Wahlergebnisse: Stimmen – Reaktionen
„Schock mit Ansage“ in Wasserburg – Brennglas „verfehlter Migrationspolitik“ in Rott
Katerstimmung und wenig Euphorie am Tag nach der Bundestagswahl: Sie hat auch das Wasserburger und Haager Land durcheinander gerüttelt. Stimmen und Einschätzungen, Überraschungen und Schockmomente, Appelle und Schuldzuweisungen.
Wasserburg/Haag/Rott – „Auch wir konnten uns vom Bundes- und Bayerntrend nicht loseisen“, bedauert Wasserburgs Bürgermeister Michael Kölbl. Er ist einer der wenigen SPD-Bürgermeister in der Region. In Wasserburg, traditionell eher eine rote Stadt, haben die Sozialdemokraten zwar das beste Ergebnis im Landkreis erhalten, doch mit 13,4 Prozent der Zweitstimmen alles andere als gut abgeschnitten. Zum Vergleich: 2021 schaffte es die SPD in Wasserburg bei den Zweitstimmen auf 19,3 Prozent.
Wahlsieger CSU: „Ränder sind da“
Wahlsieger in Wasserburg ist die CSU: mit 31,1 Prozent der Zweitstimmen. Sie holte stark auf gegenüber 2021, als sie auf 25,2 Prozent kam. CSU-Ortsvorsitzender Wolfgang Schmid findet: „Mit dem aktuellen Ergebnis haben wir wieder das Level erreicht, das wir als CSU vor 2021 in der Regel hatten.“ Doch er räumt ein: „Die Ränder sind auch in Wasserburg da, noch nicht stark, aber sie sind da, das können wir nicht verleugnen.“
Schmid hofft jetzt darauf, dass es jetzt schnell gelingt, in Berlin eine neue Regierung zu finden und wieder handlungsfähig zu werden. „Ich glaube jedoch, dass es eher schwierig wird mit der SPD“, sagt er. Die Partei sei aufgrund des historisch schlechten Wahlergebnisses auf Bundesebene in die Enge getrieben, gleichzeitig werde sie jedoch für die Koalition benötigt. „Das wissen die auch.“ Die große Politik könnte sich ein Beispiel an Wasserburg nehmen, findet Schmid. „In Wasserburg können alle demokratischen Parteien miteinander reden und arbeiten.“ Bei der Kommunalwahl befürworten SPD, CSU, Grüne und Bürgerforum sogar gemeinsam einen Kandidaten: Bastian Wernthaler (Gegenkandidat bisher: Georg Gäch).
Bürgermeister Michael Kölbl: „Schock mit Ansage“
„Ein Schock mit Ansage“ war für Bürgermeister Kölbl das Abschneider der AfD in Wasserburg: Sie schaffte es hier bei den Zweitstimmen auf 16,5 Prozent. Damit hat die Partei ihr Ergebnis gegenüber 2021 mehr als verdoppelt (damals waren es 7 Prozent). Eine hohe Zahl für eine Stadt wie Wasserburg, die Wert auf ihre bunte Vielfalt und ihre Integrationsbereitschaft legt. Das AfD-Ergebnis in Wasserburg sei zwar „leicht abgeschwächt“ gegenüber vielen anderen Kommunen im Landkreis, aber trotzdem „für mich nicht einfach zu verdauen“, so Kölbl.
Ziel: Vertrauen zurückgewinnen
Er hoffe jetzt darauf, dass die zukünftige Regierung es schaffe, Vertrauen bei Protestwählern zurückzugewinnen. Dafür müssten sich die „vielen Alpha-Menschen“ in der zu erwartenden Schwarz-Roten-Koalition zurücknehmen und die konstruktive Teamarbeit in den Fokus rücken. „Vor allem müssen die Verantwortlichen es schaffen, mit einer Zunge zu sprechen“, findet Kölbl. Es müssten Lösungen für die vier Megathemen Migration, innere und äußere Sicherheit sowie wirtschaftliche Stagnation gefunden werden, und zwar schnell.
Stark abgeschnitten haben in Wasserburg auch die Linken: 8,7 Prozent der Zweitstimmen. Im Wahllokal Rathaus (Innenstadt) kamen sie sogar auf 20,4 Prozent. „Das ist ein Weckruf für die SPD“, sagt Kölbl. Soziale Themen, eigentlich das Grundthema der Sozialdemokraten, müssten in der Partei wieder eine größere Rolle spielen. In Wasserburg leben nach seiner Erfahrung viele Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten. Aus diesen Reihen kommt nach seiner Einschätzung die Beliebtheit der Linken in der Stadt. Tatsache sei, dass für die breite Mitte der Bevölkerung, für Menschen mit normalen bis niedrigen Einkommen, das Leben finanziell immer herausfordernder werde: „Es wird schwerer, Miete, Kinder, Auto unter einen Hut zu bringen“, bedauert Kölbl.
Er bedankt sich angesichts der reibungslos verlaufenen Wahl nicht nur bei den vielen freiwilligen Helfern, sondern auch bei allen Mitarbeitern der Stadtverwaltung, die fast alle vor und während der Wahl in unterschiedlichen Funktionen im Einsatz gewesen seien.
