OVB-Interview zum Jahreswechsel
Flüchtlinge, Romed, Gastro: Wasserburgs Bürgermeister zu den Herausforderungen 2024
Riesen-Investitionen, weltweite Krisen, die bis in die Kommunen hineinwirken – und doch bleiben die Wasserburger entspannt. Warum löst hier eine große Flüchtlingsunterkunft keinen Protest aus? Warum gibt es hier kein Kaufhaussterben? Und wie steht es um den Romed-Standort? Antworten zum Jahreswechsel von Bürgermeister Michael Kölbl.
Wasserburg – Demonstrationen, Proteste, Bürgerversammlungen, in denen es hoch herging: Das Wasserburger Land hat ein eher unruhiges Jahr hinter sich. Die Stadt Wasserburg wirkt dagegen fast ein bisschen verschlafen. Nur einmal gingen die Menschen 2023 auf die Straße: bei einer Demo gegen einen AfD-Wahlkampfauftritt. Ansonsten ist die Atmosphäre eher entspannt. So wirkt auch Bürgermeister Michael Kölbl im traditionellen Interview mit der Redaktion zum Jahreswechsel. Warum er sich trotzdem einmal geärgert hat im abgelaufenen Jahr, welche Sorgen ihn beschäftigen und warum er zuversichtlich ist, dass Wasserburg die Herausforderungen 2024 stemmen wird.
Eine Jungbürgerversammlung ohne Jungbürger, Bürgerversammlungen mit nur wenigen Bürgern: Was ist los in Wasserburg? Sind die Einwohner so zufrieden oder nicht interessiert an ihrer Stadt?
Michael Kölbl: Das sind zwei verschiedene Versammlungsformate, die man nicht in einen Topf werfen sollte. Der Jungbürgerabend ist ein ganz neues Format, das wir zum ersten Mal ausprobiert haben. Bei der Nachbesprechung mit den Fachleuten aus der Jugendarbeit haben diese betont, es brauche seine Zeit, bis sich eine Veranstaltung dieser Art etabliere. Es müsse sich erst herumsprechen in der Jugendszene, dass die Stadt junge Leute einlädt und um ihre Meinung fragt. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass die Resonanz beim nächsten Termin im März besser sein wird. Als Örtlichkeit wählen wir dann nicht den Jugendtreff, sondern das Rathaus, um zu zeigen, welche Wertschätzung wir den jungen Leuten entgegenbringen.
Mit dem Verlauf der vier Bürgerversammlungen bin ich außerdem sehr zufrieden. Die Resonanz war nicht viel anders als in der Zeit vor der Pandemie. In der Burgau kamen sogar mehr als vor Corona. Im Durchschnitt waren es heuer jeweils 60 bis 80 Personen. Grundsätzlich wissen wir auch als Ergebnis der Umfrage zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK), dass die Wasserburger sehr zufrieden mit ihrer Stadt sind. Das infrastrukturelle und kulturelle Angebot ist sehr groß für eine kleine Stadt, sie gilt als optisch schön, hat viele sichere Arbeitsplätze, ist bekannt für ihre Offenheit. Hier lässt es sich gut leben.
Wasserburg hat seit dem Frühjahr ein eigenes Stadtmanagement, verankert im Rathaus. 2024 soll ein neues Konzept für das Stadtmarketing in Absprache mit Akteuren wie dem WFV erstellt werden. Wie stellen Sie sich diese Zusammenarbeit vor?
Kölbl: Tourismus, Stadt, Wirtschaft und Vereine sollen gemeinsam ein ausgereiftes Marketing für Wasserburg entwickeln. Daraus wird sich ein einheitlicher Auftritt unserer Stadt ergeben, quasi ein Markenbild mit großer Außenwirkung.
Es gibt jedoch Stimmen, die vor einer Gefahr für das Ehrenamt warnen, das seit vielen Jahren tolle Feste in der Stadt auf die Beine stellt.
