„Das ist absolut menschenunwürdig“
Entscheidungs-Schlacht in Rott: Rat kämpft gegen Flüchtlings-Unterkunft – Klage oder Kompromiss?
In einer Sondersitzung stand der Rotter Gemeinderat vor einer folgenreichen Entscheidung: Soll die Gemeinde gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet „Am Eckfeld“ klagen oder auf den Kompromiss mit dem Landratsamt eingehen? Wie die kontroverse Debatte verlief und wie die „schwierigste Entscheidung“ des Gremiums ausging.
Rott – „Es ist wohl eine der schwierigsten und schwerwiegendsten Entscheidungen, die dieser Gemeinderat in den nächsten Jahren treffen wird“: Gleich mehrfach sprach Bürgermeister Daniel Wendrock (parteifrei) in der Sondersitzung über das Vorhaben zur Erstaufnahme-Einrichtung in Rott diese Worte aus. Er bezog sich dabei vor allem auf eine Frage, die im Raum stand: Wagt es die Gemeinde eine Klage mit ungewissem Ausgang einzugehen oder lässt sich der Rat auf einen Kompromissvorschlag seitens des Landratsamts ein? Denn eines ist klar: Die Baupläne des Landratsamts, eine Unterkunft für bis zu 500 Flüchtlinge in einer Lagerhalle im Gewerbegebiet „Am Eckfeld“ entstehen zu lassen, will die Kommune nicht zulassen.
Gespannt und auch ein wenig schockiert lauschten die Bürger im proppenvollen Sitzungssaal den Ausführungen von Bürgermeister Wendrock und Geschäftsleiter Maximilian Brockhoff, die die Baupläne erläuterten. Seit 11. Dezember liege der Bauantrag vor, seit Anfang Januar gebe es eine offizielle Beteiligung der Gemeinde, so Wendrock. „Ich kann vorwegnehmen: Unsere Befürchtungen haben sich vollumfänglich bestätigt. Wir halten diesen Bauantrag, so wie er vorliegt, nicht für genehmigungsfähig“, so der Rathauschef.
3,50 x 3,50 Meter große Parzellen vorgesehen
Brockhoff erläuterte dies genauer: Im Bauplan seien auf zwei Etagen mehrere 3,50 x 3,50 Meter große Parzellen eingezeichnet, in denen jeweils sechs Personen untergebracht werden sollen. Insgesamt seien Schlafplätze für bis zu 500 Personen in der Lagerhalle vorgesehen. „Das ist schon sehr beengt“, stellte Brockhoff fest. Da das Gebäude nur zehn Toiletten beinhalte und wohl keine Sanitäranlagen nachgerüstet werden können, sollen außerhalb des Gebäudes – neben den 28 Stellplätzen – mehrere Sanitärcontainer aufgestellt werden. „Dadurch wird das ganze Gelände benötigt“, so Brockhoff. „Bewegungsmöglichkeiten außerhalb der Halle wird es nicht geben.“
Angesichts dieser Ausführungen war im Gremium sofort klar: Eine Zustimmung kann hier nicht erteilt werden. „Es ist Wahnsinn“, meinte Marinus Schaber (Bürger für Rott). „Stellt euch das im Sommer bei 30 Grad vor. Es fehlen draußen jegliche Aufenthaltsmöglichkeiten. Es gibt keine Bankerl, keinen Basketballplatz. Wo sollen die Menschen denn hin? Diese Pläne sind unvorstellbar.“ Auch Johann Gilg (Bürger für Rott) stellte fest: „Das ist absolut menschenunwürdig. Wenn ich als Bauer einen Antrag für einen solchen Stall stellen würde, würden ihn mir die Behörden nachschmeißen.“
Entsprechend einstimmig wurde der Bauantrag abgelehnt. Doch damit stand die viel größere Frage im Raum: Wie soll es nun weitergehen? Denn sich gegen eine Flüchtlingsunterkunft zu wehren, ist gar nicht so einfach, wie durch die Ausführungen von Anwalt Jürgen Greß deutlich wurde.
