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Landrat im Kreuzfeuer von 300 Bürgern

Entsetzen in Rott: Bis zu 500 Flüchtlinge könnten kommen – „Das muss eskalieren“

Voller Saal im Rotter Gasthaus Stechl, wo Landrat Otto Lederer (links) sich schwer tat, die Entscheidung für die geplante Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet zu erklären, und Bürgermeister Daniel Wendrock auf den Widerstand der Kommune pochte.
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Voller Saal im Rotter Gasthaus Stechl, wo Landrat Otto Lederer (links) sich schwer tat, die Entscheidung für die geplante Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet zu erklären, und Bürgermeister Daniel Wendrock auf den Widerstand der Kommune pochte.

„Rott rotiert!“, skandierte die Menge in der Bürgerversammlung zur geplanten Flüchtlingsunterkunft. Buh-Rufe und wütender Protest begleiteten die Ausführungen des Landrats. Entsetzen war zu spüren, als bekannt wurde, dass sogar bis zu 500 Flüchtlinge kommen könnten. Aus einer Veranstaltung, die zeigt, wie machtlos Kommunen sind und wie verängstigt die Bürger.

Rott am Inn – 300 Bürger bei einer Versammlung, ein Gegner im Kreuzfeuer: der Landrat. Otto Lederer musste die wohl schwersten Stunden seiner Laufbahn hinter sich bringen. Er tat es souverän, doch die Anspannung angesichts der emotional aufgeladenen Stimmung war ihm trotzdem anzumerken. Denn es gab im großen Saal des Gasthofes Stechl, der bereits eine halbe Stunde vor Beginn keine Gäste mehr aufnehmen konnte, nur eins: andauernde scharfe Kritik an der Tatsache, dass das Landratsamt als staatliche Behörde in einer Gewerbehalle Am Eckfeld eine Ankunftseinrichtung für Flüchtlinge und Asylbewerber einrichten möchte. Der Mietvertrag für fünf Jahre ist bereits unterschrieben.

Landrat Otto Lederer

Die Fassungslosigkeit, die nach Bekanntwerden am 9. Oktober noch herrschte, ist bei vielen längst der Wut gewichen. Die Rotter, von denen über 1000 den Infoabend auch auf dem gemeindeeigenen Youtube-Kanal live verfolgten, wollen und werden die Pläne nicht hinnehmen. Erst recht nicht, nachdem nach 45 Minuten Versammlung bekannt wurde, dass der bald zu erwartende Bauantrag des Gebäudeeigentümers nicht für 250 bis 300 Menschen ausgerichtet ist sondern für 500. Die Stimmung im Saal drohte zu kippen. Der Konfliktmanager und Wirtschaftsmediator Michael Funk, den Bürgermeister Daniel Wendrock zur Steuerung der Veranstaltung hinzugeladen hatte, musste das erste Mal eingreifen. „Wir sind das Volk!“-Ausrufe verdeutlichten, dass sich viele Rotter ein Gefühl der Ohnmacht nicht mehr gefallen lassen wollen.

Nur Einheimische waren als Gäste zugelassen.

Nur Einheimische bekamen Einlass

Ausdrücklich waren nur Einheimische zur Versammlung zugelassen worden. Sie hatten sich am Eingang ausgewiesen, Eintritt in den Saal gab es nur mit einem Bändchen am Arm. Die Polizeiinspektion Wasserburg hatte anfangs eine Streife vor dem Gasthof Stechl postiert, private Sicherheitskräfte managten den Einlass und sorgten im Saal für Ordnung. Die drei Stunden verliefen trotz aller hochkochenden Emotionen ohne Vorfälle.

Viele der etwa 300 Bürgerinnen und Bürger, die einen Platz ergattert hatten, machten deutlich, dass sie die Beteuerungen des Landrats, der Landkreis stehe in der gesetzlichen Pflicht, die Migrationspolitik des Bundes umzusetzen, nicht akzeptieren wollen, wenn es wie in Rott zu einer als unverhältnismäßig groß empfundenen Belastung einer kleinen Kommune führe. Die Bürger sind sich mit Rathauschef Daniel Wendrock und dem Gemeinderat einig: Die Umwandlung der Industriehalle in eine Sammelunterkunft für Flüchtlinge stelle eine gravierende Fehlentscheidung dar. „Wir können und werden dies nicht hinnehmen“, so der Bürgermeister mit Nachdruck. Mit im Publikum saßen deshalb auch zwei Fachanwälte aus München, die die Gemeinde juristisch unterstützen.

