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Amtsgericht Mühldorf

Beim Mähen überfahren: Der grausame Tod eines Rehkitzes und die Verantwortung des Bauern

Wenn Rehkitze im hohen Gras liegen, kann sie der Bauer beim Mähen nicht sehen. Weil er ein Tier überfahren haben soll, stand jetzt ein Landwirt in Mühldorf vor Gericht. Der Vorwurf: Tierquälerei.
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Wenn Rehkitze im hohen Gras liegen, kann sie der Bauer beim Mähen nicht sehen. Weil er ein Tier überfahren haben soll, stand jetzt ein Landwirt in Mühldorf vor Gericht. Der Vorwurf: Tierquälerei.

Der Tod eines Rehkitzes beim Mähen brachte einen Landwirt vor das Amtsgericht Mühldorf. Er musste sich nun wegen Tierquälerei verantworten. Wie urteilt der Richter?

Mühldorf/Niedertaufkirchen – Ein Drama für Mensch und Tier, für den Bauern und das Rehkitz: An einem Mittwoch im Juni 2024 soll Landwirt Richard Starflieger (Name von der Redaktion geändert) beim Mähen seiner Wiese ein Rehkitz überfahren und noch lebend, aber schwerst verletzt am Feldrand abgelegt haben. Es dauerte Stunden, bis ein Jäger das Tier erlöste. Mehrere Stunden, schätzt der Jagdpächter als Zeuge vor Gericht.

Gerichtssaal bis auf den letzten Platz gefüllt

Ein Drama, das den Sitzungssaal 116 im Mühldorfer Amtsgericht bis auf den letzten Platz füllt. Fast 50 Besucher, Landwirte und Tierschützer, sitzen auf den Plätzen. Eine Frau trägt eine Plakette mit einem Rehkitz darauf an der Bluse. In der Pause prallen Welten aufeinander, es gibt heftige Diskussionen. In den Gruppen untereinander, aber auch mit Vorwürfen der einen gegen die anderen. Am Ende, während der Plädoyers, kommen Zwischenrufe dazu.

Drohnenflüge können Kitze retten

Richard Starflieger ist der Bauer, der vor Gericht steht und der Tierquälerei beschuldigt wird. Er ist Landwirt im Haupterwerb, sein Hof wirft netto zwischen 2000 und 2500 Euro ab. 1000 davon gehen an seine Eltern, die als Austragler auf dem Hof leben.

Am 4. oder 5. Juni 2024 soll das Wetter schön sein, das Gras steht hoch, Zeit für die Mahd. Eine vereinbarte Drohnenabsuche des Feldes für den 4. Juni sagt Starflieger ab, er mäht am Mittwoch, 5. Juni, trotzdem.

Viele Rehe legen ihre Jungen im hohen Gras von Wiesen ab.

Starflieger selbst sei am Vorabend die Wiese abgegangen und danach sehr vorsichtig gewesen, sagt der Anwalt: Niedrige Geschwindigkeit, Wildschreck-Piepser am Mähwerk, Maßnahmen, die der sogenannte Mähknigge empfiehlt. Trotzdem könne er nicht ausschließen, das Kitz überfahren zu haben. Was er aber ausschließen kann: „Er hat das Rehkitz nicht am Rand abgelegt.“

Eine Nachbarin bestätigt als Zeugin vor Gericht, dass Starflieger langsam gemäht habe, am Mähwerk sei ein laut piepsendes Warngerät angebracht gewesen.

„Der Rest“, sagt der Anwalt, „ist Spekulation und Mutmaßung.“ Eine Verpflichtung, das Grundstück mit der Drohne abzufliegen, ergebe sich aus dem Gesetz nicht.

Schutzempfehlungen im Mähknigge

Der Mähknigge gibt Schutzempfehlungen, Richter Florian Greifenstein sagt: „Da sind Maßnahmen empfohlen – das sind keine Rechtspflichten.“

Sehr früh in der Verhandlung sagt Greifenstein, in welche Richtung der Prozess gehen könnte: „Einen Vorsatz wird man nicht herbringen.“ Aber auch fahrlässiges Handeln könne eine Ordnungswidrigkeit sein. Aber höchstens dann, wenn man keine Sicherungsmaßnahmen ergreife.

