Wirtshaussterben in Mühldorf geht weiter
Auf dem Grill brutzelt kein Fleisch mehr: Nach 95 Jahren schließt Gasthaus Starkheim
Nach 95 Jahren hat das Traditions-Gasthaus Starkheim in Mühldorfs Inn-Auen seine Türen geschlossen – endgültig. Der Wirt und seine Eltern können nicht mehr. Das sind die traurigen Gründe.
Mühldorf – Es liegt versteckt in Mühldorfs Inn-Auen, am besten zu erreichen mit der Inn-Fähre. Hier ist es idyllisch und ruhig, Natur pur – und doch ist sie eine Mühldorfer Institution: die Grillstube Starkheim. Vielmehr: Sie war eine Institution. Die Grillstube ist nämlich Geschichte. Nach 95 Jahren hat Werner Kellner (53) den Familienbetrieb jetzt endgültig geschlossen.
Im Schaukasten, wo sonst die Speisekarte lockt, hängt ein Zettel: „Wir schließen! Die Gründe hierfür sind vielfältig.“
Die Tische sind nackt, die Küche ist kalt
In der Gaststube sind die Tische nackt. Die Theke ist nur noch Ablagefläche für alles Mögliche, ein Akkuschrauber zeugt vom Abbau, abgestoßene Markierungen am Boden von Corona. Im Keller sind die Tiefkühltruhen stumm und leer, die Küche ist längst kalt.
Nur im Herzen der Gaststube scheint die Zeit stillzustehen. Dort, wo Rudolf Kellner (85) seit 50 Jahren am offenen Kamin sein Grillfleisch grillte, lodert ein offenes Feuer.
„Wir haben gekämpft“
„Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Wir haben gekämpft“, erzählt Werner Kellern, der die Grillstube vor acht Jahren von seinen Eltern übernommen hatte. Jetzt sitzen die drei am Tisch, sind erschöpft, ermattet.
Ende Juli hatten sie bereits geschlossen. Es sollte nur für ein paar Wochen sein. „Wir haben Personal gesucht und uns die Zahlen angeschaut“, so Werner Kellner. Immer wieder verlängerten sie die Auszeit um ein paar Wochen. Dann war klar: Es geht nicht mehr: „Jetzt haben wir es noch selber in der Hand.“
Bis Corona sah es gut aus
Vor acht Jahren hat Werner Kellner, Koch im Krankenhaus, das Traditions-Gasthaus von seinen Eltern übernommen, hat sich fachlichen Rat geholt, die Karte umgestellt und investiert. Mit Erfolg und er dachte sich, „wenn es so weiter geht, kann ich im Krankenhaus aufhören.“
Vor ein paar Jahren steckte er noch einmal Zehntausende in eine neue Kühl- und Kläranlage, modernisierte er die Gasheizung. Voll Stolz führt sein Vater Rudolf durch die Räume: greif- und sichtbare Hoffnung.
Dann kam Corona. Werner Kellner: „Jetzt ist es anders herum. Ich bin im Krankenhaus wieder Vollzeit und habe hier aufgehört. Von einem Moment auf den anderen.“
Rechnungen und Personal mit privatem Geld bezahlt
„Mein Sohn hat sein Geld, das er im Krankenhaus verdient, genommen, um damit die Rechnungen und das Personal zu bezahlen“, erzählt seine Mutter Elvira (75), mit ihrem Mann den Betrieb 42 Jahre lang geleitet hatte, bis sie an den Rollstuhl gefesselt wurde.
Den Grundstock legte Rudolfs Großvater, Josef Stiegler. Er kam Anfang des 20. Jahrhunderts auf seiner Wanderschaft nach Mühldorf, verliebte sich, heiratete, kaufte 1928 das Haus in Starkheim und baute hier eine Landwirtschaft, Schreinerei und die Gaststätte auf. „In der Inflationszeit“, sagt Rudolf Kellner. Die Wirtschaft überlebte den Weltkrieg und die Nachkriegsjahre – bis Corona und all die anderen Probleme kamen: ausbleibende Hilfsgelder vom Staat, fehlendes Personal, Auflagen, steigende Preise - und ausbleibendes Gäste.