Belastbarkeit erreicht

In Rott, wo mindestens die 260 Geflüchteten aus den Turnhallen in Bruckmühl und Raubling untergebracht werden sollen, könnte die Bevölkerung quasi über Nacht um acht bis zehn Prozent wachsen, kritisierte Wendrock. Die Einrichtung überschreite die infrastrukturellen Möglichkeiten der Gemeinde. Auch wenn die Flüchtlinge in der Erstaufnahme-Unterkunft nur etwa drei Monate bleiben sollten, bestehe die Gefahr, dass es länger dauere. Dann gebe es auch einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und Schulbildung. Kita und Schulen seien in Rott jedoch zu 100 Prozent ausgelastet. Das gelte auch für die Kläranlage, die die Grenzen ihrer Belastbarkeit bereits jetzt erreicht habe, so der Bürgermeister.

Die Gemeinde habe seit 2015 etwa 100 Geflüchtete aufgenommen, große Integrationsleistungen geschafft, sei traditionell als Kloster-Ort weltoffen und fremdenfreundlich eingestellt. „Wir sind auch bereit, weiter unseren Beitrag zu leisten, auch in verstärktem Maße. „Aber interkommunale Solidarität kann nicht heißen, dass eine Gemeinde allein den Großteil der Aufgaben auf ihre Schulter gedrückt bekommt“, appellierte Wendrock.

„Das ist Käfighaltung“

Eine Sammelunterkunft für bis zu 500 Menschen auf 3000 Quadratmetern Fläche, ohne Freianlagen, mitten in einem vom Lkw-Verkehr und Immissionen geprägten Gewerbegebiet: Das ist für Wendrock auch nicht menschenwürdig. Da seien Konflikte vorprogrammiert. „Das ist Käfighaltung. Das muss eskalieren“, zeigte sich ein Rotter überzeugt. Er und viele weitere der etwa 30 Redner, die ihren Protest zum Ausdruck brachten und den Landrat mit Fragen löcherten, konzentrierten sich vor allem auf das Thema, das ihnen besonders unter den Nägeln brennt: die Sicherheit. „Ich habe Angst um meine Kinder“, sagte ein junger Vater. Eine junge Frau forderte vom Landkreis gar eine Bezuschussung von Selbstverteidigungskursen für Frauen. Eine Mutter von fünf Kindern sagte, sie habe „Angst vor Überfällen und Vergewaltigungen“. „Wir wollen die Menschen hier nicht haben“, gab sie zu Protokoll, darauf pochend, „offen meine Meinung sagen zu dürfen“.

Sorge um die Sicherheit

Da half es auch nichts, dass der Wasserburger Polizeichef Markus Steinmaßl von positiven Erfahrungen rund um die Sammelunterkünfte berichtete. Würden sie rund um die Uhr so wie die Turnhallen in Raubling und Bruckmühl von Security-Kräften betreut, „dann läuft das gut“. Er erhoffe sich auch in Rott diese positive Erfahrungen. Der Landrat versprach auch hier eine 24-Stunden-Anwesenheit der Security, nicht nur in der Halle, sondern auch in der Nachbarschaft. Auch er sprach von guten Erfahrungen in den Sammelunterkünften der Turnhallen. Lederer äußerte die Hoffnung, dass sich auch in Rott das Sicherheitsgefühl bessern werde, wenn die Einrichtung den Beweis angetreten habe, dass es klappe. Die Bürger wünschen sich jedoch auch eine Präsenz von Sicherheitskräften am Bahnhof, wo viele Kinder und Jugendliche verkehren und abends viele Rotter, die mit dem Zug zur Arbeit fahren, ankommen. Die Versammelten setzten durch, dass vor Inbetriebnahme der Unterkunft eine erneute Bürgerversammlung stattfindet, in der das Sicherheitskonzept vorgestellt und besprochen wird.

