„Kann auch sein, dass Rott vor Gericht gewinnt“
Streit um Flüchtlings-Unterkunft in Rott: Landrat Otto Lederer im Exklusiv-Interview
Die Flüchtlingsunterbringung wird zur Zerreißprobe, auch unter den Kommunen im Landkreis Rosenheim. Die Angst vor Überforderung durch große Gemeinschafts-Unterkünfte, wie in Rott geplant, geht um. Landrat Otto Lederer gibt im Exklusiv-Interview Antworten auf drängende Fragen, die sich nicht nur die Rotter stellen.
Rott – Der Fall Rott spaltet den Landkreis Rosenheim. Es gibt Kommunen, die erleichtert reagieren, weil sie nicht von einer großen Flüchtlingsunterkunft betroffen sind, andere, so wie die Gemeinde Rott, sehen sich einer Situation ausgesetzt, die ein kleines Dorf, das 500 Menschen aufnehmen soll, nicht bewältigen könne. Landrat Otto Lederer (CSU) über das Ringen nach Transparenz und Fairness.
Im Kreis Weilheim-Schongau hat das Landratsamt einigen Gemeinden angekündigt, ihnen Busse mit Flüchtlingen vor das Rathaus zu stellen, wenn sie keine Unterkünfte schaffen würden. Ist das eine Androhung eines Landratskollegen, die Sie angesichts der Widerstände auch im Landkreis Rosenheim verstehen können?
Otto Lederer: Ich denke, diese Vorgehensweise zeigt, unter welchem Druck die staatlichen Landratsämter mittlerweile stehen. Denn die Verteilung der Flüchtlinge läuft folgendermaßen ab: Die Bundesländer bekommen nach dem Königsteiner Schlüssel die Asylbewerber und Flüchtlinge zugewiesen. Innerhalb Bayerns folgt eine Verteilung auf Regierungsbezirke und von den Regierungsbezirken auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Eine weitere Verteilungsfunktion nach Quoten gibt es nicht. Die staatlichen Landratsämter sind also auf Angebote, die es auf dem freien Markt gibt, angewiesen. Wenn diese Angebote immer knapper werden, kann das dazu führen, dass manche Landkreise zu besonderen Vorgehensweisen greifen. Vergleichbares haben wir nicht vor. Aber auch wir merken, dass wir zwar mittlerweile rund 280 Liegenschaften im Landkreis (Gebäude und Wohnungen) angemietet haben, die Zahl der infrage kommenden Objekte aber kaum mehr relevant steigt, weil der Wohnungsmarkt einfach ausgeschöpft ist.
Deswegen muss es auch mal einen großen Wurf geben wie in Rott?
Lederer: Ja, es ist tatsächlich so, dass Wohnungen, die in dem Preissegment liegen, in dem wir auch anmieten dürfen, Mangelware sind. Und vor diesem Hintergrund sind wir mittlerweile schon seit geraumer Zeit gezwungen, auch auf Flächen zu gehen, auf denen man zum Beispiel über Container Wohnmöglichkeiten schaffen kann. Und das sind in der Regel dann größere Einheiten. Außerdem sind wir mittlerweile auch auf Gewerbeimmobilien angewiesen.
Das trägt aber zu Unfrieden unter den Kommunen bei. Gemeinden wie Rott haben Pech, andere Glück, weil es keine größeren Objekte oder Flächen gibt?
Lederer: Es gibt in der Tat Städte und Gemeinden, die mehr belastet sind, andere weniger. Das trägt nicht dazu bei, dass die Stimmung unter den Kommunen verbessert wird. Auch Rott verweist darauf, es gebe doch viele andere Gemeinden, die deutlich weniger Flüchtlinge aufgenommen hätten. Doch das liegt nicht immer am Bürgermeister oder an der Kommune. Denn wenn in dieser Gemeinde eben tatsächlich kein entsprechender Wohnraum zur Verfügung steht und wenn die Kommune wirklich keine geeigneten Flächen hat, dann ist es für sie kaum möglich, die Flüchtlinge unterzubringen.
Es stellt sich trotzdem die Frage: Warum veröffentlicht der Landkreis nicht die Zahlen, die genaue Aussagen darüber machen, welche Kommune wie viele Geflüchtete und Asylbewerber aufgenommen hat. Wäre das nicht trotz allem für die Transparenz besser?
Lederer: Wie genau sind denn diese Zahlen? Das, was wir sehr genau liefern können, sind die Zahlen der Asylbewerber. Denn sie werden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von uns ja auch untergebracht und betreut, während sich zum Beispiel Flüchtlinge aus der Ukraine jederzeit eine eigene Bleibe suchen können. Das heißt, es gibt eine große Zahl von Menschen, deren Daten nicht bei uns im Landratsamt verwaltet werden. Und vor diesem Hintergrund können wir die von Ihnen gewünschten Zahlen nicht exakt beziffern, sodass sie nur bedingt aussagekräftig sind. Und selbst wenn eine Gemeinde unterdurchschnittlich wenig Flüchtlinge aufgenommen hat, dann heißt es nicht, dass diese Kommune unkooperativ ist. Wenn eine Kommune eine höhere Belastung in diesem Bereich aufweist, dann ist sie nicht automatisch besonders kooperativ.