Kölbl: Ich sehe diese Gefahr nicht. Im Gegenteil: Das Ehrenamt wird entlastet. Wir stellen doch fest, dass auch in Wasserburg viele Vereine Nachwuchsprobleme haben. Die engagierten Mitglieder geraten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Hilfe ist notwendig, um das Ehrenamt wieder zu stärken. Nur so können wir gewährleisten, dass die vielen Freiwilligen, die mit Herzblut bei der Sache sind, nicht ausbrennen. Ein Stadtmanagement, das das Marketing für Wasserburg gemeinsam mit Vereinen und Verbänden neu strukturiert und Synergieeffekte generiert, fördert sogar das Ehrenamt.
Viele Wasserburger sind angesichts der Energiepolitik der Bundesregierung in Sorge. Wer daheim eine alte Öl- oder Gasheizung hat, wartet auf das kommunale Nahwärmekonzept. Bis wann können die Bürger mit Ergebnissen rechnen. Was raten Sie Ihnen?
Kölbl: Das Gesetz verpflichtet uns, bis Juni 2028 eine kommunale Wärmeplanung auf den Weg zu bringen. Wir haben einen entsprechenden Förderantrag gestellt und rechnen bis Mitte 2024 mit einer Bewilligung. Dann können wir ein Fachbüro beauftragen. Die Erstellung des Gutachtens dauert sicherlich ein bis zwei Jahre. Danach müssen wir aus der Wärmeplanung die entscheidenden Schlüsse für Maßnahmen ziehen. Welche das sind, Nahwärmenetze über Biogas oder eine Wasserstoffversorgung beispielsweise, können wir derzeit noch nicht sagen. Ich rate deshalb allen, ihre Anlagen, wenn möglich, noch zu pflegen oder reparieren zu lassen, denn vor 2030 ist mit konkreten Umsetzungen für eine alternative regenerative Wärmeversorgung auf der Basis eines kommunalen Konzeptes nicht zu rechnen. Hilfestellung bekommen die Bürger bei Fragen, wie sie sich aufstellen sollen, auch über die Energieberatung und über qualifizierte Handwerksbetriebe.
In vielen Nachbarorten wird Protest gegen neue Unterkünfte für Geflüchtete laut. Die Menschen gehen sogar auf die Straße. Wasserburg bekommt im ehemaligen Krankenhaus ebenfalls eine große Einrichtung. Warum sind die Einwohner in der Innstadt diesbezüglich eher entspannt als aufgeregt?
Kölbl: In allen vier Bürgerversammlungen wurde dies thematisiert, in der Tat jedoch stets sehr sachlich. Das hat meiner Erfahrung nach mehrere Gründe: Das Ex-Krankenhaus ist aufgrund der Raumaufteilung, der vorhandenen Sanitäranlagen und der Lage wirklich ein idealer Ort für eine Unterkunft, ich denke, das sieht fast jeder so. Die Regierung von Oberbayern ist hier für die Betreuung zuständig, es gibt klare Konzepte auch für die Sicherheit. Die Wasserburger bringen der Regierung von Oberbayern Vertrauen entgegen. Außerdem ist bekannt, dass in der Unterkunft auch Menschen mit Beeinträchtigung unterkommen werden. Und viertens ist Wasserburg eine bunte Stadt mit einer großen Offenheit gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Hier leben Vertreter aus aller Herren Länder. Hier funktioniert in der Regel das Miteinander. Hier wird sogar gemeinsam gefeiert, etwa beim Nationenfest, das diese Vielfalt widerspiegelt. Und es gibt Ehrenamtliche, die sich einbringen, damit die Integration gelingt. Lärm. Konflikte, Ruhestörungen durch Flüchtlingsunterkünfte: Solche Ereignisse hat es bisher bei uns kaum gegeben. Die Bürgerschaft ist entspannt und geht sachlich mit der Thematik um.
Große Freude herrschte in den sozialen Netzwerken, als endlich der neue Aldi in Staudham eröffnete. Ist die Nahversorgung in der Stadt gut aufgestellt? Braucht es weitere Märkte?