Ein Bauer mäht hochstehendes Gras.

Aufgekommen ist die Tierquälerei, weil sich ein Anrufer beim Verein „Wildes Bayern“ gemeldet hat. Dessen Vertreterin ist Dr. Christine Miller, 67, Biologin. Sie hat den anonymen Anruf entgegengenommen und den Leiter des örtlichen Hegerings über den Fund informiert. Der Jagdpächter setzte sich ins Auto, suchte ein abgemähtes Feld und fand an dessen Rand schließlich das schwer verletzte Tier. „Wenn Sie ein Kitz mal schreien hören, wissen Sie, dass man das sehr weit hört. Die schreien wirklich erbärmlich“, sagt er.

Der Jagdpächter untersucht und erschießt es schließlich. Alle vier Beine seien schwer verletzt gewesen, sagt er vor Gericht.

Der Jagdpächter ist auch der, an den sich Bauer Starflieger gewandt und um eine vorherige Drohnensuche gebeten hatte. 2022 und 2023 habe diese Art der Zusammenarbeit funktioniert. „Vorletztes Jahr haben wir sehr gut zusammengearbeitet“, erzählt der Jagdpächter, der zu den Mitbegründern des Vereins gehört, der Drohnen zur Kitzrettung angeschafft hat.

Staatsanwältin: tierquälerisches Verhalten

Der Jagdpächter verweist auf Untersuchungen der TU München und Veröffentlichungen in landwirtschaftlichen Zeitungen. Die sagen über Piepser, wie sie auch Starflieger genutzt hat: „Viele dieser Maßnahmen sind nicht ausreichend wirksam.“ Heute gibt es andere Möglichkeiten: „Nur die Drohne mit der Wärmebildkamera ist zuverlässig.“ Der Jagdpächter spricht von einer 98-prozentigen Sicherheit. Drei Tage vor dem Termin habe Starflieger die Drohne angefordert. „Dann hat er ihn abgesagt. Und nicht wieder angefragt.“

Auch Staatsanwältin Anna Hesse spricht von mangelnden Sicherheitsmaßnahmen, von tierquälerischem Verhalten mit bedingtem Vorsatz, weil Starflieger auf die Absuche oder einen Drohnenflug verzichtet und die Verletzung billigend in Kauf genommen habe. Außerdem habe er das verletzte Kitz leiden lassen, statt es zu erlösen. Sie fordert eine Geldstrafe 180 Tagessätzen zu 70 Euro: 12.600 Euro. Keine geringe Strafe.

Verteidiger Bernhard Hartsperger betont dagegen, dass sein Mandant Sicherheitsmaßnahmen ergriffen habe. Es sei ihm nicht egal gewesen, ob ein Kitz in der Wiese liegt, er habe nicht schnell gemäht, weil es pressiert habe. Und vor allem: „Er hat die Wiese abgesucht.“ Einige Besucher im Saal lachen spöttisch.

Solle sein Mandat das Mähen drei Stunden vorher anmelden und dann warten, bis das Feld mit der Drohne abgeflogen worden sei, fragt Hartsperger. Eine Zuhörerin ruft: „Ja“, ein anderer erwidert: „Jetzt hoit amoi dei Bappn.“

Dafür, dass Starflieger das Kitz am Rand des Feldes abgelegt haben, gebe es keine Beweise, sagt Anwalt Hartsperger.

Eine üble Geschichte und großes Leid für das Tier

Richter Greifenstein macht es im Urteil kurz: Freispruch. „Es ist klar, dass er das Kitz beim Mähen erwischt hat“, sagt Greifenstein. „Es ist auch klar, dass es eine üble Geschichte ist, die für das Tier zu großem Leid geführt hat.“

Strafbar aber sei das Verhalten des Bauern nach dem Tierschutzgesetz nur dann, wenn er vorsätzlich gehandelt habe. Den Nachweis für einen solchen Vorsatz habe das Verfahren jedoch nicht gebracht. „Das gelingt ohne Rechtszweifel nicht“, urteilt Greifenstein.

Und so mahnt er den Angeklagten, der gemäht habe, ohne alle Schutzmöglichkeiten auszuschöpfen. „Da hätten sie mehr machen können.“ Das solle eine Lehre sein.

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