Die Frage, ob es für die Bewohner der Einrichtung nicht Ausgangsbeschränkungen geben könne, verneinte Lederer. Flüchtlinge und Asylbewerber dürften sich frei bewegen. Sie bekämen drei Mahlzeiten am Tag, allein lebende Erwachsene eine monatliche Unterstützung von 235 Euro, sie hätten freie Arztwahl, so Lederers Antworten auf im Vorfeld an das Landratsamt gestellte Fragen.

Vorwürfe und Zwischenrufe

Seine Aussagen zur Rechtslage stießen wiederholt auf Zwischenrufe aus dem Publikum. Das eigene Volk mit seinen Bedürfnissen und Wünschen gehe vor, war mehrfach zu hören. Der Landrat sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Bürgerinnen und Bürger in Rott im Stich zu lassen. Beim Freistaat und Bund müsse viel intensiver auf die Probleme der Landkreise und Kommunen hingewiesen werden, bemängelten einige den in ihren Augen fehlenden Durchsetzungswillen der Kommunen und Landkreise bei der Landes- und Bundespolitik. Der Landkreistag habe immer wieder seine Kritik an der Migrationspolitik vorgetragen, Resolutionen abgegeben, auf Lösungen gepocht, so Lederer. Lösungsansätze seien da: etwa die Eindämmung der illegalen Migration, die Bekämpfung der Schleuserkriminalität, die Reduzierung der Pull-Effekte oder die Ausgabe von Zahlkarten statt Geldleistungen. Die Bundesregierung sei noch immer nicht bereit, ihre Einstellung gravierend zu ändern, bedauerte Lederer. Er solle den Mut aufbringen, mal Nein zu sagen, forderte eine Bürgerin. Lederer betonte, das Landratsamt sei weisungsgebunden, habe Bundesrecht umzusetzen.

Lederer betonte außerdem mehrmals: „Wir müssen die Menschen, die zu uns geflüchtet kommen, vor Obdachlosigkeit schützen.“ Auf dem freien Wohnungsmarkt gebe es keine Angebote, der Landkreis müsse zugreifen, wenn ein Objekt wie in Rott angeboten werde. Denn es gehe darum, die Turnhallen wieder freizubekommen. Vereine und Schüler hätten schließlich auch ein Recht auf Sport. Derzeit würden alle 14 Tage etwa 50 Geflüchtete dem Landkreis zugewiesen. Eine gleichmäßige Verteilung auf alle Kommunen sei das Optimal-Ziel, derzeit jedoch nicht realisierbar. Es gebe nicht nur Probleme, private Unterkünfte zu finden, auch Grundstücke für Containerstandorte würden selten angeboten.

Alternativen wie Mangfall-Kaserne und Ex-Romed-Klinik?

Die Verärgerung im Publikum war groß, als Lederer ausführte, dass der Bund es ablehne, die seit 15 Jahren leerstehende Mangfall-Kaserne in Bad Aibling für eine solche Nutzung freizugeben. Diese Immobilie eignet sich nach Meinung vieler bedeutend besser als die Industriehalle in Rott. Auch das ehemalige Romed-Krankenhaus in Wasserburg, jetzt in Besitz des Landkreises, schlug eine Bürgerin vor. Das Gebäude sei an die Regierung von Oberbayern für eine Unterkunft vermietet worden, in der Asylbewerber und Flüchtlinge mit längerer Aufenthaltsdauer untergebracht würden, antwortete der Landrat. Ein Anlieger aus dem Gewerbegebiet, fand, der Landkreis habe Zeit genug gehabt, schlüssige Konzepte aufzustellen, jedoch versagt, was Rott jetzt ausbaden müsse.

Was viele ärgert: Es sieht nicht aus, als ob es noch Möglichkeiten gibt, die Einrichtung zu verhindern. Denn der Gemeinderat kann dem Bauantrag zwar aus ortsplanerischen Gründen das Einvernehmen verweigern, Genehmigungsbehörde ist jedoch das Landratsamt, in diesem Fall auch der Mieter der Immobilie.