Kölbl: Wir sind wirklich gut aufgestellt. Die Balance zwischen Innenstadt-Geschäften und Märkten auf der grünen Wiese ist gewahrt. Das hat auch ein Einzelhandelsgutachten aufgezeigt. Bedarf für weiteren großflächigen Einzelhandel gibt es derzeit nicht. Zur Attraktivität der Altstadt tragen auch Magneten wie das Innkaufhaus und das Gewandhaus Gruber bei.
Trotzdem: Geschäftsschließungen und Wirtshaussterben gehen auch an Wasserburg nicht vorbei. Deutet sich da ein Problem für die Einkaufsstadt an?
Kölbl: Bis jetzt noch nicht. Wie es weitergeht, kann ich jedoch nur schwer beurteilen. Wir haben eine attraktive Altstadt, getragen durch viele inhabergeführt Fachgeschäfte. Wir stellen jedoch fest, dass die Pandemie in Einzelfällen die Generationenübergabe beeinträchtigt hat. Deshalb kommt es hin und wieder zu Geschäftsaufgaben. Doch ich stelle auch mit großer Freude fest, dass die Gastronomiebetriebe voll sind. Sitzplatzreservierungen sind fast überall notwendig. Der Personalmangel in den Wirtschaften macht sich jedoch bemerkbar: Lokale führen beispielsweise einen zweiten Ruhetag ein. Doch um die Qualität unserer Einkaufs- und Tourismusstadt beneiden uns nach wie vor viele Nachbarorte. Ich hatte sogar ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Rosenheim zur Frage, wie es gelingt, in Wasserburg sogar ein Kaufhaus zu halten. Das Innkaufhaus ist das beste Beispiel dafür, wie es geht: Hier arbeiten die Inhaber mit großer Leidenschaft und Engagement an immer wieder neuen Erlebniskonzepten. Sie schauen nicht auf die Uhr und wissen engagierte Mitarbeiter hinter sich. Nur so kann es funktionieren.
Bundesweit fehlen viele tausend Kita-Plätze. Viele Eltern sind alarmiert. Auch Wasserburg hat etwas zu kämpfen: Ein Kinderhaus der katholischen Kirche hat geschlossen, die Fertigstellung der Kita am Burgstall verzögert sich. Gibt es Anzeichen für eine Notlage?
Kölbl: Nein, die gibt es nicht. Trotzdem verhehle ich nicht, dass ich die Schließung des Kinderhauses der katholischen Kirche in der Ponschabaustraße sehr bedauere. Die Stadt hatte eine hohe Investitionsförderung für eine Generalsanierung des Gebäudes, vorbehaltlich eines entsprechenden Stadtratsbeschlusses, in Aussicht gestellt. Wir hätten die Förderhöchstgrenze ausgeschöpft. Schade, dass sich die Kirche anders entschieden hat. Das passt nicht ganz in die Zeit. Das Wohlfahrtswerk der Adventgemeinde öffnet die neue Kita am Burgstall ein halbes Jahr später, das ist jedoch nicht selbstverschuldet, sondern die Folge der Insolvenz einer beteiligten Firma. Im Januar finden 16 Kinder einen Platz in der Großtagespflege des BRK, eine Krippe, die bis vor wenigen Tagen noch nicht einmal ganz voll war. Sie sehen, unsere Lage ist gut. Natürlich kann es trotzdem mal sein, dass Eltern nicht den Platz für ihr Kind in ihrer Wunscheinrichtung bekommen.
Wasserburg muss Rieseninvestitionen stemmen: für das Feuerwehrhaus, den Wertstoffhof, die Grundschulerweiterung und, und, und. Eine Million Euro muss nach ihren Angaben mittlerweile eingeplant werden, wenn ein Klassenzimmer oder der Raum für eine Kita-Gruppe erstellt wird. Wie soll all dies auf Dauer finanziell gepackt werden?