Trotzdem bleibt es ja eine Tatsache, dass Rott im Vergleich zur Einwohnerzahl auf jeden Fall überdurchschnittlich belastet würde durch die neue große Unterkunft.
Lederer: Leider ist das so. Mit dieser zusätzlichen Einrichtung wäre Rott sicherlich die Gemeinden, die pro Kopf die höchste Dichte an Asylbewerbern beziehungsweise Flüchtlingen bei uns im Landkreis hätte. Wobei ich darauf hinweisen möchte: Flüchtlinge, die dauerhaft in einer Gemeinde bleiben, haben auch Anrechte bezüglich Kita-Platz, Schule, Integration in der Gesellschaft und in Arbeit. Das heißt, da hätte die Gemeinde weitere Belastungen, die ja bei einer Unterbringung, wie wir sie hier in Rott andenken, nicht auftritt, weil die Menschen hier voraussichtlich nur einige Wochen da sein werden.
Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ist die Gemeinde Greiling vor das Verwaltungsgericht gezogen. Und da hat sie in einem Eilverfahren vorerst Recht bekommen. Zuweisungen seien ein Eingriff ins Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Erwarten Sie, dass jetzt auch Gemeinden im Landkreis Rosenheim diese Karte ziehen?
Lederer: Nein, denn bei diesen Gemeinden geht es um etwas völlig anderes als in Rott. In diesen Kommunen sollte es Zuweisungen an die Gemeinde geben. Zuweisungen haben wir im Landkreis weder jemals gemacht noch vor. Bei uns geht es darum: Ist diese Immobilie, die wir in Rott angemietet haben, baurechtlich geeignet?
Doch nehmen wir mal an, das Landratsamt setzt sich juristisch durch, die Immobilie wird umgebaut und dann werden die Flüchtlinge geschickt. Ist das dann keine Zuweisung?
Lederer: Nein, da muss man wirklich unterscheiden. Diese Zuweisung, die Sie angesprochen haben, läuft so: Der Landkreis teilt der Gemeinde die Flüchtlinge zu, diese muss dann selber nach Unterkünften suchen. Das haben wir nicht vor. Wir haben eine Unterkunft gesucht, wir haben eine gefunden und die Gemeinde sagt: Wir sind der Meinung, dass die Nutzung baurechtlich nicht geht. Das ist eine völlig andere Schiene. Bei den 280 Unterbringungsmöglichkeiten, die wir im Landkreis haben, ist es immer so gelaufen: Entweder passt die Nutzung baurechtlich von Anfang an oder sie kann durch eine Nutzungsänderung ermöglicht werden. Wenn nicht, dann ist das Objekt für unsere Zwecke nicht geeignet. Das haben wir schon hundertfach bei uns im Landkreis durchgemacht.
Sie haben Ihre Enttäuschung über die Entscheidung des Gemeinderates Rott schon deutlich gemacht. Sie sprechen von einer vertanen Chance auf einen Kompromiss. Die Gemeinde hatte ja die Aufnahme von 100 Geflüchteten angeboten, der Bürgermeister betont, er würde auch bei 180 noch mit sich reden lassen. Sie wollten jedoch 250. Doch wären 100 bis 180 nicht wenigstens ein kleiner Kompromiss gewesen?
Lederer: Hintergrund ist, dass wir zwei Turnhallen haben, die seit weit über einem Jahr belegt sind. Die Belegung von Turnhallen stellt nur eine Notunterbringung dar. Darüber hinaus zweckentfremden wir Hallen, die für den Schul- und Vereinssport gedacht sind. Diese Zweckentfremdung wird vom staatlichen Landratsamt begründet mit der Tatsache, dass wir auf dem freien Markt nichts Adäquates finden. Jetzt haben wir auf dem freien Markt etwas Adäquates gefunden. Jetzt besteht keine Rechtfertigung mehr dafür, dass wir diese Turnhallen belegen und zweckentfremden. Wir haben nur deshalb signalisiert, dass wir auch mit Alternativen einverstanden sein würden, weil die Gemeinde Rott angekündigt hat, alle Mittel zu nutzen, um diese baurechtliche Genehmigung zu verhindern. Und vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand. Das heißt, es kann auch durchaus sein, dass die Gemeinde Rott vor Gericht gewinnt. Wir persönlich schätzen, dass diese Wahrscheinlichkeit bei deutlich unter 50 Prozent liegt, aber sie ist nicht bei null. Und vor diesem Hintergrund könnten wir uns auch Alternativen vorstellen mit weniger als 500. Aber nicht in einer Größenordnung, bei der wir nicht beide Turnhallen freibekommen.
