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Tragödie oder Tierquälerei?

„Manche gehen in Arbeit unter“: Was Bauern-Obmann Andres zum Hühner-Horror von Söchtenau sagt

Bauern-Kreisobmann Josef Andreas in seinem Laufstall.
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„Das ist der Wahnsinn“: Manche Landwirte arbeiten bis zur Erschöpfung, weiß Kreisobman Josef Andres.

Erst Rimsting, nun Söchtenau: Zwei prominente Fälle, in denen Landwirte ihre Tiere offenbar qualvoll sterben ließen. Wohl nicht aus Absicht. Doch wo liegen die Gründe für die Tiertragödien? Und hat die Landwirtschaft insgesamt ein Problem? Bauern-Obmann Josef Andres hat dazu eine klare Meinung.

Söchtenau – Viele Bauern kennen die einschlägigen Geschichten. Aus eigenem Erlebnis. Oder aus ihrer Umgebung. Die Geschichten von Bauern, die Frust und Niedergeschlagenheit nicht mehr packen. Landwirten, die ausbrennen, mit dem Druck nicht mehr fertig werden, die Kontrolle verlieren. Wenn‘s richtig schlimm wird, geht‘s auch durch die Medien. Wie vergangenes Jahr über den Stall in Rimsting, wo über 30 Rinder elend verreckten. Oder kürzlich in Söchtenau, wo ein Landwirt seine Hühner offenbar vernachlässigte und möglicherweise 400 von ihnen sterben ließ.

Bauern fressen den Frust oft in sich rein

Auch Bauern-Kreisobmann Josef Andres aus Pfaffing (52) kann von einem bedenklichen Fall berichten. Von einem Bauer, der ackerte wie ein Verrückter. Er versuchte, allein die Herausforderungen seines Hofs zu meistern. 70, 80, 90 Stunden die Woche schuftete er. „Das war der Wahnsinn“, sagt Andres, „und glangt hat‘s dann trotzdem nicht.“

Der Kollege habe dann – zum Glück für sich und seine Tiere – den Stall aufgegeben. Diesen Weg raus aus hoffnungsloser Lage schaffe nicht jeder, weiß er, und er sieht die Tragik darin. Schließlich hätten Bauern ein enges Verhältnis zu ihren Tieren, fühlten sich ihnen verpflichtet, wollten ihren Hof ja auch in bestem Zustand übergeben. Wenn‘s dann so schiefgeht wie in Rimsting, ist das eine Tragödie. Nicht unbedingt nur für die Tiere. Sondern manchmal auch für Menschen.

Depression ist häufig, die Suche nach Hilfe selten

„Manche gehen in der Arbeit unter“, sagt Andres. Dass Bauern von dunklen Gedanken heimgesucht werden, bleibt oft unterm Radar der Wahrnehmung. „Depressionen und Burnout sind bei Landwirten weit verbreitet“, sagt Andres. „Und das schlimme ist, dass kaum einer von sich aus Hilfe sucht.“

Dabei gibt es Beratungsangebote, fast ebenso viele wie es Ursachen für Frust gibt. Sie liegen im Konkurrenz- und Preisdruck der Gegenwart; in Unsicherheit, die trotz aller Schufterei nicht weichen will; in der Überbürokratisierung, in mangelndem Respekt. Aber auch im Erbe der Vergangenheit. „Die Höfe sind ja oft schon seit vielen Generationen im Familienbesitz“, sagt Andres. Und da will man dann halt nicht derjenige sein, der mit der Tradition bricht. Oder der gar krachend scheitert.

Den Druck machen sich Bauern und ihre Familien manchmal auch selber. „Es herrscht großes Schweigen, das aus der Scham herauskommt und aus der Angst, man könnte für nicht ganz normal gehalten werden“, sagte die Landwirtin und Psychiaterin Karen Hendrix aus Simbach dem Landwirtschaftlichen Wochenblatt.

Ein Arbeitsethos wie aus alter Zeit

Hinzu kommt ein Verständnis von Arbeit, das in anderen Branchen längst aus der Mode ist. Es ist bekannt als: Erst kommt die Arbeit, dann – wenn überhaupt – das Vergnügen. Eine Rangordnung, die „Work-Life-Balance“ ausschließt. Die Jüngeren fassten das mittlerweile besser auf, findet Andres. Doch aus der Elterngeneration kennt er eine ganz andere Haltung. „Als Kinder sind wir kaum mal in die Ferien gefahren“, erinnert er sich, „höchstens mal fünf Tage.“

Weil die Eltern mit dem Wort Urlaub nichts anfangen wollten. Oder konnten – schließlich fühlten sie sich für Tiere und Hof verantwortlich. Nach spätestens einer Woche hätten sie es auswärts nicht mehr ausgehalten. In wenigen Berufszweigen ist der Hang zur Selbstausbeutung so groß wie unter Landwirten. Nicht jeder packt das gut.

Landwirte – Buhmänner der Nation?

Bauern, so findet Andres, haben auch ein Problem in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Die Landwirte in der Region seien top ausgebildet und motiviert. Sie liebten ihren Beruf. Anerkennung finde das nicht immer. „Wenn eine Autowerkstatt einen Reifen nicht ordentlich anschraubt und ein Unfall geschieht, dann ist von der betreffenden Autowerkstatt die Rede“, sagt er. Wenn ein Bauer sich so einen Fehltritt erlaube wie jüngst in Söchtenau – „dann heißt es oft: wieder mal die Landwirtschaft“. Das drücke auf die Stimmung.

Die Laune der Bauern leide auch unter Mangel an Wissen über die Grundlagen. Beispiel Anbindehaltung: der Protest sei laut, Verständnis rar. Dabei könnten viele kleine Landwirte oder Almbauern so schnell nicht umstellen. Die Bauernschaft reagiere, lerne und wandle sich. Nur – auf Geduld dürfe sie kaum hoffen, sagt Andres. Auch nicht von Seiten der Politik. „Dabei bräuchten wir solide Stufen, keine Stolpersteine.“

Im schlimmen Fall endet die Geschichte vor Gericht

Für den Landwirt aus Rimsting, der seine Tiere über Wochen vernachlässigt haben soll, könnte der Weg als Bauer zu Ende sein. Er muss sich ab 18. April vor dem Amtsgericht in Rosenheim verantworten, am Ende der Verhandlung droht eine Haftstrafe und ein Verbot der Tierhaltung. Im Fall der toten Hühner von Söchtenau ermittelt die Staatsanwaltschaft.

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