Mietvertrag für fünf Jahre

Wie genau die Halle im Gewerbegebiet Rott belegt werden soll, mit wie vielen Menschen aus welchen Nationalitäten, „das wissen auch wir nicht“, bedauerte Lederer. Der Mietvertrag gelte für fünf Jahre, der nun einzureichende Bauantrag sei auf die Kapazität von 500 Menschen ausgerichtet. Lederer sicherte der Gemeindeverwaltung Rott Unterstützung bei der Erfassung der Ankommenden zu. Damit wird also eine Befürchtung der Kommune, bei der Anmeldung der Geflüchteten mitwirken zu müssen, bestätigt.

Der Blick des Bürgermeisters sprach auch bei diesem Beitrag Lederers Bände. Wendrock hatte zuvor außerdem erneut seine Kritik an der Informationspolitik des Landkreises deutlich gemacht. Einen Tag nach der Landtagswahl war er vom Landrat informiert, „also vor vollendete Tatsachen gestellt worden“. Die Geheimhaltung der Verhandlungen mit dem Haus- und Grundeigentümer, die bereits im Sommer begonnen hatten, ist auch bei den Bürgern ein großes Ärgernis. Der Landrat bestätigte, dass in diesen Fällen Kommunen nicht in die Vertragsverhandlungen eingebunden würden. Seien Dritte informiert, „kommen die Verträge in der Regel nicht zustande“, betonte Lederer, begleitet von entsetzten Blicken und höhnischem Gelächter.

Bürgermeister Daniel Wendrock.

Infrastrukturelle Probleme

Viele sind der Meinung, der Landkreis habe in seiner Not die infrastrukturellen Bedingungen vor Ort in Rott einfach ignoriert. Wendrock brachte die Problematik auf den Punkt: Plane die Gemeinde ein neues Baugebiet aus, müsse sie nachweisen, dass die Erschließung gesichert, ausreichend Infrastruktur und Versorgung gewährleistet seien. Bei der Sammelunterkunft kämen mit einem Schlag bis zu 500 Menschen, hier sei die Frage nach ausreichender Wasserver- und Abwasser-Entsorgung, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten, Kinderbetreuung und ärztlicher Angebote auf einmal obsolet. Auch aufgrund dieses Widerspruchs sein Versprechen: „Wir werden nicht müde werden, unseren Mund aufzumachen und zu kämpfen.“

Gesetzlich geregelt: die Verteilung der Flüchtlinge

Nach 2015/2016, als 745.000 Asylanträge in Deutschland gestellt wurden, befindet sich das Land seit 2022/2023 erneut in einer schwierigen Lage, so Landrat Otto Lederer. Zu über 200.000 Asylanträgen kämen noch eine Million ukrainischer Flüchtlinge dazu. Jeder sechste Asylbewerber werde nach dem gesetzlich geltenden Verteilungsschlüssel Bayern zugewiesen. Der Freistaat verteile wiederum auf die Regierungsbezirke. 35,6 Prozent kämen danach nach Oberbayern, darunter 5,6 Prozent in den Landkreis Rosenheim.

Alle zwei Wochen erreiche derzeit ein Bus mit 50 Flüchtlingen Rosenheim. Diese Menschen müssten dann untergebracht werden. 3000 Personen würden derzeit in Unterkünften leben, die der Landkreis selber angemietet habe. Etwa 30 Prozent der Bewohner seien Flüchtlinge aus der Ukraine mit Sonderstatus. Die restlichen 70 Prozent seien Asylbewerber, darunter 785 mit Anerkennung, 455 mit Ausreisepflicht, 874 befänden sich in einem noch laufenden Verfahren. Für die 3000 unterzubringenden Personen stünden 277 Unterkünfte bereit, der Landkreis habe außerdem an sieben Standorten 13 Container aufgebaut. 227 Personen seien in den Turnhallen in Raubling und Bruckmühl untergebracht. Diese Ankunftseinrichtungen sollen durch die Immobilie in Rott ersetzt werden. Derzeit kommen laut Lederer die meisten Asylbewerber aus der Türkei und Afghanistan.

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