Trotzdem: Eine freie Turnhalle, das wäre doch schon mal eine Erleichterung.
Lederer: Das müssen Sie dann mal den Eltern und Kindern und natürlich auch den Sportvereinen erläutern, weshalb die eine Halle frei wird, die andere nicht. Und bislang war es ja so, dass wir in diesen beiden Turnhallen maximal 282 Flüchtlinge insgesamt untergebracht haben. Das heißt, mit einer Kapazität in Rott von 250 hätten wir große Chancen gehabt, beide Turnhallen freizubekommen. Ich bin den Eltern und Lehrern sowie Vereinen in Bruckmühl und Raubling unendlich dankbar, dass sie diese schwierige Zeit jetzt weit über ein Jahr gemeistert haben. Darüber hinaus ist die Unterbringung in dieser Gewerbehalle sicherlich eine Verbesserung im Vergleich zu den Turnhallen.
Wirklich? Die Bürgerinitiative in Rott und auch die Gemeinde weisen immer wieder darauf hin, dass auch in der Industriehalle im Gewerbegebiet in Rott menschenunwürdige Lebensbedingungen vorherrschen würden. In kleinen Zellen müssten die Geflüchteten auf engstem Raum zusammen wohnen.
Lederer: Ähnliches haben wir bei den Turnhallen auch. In Raubling sind beispielsweise mehrere hundert Menschen in einer einzigen Halle untergebracht. Im gewerblichen Gebäude in Rott gibt es Unterteilungsmöglichkeiten. Da kann ich dann unterschiedliche Klientel leichter trennen, was in einer großen, geschlossenen Halle natürlich viel schwieriger ist. Wir sind uns alle einig, dass eine Unterbringung in einer Gewerbehalle nicht ideal ist. Uns wäre es natürlich auch lieber, wenn wir alle dezentral in Wohnungen unterbringen könnten. Die Integration würde viel einfacher gelingen. Wir könnten die Menschen gleichmäßiger verteilen.
Die Frage nach einer möglichen Schadstoffbelastung durch Quecksilber in der Gewerbehalle ist ein Hebel, den die Bürgerinitiative jetzt setzt. Wie geht es denn diesbezüglich weiter? Gibt es ein Gutachten?
Lederer: Wir haben von dieser Thematik vorher nichts gewusst. Das wurde uns erst im Laufe der vergangenen Monate mitgeteilt über die Gemeinde Rott und über die Bürgerinitiative. Wir haben das sofort mit unserem Vermieter abgeklärt. Wir sind sogar auf die Firma zugegangen, die damals in dieser Halle die gewerbliche Tätigkeit ausgeführt hat. Wir werden jetzt schnellstmöglich ein Gutachten beauftragen, um dann auch wirklich Gewissheit zu haben. Und sollten hier tatsächlich Grenzwerte überschritten werden, dann kommt natürlich eine Belegung unter diesen Bedingungen nicht infrage.
In der jüngsten Pressemitteilung der Bürgerinitiative von „Rott rottiert“ wird der Vorwurf gemacht, es würde in der Halle schon gebaut, obwohl die Umnutzung noch gar nicht genehmigt sei. Tatsache ist: Der Bauzaun steht. Es gibt Sicherheitskräfte, die schon vor Ort sind.
Lederer: Für die bauliche Ertüchtigung des Gebäudes, um dort Menschen unterbringen zu können, ist der Eigentümer zuständig. Er darf in seinen Möglichkeiten Arbeiten durchführen, solange sie genehmigungsfrei sind. Unseres Wissens nach wurden dort bislang nur genehmigungsfreie Arbeiten erledigt. Der Zaun steht aus Sicherheitsgründen, auch als Folge eines Hinweises der Polizei. Das gilt auch für den Sicherheitsdienst. Das ist ein Objekt, das im Fokus steht. Man weiß ja nie. Es hat auch schon einen Vorfall gegeben, bei dem der Sicherheitsdienst Personen auf dem Gelände festgestellt hat. Die Polizei hat es bisher jedoch nicht aufklären können.
Einen faden Beigeschmack hat die Tatsache, dass die möglicherweise erteilte Baugenehmigung von der Baubehörde kommt, die zu einem Staatlichen Landratsamt gehört, das von dieser Baugenehmigung profitiert.
Lederer: Die Untere Bauaufsichtsbehörde hat sich selbstverständlich an Recht und Gesetz zu halten und entscheidet in diesem Rahmen völlig unabhängig. Außerdem gibt es natürlich die Möglichkeit, die Bescheide gerichtlich überprüfen zu lassen. Auch das kann im Übrigen zur Befriedung beitragen.


