Serie: Mühldorfer Gastro-Szene
Mühldorfer Wirte-Sprecher Holger Nagl: Viele Lokale im Land werden schließen
Neue Lokale beleben Mühldorf, in unserer Serie stellen wir die Macher dahinter vor. Trotz der positiven Entwicklung gilt aber auch: Die Gastro-Branche hat schwer zu kämpfen, wie der Mühldorfer Wirte-Sprecher Holger Nagl zu berichten weiß.
Mühldorf — Die Altstadt hat mit der Bar 1727 und dem Irish Pub O‘Sennys neue Lokale bekommen. Auch im restlichen Stadtgebiet tut sich einiges bei den Neubelebungen alter Leerstände oder durch Pächterwechsel. Alles gut also in der Mühldorfer Gastro-Szene, könnte man meinen.
Schweres Business
Mitnichten, stellt Holger Nagl, Mühldorfs Kreisvorsitzender der Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) heraus. „Ich wünsche allen Kollegen gute Geschäfte und Durchhaltevermögen, denn das Business ist schwer genug“, sagt der Hammerwirt. Es sei normal, dass man das erste halbe Jahr überrannt werde.
Aber als alter Hase in der Branche kennt er die durchschnittliche Pachtdauer in Deutschland, die er mit etwa zwei Jahren angibt. Wer die ersten zwei Jahre überstehe und ein eingependeltes Level halten könne, habe eine gewisse Stabilität erreicht.
Sein Tipp an die Neuen: möglichst breit aufstellen, aber sich am Anfang nicht gleich finanziell übernehmen. „Erst kleiner anfangen, dann sehen, wie es läuft und wenn es sich einpendelt, kann man schauen, ob man rechnerisch mit einer Investition klar kommt“, so Holger Nagl.
A-la-Carte-Geschäft ist der Patient
„Das A-la-carte Geschäft ist der Patient“, sagt er über sein Lokal Hammerwirt. Er federe das ab durch den Zeltverleih und sein Engagement auf den Volksfesten Schönau, Poing, Aying und Hauzenberg. Oder durch Events und Hochzeiten.
Jedem müsse klar sein: Gastronomie steht und fällt mit dem persönlichen Engagement. „Man ist eine Gallionsfigur. Mein Vater konnte diese Klaviatur gut spielen, war ein Original und beliebt bei den Gästen. Das trug zum Geschäft bei.“ Er selber lerne diese Rolle immer noch, sagt er schmunzelnd.
Traurig über Aus namhafter Häuser
Traurig stimme ihn, dass seit Jahrzehnten gut laufende Gaststätten, namhaft und in toller Lage, schuldenfrei und beliebt, zusperren - wie der Ampfinger Hof im Herbst 2023. Wirt Erwin Hinterecker konnte nicht mehr, der Druck wurde zu hoch. Ähnliche Gründe führte auch Bernhard Söllner an, als er im Sommer ankündigte, sein Wasserschlössl aufzugeben und an einen vietnamesischen Gastwirt zu verpachten.
Viele Schließungen stehen der Branche bevor
Die Branche rechne deutschlandweit in den nächsten anderthalb Jahren mit 12.000 bis 15.000 Betriebsschließungen, so der Dehoga-Kreisvorsitzende. „Die Gastronomie befindet sich in einer der schwierigsten Lagen seit jeher. Viele Betriebe, die vom Ertrag her knapp über der Wasserlinie waren, sterben weg wie die Fliegen“, sagt Nagl bedauernd.
Mitverantwortlich sei die Mehrwertsteueranhebung für Speisen zurück auf 19 Prozent seit Januar 2024. Zuvor war die Umsatzsteuer für Verpflegungsdienstleitungen auf 7 Prozent gesenkt worden - im Zuge des Corona-Steuerhilfegesetzes vom 19. Juni 2020.
Und dabei sei die 30 Jahre alte Forderung der Gastronomen, das Essen wieder mit 7 statt 19 Prozent zu besteuern doch nur gerecht, schließlich werden Take-away-Speisen auch nur mit 7 Prozent abgeführt. „Im Konkurrenzkampf um das Geschäft Mittagstisch haben Wirte mit a-la-carte durch die Steueranhebung einen Nachteil.“
Lohnkosten gestiegen
Die Nebenkosten seien gestiegen, ebenso die Lohnkosten. Nagl spricht den Mindestlohn an, der seit 2019 von 9,19 Euro auf 12,41 angehoben wurde und weiter steigt.
Rechne man alle Faktoren zusammen, muss die Küche um 20 Prozent teurer sein, erklärt Nagl. Aber die Konsumenten haben nicht mehr Geld zur Verfügung. Wenn sie zum Essen gehen, geben sie die gleichen Summen aus - und machen 20 Prozent weniger Umsatz.
Wer wird Wirt?
Mit Sorge beobachte er auch die Entwicklung, wer sich entscheide, Wirt zu werden: immer mehr Menschen ohne entsprechende Befähigung - und gehen häufig pleite. „Jeder kann einfach ein Lokal eröffnen, es reicht eine eintägige Schulung bei der IHK.“ In Österreich gehe das nicht, da brauche man eine branchenbezogene Ausbildung.
„Wir von der Dehoga verlangen, dass die Politik zumindest einen Befähigungsnachweis durchsetzt“, so Nagl.
Viele Arbeitsplätze fallen weg
„Die Branche ist so kleinstrukturiert. Wenn hier 1000 Leute ihre Jobs verlieren, weil Gasthäuser schließen, merkt das keiner. Aber wenn bei Siemens 1000 Stellen wegfallen, bringt das Aufmerksamkeit“, sagt der Hammerwirt. Dabei sei in Deutschland jeder neunte Arbeitsplatz eine Stelle in der Gastronomie, Hotellerie oder im Tourismus.
Gastronomie sei eine personalintensive Branche. „Es ist nicht leicht, gute Leute zu bekommen. Derzeit sind wieder mehr vernünftige Bewerber auf dem Markt - aber nur, weil leider so viele Kollegen zusperren“, sagt Nagl, der auch Personal sucht.