Früher kamen alle nach Starkheim
Zu den besten Zeiten ist es hier „zugegangen wie Sau“, erinnert sich Werner Kellner. Alle kamen: die Honoratioren der Stadt, die Vereine, die Stammtische. „Jeden Donnerstag war der Raum voll. Da hast fast keinen anderen mehr einebracht.“
„Es war früher einfach eine andere Zeit“, sagt Elvira. „Die Leute waren viel zufriedener.“ Und gefeiert wurde oft bis vier Uhr früh. Mit dem Rauchverbot und schärferen Promille-Grenzen brach das weg.
„Wir sind hier oft alleine gesessen“
Rudolf, Elvira und Werner sitzen am Tisch. Das Sprechen fällt ihnen schwer. Werner muss immer wieder schlucken.
Zuletzt war die Gaststube nur noch an drei Tagen in der Woche offen – und immer öfter verwaist. Während am Stadtplatz das Leben pulsierte, „sind wir hier oft alleine gesessen“, erzählt Werner.
„Ihr braucht ja nur kommen“
Seit einem Jahr gab es Gerüchte über ein Aus. „Ich habe zu den Leuten gesagt, ihr braucht ja nur kommen“, erzählt Werner. Doch gekommen ist niemand.
Und dann der Kampf gegen die Inflation: Vor Corona habe das Gemüse unter hundert Euro gekostet. „Heute zahlen wir für ein Drittel über hundert Euro. Das Gas hat sich fast verdoppelt“, rechnet Werner Kellner vor. Er habe Strom „ohne eingespart“, die monatliche Rechnung kletterte von 500 Euro auf 800.
Stabile Preise seit über zwei Jahren
„Und dann musst du dich mit den Gästen streiten, weil du angeblich so teuer geworden bist“, erzählt Werner. Dabei sei er „seit über zwei Jahren mit den Preisen nicht raufgegangen“. Aber die Leute haben selber weniger im Geldbeutel, sind sensibler.
Und dann noch das: „Es gibt kein Personal mehr“, sagt Elvira Keller. Vor Corona hatten sie 26 Mitarbeiter, zum Schluss nur noch acht. Davon wurde eine schwanger und die andere ist weggezogen.
Personalkosten steigen um bis zu 50 Prozent
„Wenn du aufmachst, brauchst du drei Leute“, rechnet Rudolf Kellner vor. Die bekommen zwölf Euro Mindestlohn plus Nebenkosten. „Da sitzt noch kein Gast herin. Die arbeiten uns in Berlin auf.“ Laut Holger Nagl, Wirte-Sprecher im Landkreis, lag der Mindestlohn vor Corona bei neun Euro. Jetzt sind es zwölf. Das mache bis zu 50 Prozent mehr Personalkosten.
Dann bleibt nur noch eines: Zusperren
Wenn kein Gast kam, „dann hast du das Personal umsonst bezahlt“, so Werner Kellner. Und wenn nach sechzehn Stunden Arbeit unterm Strich nichts bleibt, dann bleibt nur eins: Zusperren.
Wie es weitergeht? Das wissen sie noch nicht. Sie räumen jetzt erst einmal auf und nehmen Abschied von einem Stück Mühldorfer Geschichte, von ihrem Lebensinhalt und ihren Träumen.
Dem Wirtshaussterben droht eine Fortsetzung
„Der Familie Kellner gebührt für viele, viele Jahre Gastrotätigkeit ein Dank. Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich“, sagt Holger Nagl, Hammerwirt und Sprecher der Wirte im Landkreis Mühldorf, zu dem Aus. Er verstehe den Schritt, weil die Situation „so schwierig ist und die Kostensteigerungen so eklatant sind, dass es mit Sicherheit noch mehr Betriebe geben wird, die das Handtuch schmeißen werden.“ Die Wirte können die steigenden Kosten auch nicht an die Gäste weitergeben, „weil die Kunden durch die Inflation und die Nachrichten weniger zur Verfügung haben und sparen. Diese Schere ist fatal für die Branche.“
In den Corona-Krisenjahren haben von 2019 bis 2021 bayernweit über 6.500 Gaststätten geschlossen, so der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA. Im Landkreis Mühldorf waren es 39 von ursprünglich 251 Betrieben. Das ist ein Minus von 16 Prozent; in Oberbayern lag das Minus bei zwölf Prozent. Umso eindringlicher warnt DEHOGA vor der möglichen Mehrwertsteuererhöhung bei Speisen von derzeit sieben auf 19 Prozent. Wirte-Sprecher Nagl befürchtet bayernweit im ersten halben Jahr weitere 2.500 Schließungen: „Die Lage ist so dramatisch, wie es klingt. Das wäre ein Todesstoß für die Branche.“

