bürgermeister der Stadt, Andreas März mit in die Diskussion einschaltete. Aber auch, weil auch dieser Fall am Ende mit einem neuen Sponsor, in diesem Fall der ROFA Industrial Automation AG welche emilo ablöste und einem neuen Stadionnamen endete.
„Pogromstimmung“: Die Kontroverse um den Umbau des Eisstadions in Rosenheim 1991/1992
Aber fangen wir von vorne an, mit dem was sich vor mehr als 30 Jahren abspielte: Die Stadt Rosenheim kann auf eine lange Tradition im Eissport zurückblicken, wie das Stadtarchiv berichtet, schon 1911 gab es einen Eislaufverein, 1927 wurde dessen Eishockeyabteilung gegründet. 1962 wurde dann das Stadion an der Jahnstraße errichtet, ab 1978 war die Eissportabteilung Teil des Sportbunds und dessen Sponsor Josef März ermöglichte erstklassiges Hockey in der Stadt. „Es folgten die Meistertitel von 1985 und 1989. Damit rückte die Austragung der Weltmeisterschaft in Rosenheim und die Vergrößerung des Stadions in greifbare Nähe.“ Doch dies ließen die Finanzen der Stadt nicht zu und es folgte eine dramatische Stadtratssitzung im November 1991.
„Knisternde Spannung bei Abstimmung“ heißt es denn auch in der Überschrift des Berichts dazu in der Zeitung vom 28. November 1991. „Das Thema Eisstadion wird zur unendlichen Geschichte“, war dann gleich der erste Satz. Wenn man es zusammenfasst, war was folgte dann ein wochenlanges Hin und Her. Am Ende stand fest: Die städtischen Finanzen würden nur einen kleinen Ausbau erlauben, eine Einigung mit den Sponsoren kam nicht zu Stande und die Firma März/Marox zog sich mit Ablauf der Saison 1991/1992 aus dem Sponsoring für die 1. Bundesliga-Mannschaft zurück.
Anzeigen, Leserbriefe und Flugblätter
Soweit die Tatsachen in der Zusammenfassung, aber wenn man die damalige Berichterstattung mitverfolgt, wird dies schier dem Umfang der Emotionen die damals hochkochten nicht gerecht. Das OVB konnte immer wieder sogar ganze Seiten mit Leserbriefen füllen, die das Für und Wider einer Sanierung diskutierten. Gleichzeitig wurden von Befürwortern und Gegnern der Maßnahme großflächige Anzeigen in der Zeitung geschaltet, in denen sich in langen Listen Menschen in Unterschriftenlisten zu einer der beiden Positionen bekannten. Es wurden auch immer wieder Flugblätter mit teils satirischem Inhalt verteilt, kurz gesagt das Ausmaß der Kontroverse selbst in Zeiten vor dem Internet war enorm.
„März for Ever - OB never“, war der Text eines Transparents, der aus heutiger Sicht skurril erscheinen mag, mit dem Eishockey-Fans nach einem Spiel gegen Landshut ihrem Unmut über die Verhinderer des Stadionausbaus Luft machten und welches das OVB dann am 30. Januar in einer der vielen Leserbrief-Sonderseiten zum Thema abdruckte. Der Ton in diesen Zuschriften war teils scharf. Stöcker würde „das Eishockey gezielt kaputtmachen“, klagte ein Verfasser. Es sei ein „Schlag ins Gesicht“, ein anderer. Allein- und Willkürherrschaft wurde dem Bürgermeister vorgeworfen.
Das Nachspiel: „Kleine“ Ausbauvariante, Abstieg in die Oberliga und neuer Sponsor
Auch OVB-Redakteur Willi Börsch, der 2021 seinen Abschied nach 31 Jahren nahm, wurde in einem Kommentar zum endgültigen Aus für den „großen“ Ausbau Ende Januar 1992 kritisch: „Es ging, unter anderem, gegen die demokratisch gewählte Stadtratsmehrheit, den engagiertesten Sponsor, den das deutsche Eishockey jemals erlebt hat, eine Profi-Truppe [....] den Ruf der Stadt Rosenheim, die bundesweit zur Lachnummer wird.“ Für Stöckers Verhalten sehe er nur zwei Erklärungen: „Entweder er machte den fortwährenden Gesinnungswandel zur Methode [...] Oder er verhedderte sich aus lauter Angst, ein entscheidender Fehler könne ihn Kopf und Kragen kosten, so im Dickicht der selbstgestrickten Widersprüche, dass am Ende der Mut fehlte, doch noch auf die Linie der Vernunft einzuschwenken.“
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Der Verein stieg in der Folge 1992 in die Oberliga ab. Neuer Sponsor wurde die Firam Kathrein, welche auch die Sanierung möglich machte. 1993 schaffte der SBR dann auch den Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga. Zum Schluss bleibt eine Aussage Stöckers auf einer Pressekonferenz zum Sponsorenwechsel am 28. November 1992 zu nennen: „Auf die Frage auswärtiger Medienvertreter, wie sich jemand fühle, der so mit den Gefühlen der Menschen gespielt habe, der in der Öffentlichkeit als ‚Lügner‘ und ‚Totengräber des Eishockeys‘ bezeichnet werde, sagte der OB er habe ein ruhiges Gewissen. ‚Die Leute, die eine Pogromstimmung gegen mich erzeugen, müssen selbst verantworten, was sie da tun.“
hs

