Verendet, vernachlässigt, getötet
Tier-Dramen auf Höfen in der Region: Chronologie des Schreckens und ein schockierendes Detail
Dutzende tote und vernachlässigte Kühe in Rimsting, hunderte verendete Hühner in Söchtenau, 50 tote Tiere in Griesstätt – und ganz aktuell neun tote Rinder in Bad Aibling: Die Region erschüttern dramatische Tierschutz-Skandale auf Höfen. Eine Chronologie des Grauens. Was die Fälle gemeinsam haben.
Bad Aibling/Griesstätt/Rimsting/Söchtenau – Gefühlt scheint derzeit ein Tierschutz-Skandal den nächsten zu jagen in der Region. In der Tat gab es in den vergangenen zwei Jahren mehrere Fälle dramatischen Ausmaßes auf Höfen. Eine Chronologie, die zeigt, dass es einen roten Faden gibt, der alle Dramen zu verbinden scheint.
33 tote Rinder in Rimsting
Am Abend des 16. Mais 2023 fanden Mitarbeitende des Veterinäramtes Rosenheim in Rimsting 33 tote Rinder. 97 weitere überlebten, sie kamen in einem Notstall unter. Der Landwirt wurde wegen Tötung und quälerischer Misshandlung von 89 Tieren, jeweils durch Unterlassen, angeklagt. Was vor Gericht zu Tage kam: Die Einsatzkräfte, die die noch lebenden Tiere vom Hof retteten, mussten dabei tief durch Gülle und Dreck waten, der Gestank war laut Zeugen unerträglich.
Oft steckt hinter Fällen menschliches Drama
Der „Horrorstall von Rimsting“ machte bundesweit Schlagzeilen. Vor dem Amtsgericht Rosenheim wurde das ganze Ausmaß der Tragödie deutlich. Dahinter steckte auch ein menschliches Drama: Der Landwirt hatte psychische Probleme, hatte sich abgekapselt, war überfordert. Er musste schwere persönliche Schicksalsschläge verarbeiten, litt unter finanziellen Sorgen, wie sich vor Gericht herausstellte. Zeugen beschrieben ihn aber auch als engagierten Bauern, bei dem jede Kuh im Stall einen eigenen Namen hatte. Das Amtsgericht verurteilte den damals 48-Jährigen zu zwei Jahren auf Bewährung.
400 tote Hühner in Söchtenau
Anfang 2024 dann der nächste Fall: In Söchtenau wurden 400 tote Hühner entdeckt. Wieder war es ein anonymer Hinweis, der das Landratsamt Rosenheim zu einer unangekündigten Kontrolle veranlasste. Der Bauer gab an, die Hühnerhaltung im Januar 2024 aufgegeben zu haben, da er überfordert gewesen sei. Er habe die Tiere deshalb getötet. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Tierhalter eingeleitet.
Vermutlich 50 tote Tiere in Griesstätt
Gut ein Jahr später wurden die Veterinäre erneut zu einem Hof geschickt, auf dem Tierschutzverstöße vermutet wurden. Wieder gab es diesbezüglich einen anonymen Hinweis. Und erneut stellte sich dieser als berechtigt heraus: In dem Betrieb in Griesstätt wurden am 21. März 14 tote Rinder und drei tote Schafe entdeckt. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. In diesem Zusammenhang wurden bei Untersuchungen weitere tote Rinder und Tierteile gefunden. Von 50 verendeten Rindern und Schafen gehen die Behörden mittlerweile aus.
Neun tote Rinder in Bad Aibling
Diesmal dauerte es nur wenige Wochen, bis der nächste Skandal ans Licht kam: Am 9. April wurden auf einem Hof in Bad Aibling neun tote Rinder gefunden, ein weiteres Tier musste eingeschläfert werden. Und wieder war das Veterinäramt durch einen Hinweis aus der Bevölkerung auf mögliche Probleme im Betrieb aufmerksam gemacht worden. Die verbliebenen 19 Rinder kamen in einen Notstall. In Griesstätt waren drei weitere erlöst worden, weil sie sich in einem schlechten Gesundheitszustand befunden hatten.
Auch Fall im Nachbarlandkreis
Doch auch der Nachbarlandkreis Mühldorf wurde nicht verschont: Hier stand im November 2024 ein Landwirt vor Gericht, weil er seine Rinder schwer vernachlässigt habe. Acht waren tot gefunden worden, 18 weitere stark abgemagert. Die Tiere standen bei einer Kontrolle des Veterinäramts in einem Gülle-See im Stall, mit verschmutztem Fell. Der Angeklagte gab als Grund vor Gericht Depressionen und Schicksalsschläge an. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten mit dreijähriger Bewährungszeit verurteilt.
Landwirte extrem unter Druck
Bei den ganzen Tragödien fällt eines auf: Die meisten Landwirte standen unter extremen Druck und psychischen Belastungen. So wurde bei der Kontrolle auf dem Hof in Bad Aibling laut dem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Traunstein „eine Überlastungssituation offenbar“. Das Gleiche gilt auch in Rimsting, wie sich vor Gericht herausstellte, außerdem in Söchtenau und vermutlich auch in Griesstätt, wo die genauen Umstände jedoch noch nicht geklärt sind.
Landwirte stehen unter enormen Druck: Existenziell überleben nur die Betriebe, die viel Geld in die Modernisierung investieren und expandieren. Hinzu kommen ausufernde bürokratische Auflagen und Reglementierungen. „Manche gehen in Arbeit unter“, warnte Bauernobmann Josef Andres bereits nach Bekanntwerden der Fälle in Rimsting und Söchtenau. Und verwies darauf, dass viele Landwirte Frust oft in sich hineinfressen würden. Nicht jeder schaffe es, bei starker Überlastung rechtzeitig zu reagieren. „Depressionen und Burnout sind bei Landwirten weit verbreitet.“
Ministerien sehen keinen Reformbedarf
Landwirtschaftministerin Michaela Kaniber verweist auf Anfrage zwar auf die vielfältigen Hilfsmöglichkeiten für Betriebe, deren Leitungen sich überlastet fühlen. Doch anscheinend ist die Hemmschwelle, sich Unterstützung zu holen, nach wie vor hoch. In der Kritik steht auch die Kontrolltätigkeit der Behörden: Das für den Verbraucher- und Tierschutz zuständige Umweltministerium von Thorsten Glauber sieht jedoch keinen Reformbedarf.
Eine weitere Verbindung gibt es zwischen den vier Fällen im Landkreis Rosenheim: Aufgedeckt wurden sie jeweils durch anonyme Hinweise aus der Bevölkerung.