Kölbl: Wir werden es stemmen müssen. Das geht natürlich nicht alles auf einmal, wir müssen strecken und Stück für Stück abarbeiten. Das liegt auch in der Natur der Sache. Die Grundschule am Gries können wir erst erweitern und sanieren, wenn der neue Wertstoffhof gebaut ist. Wir werden zur Finanzierung der hohen Investitionen außerdem sämtliche Fördertöpfe anzapfen, die es gibt. Und bei der Projektierung immer auch die Folgekosten im Blick behalten. Unsere finanzielle Ausgangslage ist außerdem recht ordentlich. De facto haben wir per saldo keine Schulden.
Sind Sie angesichts des Millionendefizits im Romed-Klinikverbund und angesichts der Krankenhausreform von Lauterbach in Sorge um den Standort Wasserburg?
Kölbl: Ich sehe den Standort Wasserburg auf alle Fälle mittelfristig als gesichert an – und das aus mehreren Gründen: Es ist ein völlig neues Krankenhaus, entstanden mit hoher Investition durch den Landkreis und Millionenförderung durch den Staat. Ferner erfüllt es auch den Versorgungsauftrag für die Bevölkerung im nördlichen Landkreis. Hier muss eine kompetente Notaufnahme in angemessener Frist erreichbar sein, bis nach Rosenheim sind es aus dem Raum Wasserburg immerhin 30 Kilometer. Kein anderes Klinikum ist außerdem in der Lage, diese große Zahl von etwa 1000 Geburten im Jahr zusätzlich zu leisten. Aber natürlich steht fest, dass sich auch die Romed-Klinik Wasserburg immer wieder den aktuellen Gegebenheiten anpassen muss, um wirtschaftlich bestehen zu können.
Sie gehen in Ihre letzten zwei Jahre als Bürgermeister. Wird es nicht Zeit, über das Prozedere der Kandidatenauswahl für die Kommunalwahl 2026 zu informieren? Haben Sie einen Wunschkandidaten oder eine Wunschkandidatin und was sollte er oder sie mitbringen?
Kölbl: Ich bin noch knapp 2,5 Jahre im Amt, deshalb kann und will ich mich dazu noch nicht äußern. Ich gehe davon aus, dass im Laufe des nächsten Jahres deutlich werden wird, mit welchen Kandidatinnen oder Kandidaten die Gruppierungen und Parteien auftreten werden. Fest steht: Ich höre auf, die Karten werden ganz neu gemischt.
Was wollen Sie in den letzten 2,5 Jahren noch alles erledigt wissen?
Kölbl: Lassen Sie mich zuerst sagen: Ich werde konsequent arbeiten bis zum letzten Tag. Ich werde alle Projekte auf der Agenda vorantreiben, mit dem Elan und der Arbeitseinstellung, die ich immer gezeigt habe. Ein großer Wunsch ist es noch, das Baurecht auf dem Gelände der ehemaligen Essigfabrik zu schaffen, wo ein neues Wohngebiet auch mit sozial geförderten Wohnungen entstehen soll. Hier suchen wir noch nach einem Investor. Auch die kommunale Wärmeplanung würde ich gerne noch weit vorantreiben. Ansonsten: abarbeiten, was ansteht, Herausforderungen, die kommen, annehmen – so wie ich es seit 21 Jahren tue und bis zum Ende meiner Amtszeit tun werde.
Und was wünschen Sie der Stadt Wasserburg für das nächste Jahr?
Kölbl: Ich wünsche allen Bürgerinnen und Bürgern ein gutes, gesundes und friedlicheres Jahr 2024. Und dass sich die Rahmenbedingungen weltweit etwas normalisieren. Ich wünsche der Stadt Wasserburg, dass es ihr weiterhin gut geht, sie so lebendig und ein wichtiges Mittelzentrum für die Region bleibt. Ich danke allen, die sich für Wasserburg engagieren, ob in Vereinen, Verbänden oder an ihrem Arbeitsplatz.