Haags Bürgermeisterin „schockiert“
Haags Bürgermeisterin Sissi Schätz zeigt sich am Tag nach der Bundestagswahl „ernüchtert“: Ihre Hoffnung, dass die AfD in der Marktgemeinde unter 20 Prozent bleibt, hat sich nicht erfüllt: 21,3 Prozent bei den Zweitstimmen. Dass die AfD auch in Haag ihr Ergebnis verdoppelt hat, so wie im Bundestrend, treffe sie sehr. Schätz, eine der wenigen Rathauschefs in Bayern mit SPD-Parteibuch, ist naturgemäß auch geknickt angesichts des schwachen Abschneidens der Sozialdemokraten (8,7 Prozent der Zweitstimmen). Wobei sie dies nicht wundere angesichts der Tatsache, dass im Wahlkampf den Leuten immer wieder vermittelt worden sei, die Ampel-Regierung unter Scholz sei eine der schlechtesten und unbeliebtesten, die es jemals gegeben habe. „Das macht was mit den Leuten.“
Die nun zu bildende Schwarz-Rote-Koalition ist in ihren Augen nicht der Politikwechsel, der allgemein gefordert werde, „sondern wieder die Kombi vor der Ampel“. Sie sei jedoch zuversichtlich, dass es schnell zu einer Einigung komme. Nun gelte es, in einer neuen Koalition zusammenzuhalten und wieder Vertrauen in die etablierten Parteien zu schaffen. Dann könnten viele, die aus Protest die AfD gewählt hätten, wieder zurückgeholt werden. Einen AfD-Ortsverband gebe es in Haag nicht, auch keine Persönlichkeiten, die sich diesbezüglich hervorgetan hätten, so ihre Einschätzung. Das hohe AfD-Ergebnis in der Marktgemeinde interpretiert Schätz deshalb als Protestbewegung.
Schätz: FDP hätte Einzug nicht verdient
Dass auch viele frühere SPD-Wähler zur AfD gewandert sind, „schockiert mich“, sagt sie. Eine Entwicklung hat sie jedoch als positiv empfunden: Dass die FDP nicht wieder in den Bundestag eingezogen ist. „Das hätte sie auch nicht verdient.“ Die Zündeleien von Lindner seien ein großes Hemmnis bei der Ampel-Politik gewesen.
Schätz hofft darauf, dass Boris Pistorius angesichts der großen außenpolitischen Herausforderungen Verteidigungsminister bleibt, außerdem brauche es einen starken Finanzminister oder eine starke Finanzministerin. Die neue Regierung müsse neue Wege gehen. Eins möchte die Bürgermeisterin jedoch nicht: „Dass das Heizungsgesetz wieder abgeschafft wird“. Die Kommunen hätten sich mit ihren Wärmeplanungen darauf eingestellt. Eine Abkehr führe zu neuen Verunsicherungen und Wartezeiten auf Fördermittel, so Schätz. Beim Thema Migration kann Haag nach ihren Angaben „nicht jammern“. Die Gemeinde setze auf dezentrale Unterkünfte, „das funktioniert.“
„Überraschend ist dieses Ergebnis nicht“
In Rott holte die AfD das stärkste Ergebnis im Landkreis Rosenheim; 27, 5 Prozent der Zweitstimmen. Eigentlich kein Wunder angesichts der Tatsache, dass es hier einen Ortsverband Wasserburg-Rott gibt, mit Direktkandidatin Leyla Bilge als Vorsitzender, und ein Mega-Thema: den Widerstand gegen eine geplante große Flüchtlingsunterkunft. „Überraschend ist dieses Ergebnis nicht“, betont deshalb auch Bürgermeister Daniel Wendrock (parteifrei), „treffen doch viele Probleme einer aktuell in mehrerlei Hinsicht verfehlten Migrationspolitik wie durch ein Brennglas fokussiert in Rott auf“.
„Unabhängig davon, wie man hierzu nun im Einzelnen stehen mag, gilt es festzustellen, dass davon politische Kräfte profitieren, die das Thema Migration und Asyl als ihr Kernthema definiert haben. Speziell die Orts-CSU hat sich nach meiner Wahrnehmung durchaus schwergetan, hier eigene Akzente zu vermitteln, obwohl sie zur Thematik der geplanten Sammelunterkunft in ihrer ablehnenden Haltung eigentlich immer klar war. Jedoch darf man nicht übersehen, dass die wesentlichen Entscheidungen in dieser Sache in CSU-geführten Behörden gefallen sind“, nimmt der Rathauschef Stellung.
Rekordwahlbeteiligung in Kirchdorf
Rekord in Kirchdorf: Dort lag die Wahlbeteiligung bei sensationellen 93 Prozent, der höchste Wert im Verbreitungsgebiet der Wasserburger Zeitung und ihrer Online-Portale. Bürgermeister Christoph Greißl (FWG) wundert es nicht: Er habe mit 90 Prozent gerechnet, sagt er. „Die Kirchdorfer nehmen ihre Wahlpflicht sehr ernst“, weiß der Rathauschef, darauf sei er stolz. Die Bürgerinnen und Bürger würden mitbestimmen wollen. Wenn ihnen etwas nicht passe, würden die Kirchdorfer nicht nur schimpfen, sondern, wie es sich für gute Demokraten gehöre, auch zur Wahl gehen. Natürlich habe auch die große Unzufriedenheit mit der Bundespolitik eine Rolle gespielt. Und auch in Kirchdorf, CSU-Hochburg (47,9 Prozent der Zweistimmen) viele bewegt, ihre Stimme der AfD zu geben: 17,6 Prozent. Großer Verliere seien jedoch die Freien Wähler: Sie rutschen von 21,3 (2021) auf 9,8 Prozent bei den Zweitstimmen ab. Das Abschneiden der AfD überraschte Greißl nach eigenen Angaben nicht, denn anders als bei der Wahl 2021 hätten viele diese Entscheidung sogar offen kommuniziert. „Jetzt liegt es an der neuen Regierung, den Umschwung zu schaffen“, appelliert Greißl.