Veränderungssperre ausgehebelt
Wie berichtet, hatte der Gemeinderat bereits eine Veränderungssperre über das Gewerbegebiet gelegt und möchte einen Rahmenplan erstellen lassen, um Wohnnutzung auf diesen Flächen auszuschließen. „Die Veränderungssperre stoppt grundsätzlich jegliche Veränderung, die Genehmigung der Flüchtlingsunterkunft ist damit eigentlich ausgeschlossen“, erklärte Greß.
Eigentlich, denn das Baugesetzbuch sieht eine Sonderregelung vor. Durch Paragraf 246, Absatz 14 im Baugesetzbuch könne bei dringend benötigter Unterbringung von Geflüchteten und Asylbewerbern von den Vorgaben abgewichen werden. „Es ist wie eine Notstandsregelung. Wenn Bedarf ist, kann dadurch auch eine Veränderungssperre ausgehebelt werden“, so Greß. Die Gemeinde werde in einem solchen Fall zwar angehört, aber eine Zustimmung zur Errichtung sei nicht notwendig. Die Kommune könnte in diesem Fall nur klagen. Dabei würden vor Gericht die Interessen der Streitparteien, also Landratsamt und Gemeinde, abgewogen. Grundsätzlich gelte dabei allerdings: Das Interesse an einer Flüchtlingsunterkunft sei sehr hoch. „Als Kommune muss man entsprechend schwerwiegende Interessen vorbringen, um eine Flüchtlingsunterkunft ablehnen zu können“, erklärte der Anwalt.
Im Falle von Rott seien die Argumente vielfältig. Zum einen stehe hier der Schutz des Gewerbegebiets im Raum. Denn durch die Wohnunterkunft der Geflüchteten werde das Gewerbe und die Entwicklung des Gewerbegebiets eingeschränkt. Außerdem sei die Erschließung fraglich, insbesondere die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung seien ungeklärt. Nach Ansicht der Gemeinde könnten die vorhandenen Brunnen keine weiteren 500 Personen versorgen, zudem reiche die Kapazität der Kläranlage nicht aus. Dadurch sei die Kommune auch in ihrer Planungshoheit eingeschränkt, denn die Versorgung von Neubürgern, die in das geplante Baugebiet „Meilinger Feld“ einziehen sollen, sei nicht gewährleistet, so Greß.
Die Baupläne selbst könnte die Gemeinde ebenfalls vor Gericht als Gegenargument anbringen. So sei der Nachweis der Rettungswege ungeklärt, auch sei fraglich, ob die Brandschutzanforderungen erfüllt werden könnten. Hinzu komme, dass im Lagergebäude bis vor einigen Jahren Lampen produziert wurden und mit Quecksilber hantiert wurde. „Es könnte durchaus sein, dass über den langen Produktionszeitraum Lampen zu Bruch gegangen sind und der giftige Stoff ausgetreten ist. In seinem solchen Fall wäre das Grundstück völlig ungeeignet“, erklärte der Rechtsanwalt. Außerdem würden täglich mehrere 40-Tonner der angrenzenden Speditionsfirma an der Unterkunft vorbeifahren, was die Unterbringung in diesem Gebäude menschenunwürdig mache, so Greß.
Gerichtsprozess mit unklarem Ausgang
Viele Argumente also, die die Gemeinde vor Gericht anbringen könnte. Dennoch stellte der Anwalt fest: „Der Ausgang einer solchen Verhandlung ist offen.“ Denn es würden Vergleichsfälle fehlen. „Man kann schwer vorhersehen, wie ein Gericht entscheidet.“ So könne es sein, dass ein Richter die Unterkunft in geplanter Form zulasse. Es könne aber auch sein, dass die Justiz die Zahl 500 als zu hoch ansehen würde oder, dass eine Unterkunft an diesem Standort komplett abgelehnt werde, so Greß.
Auch aufgrund des unsicheren Klageausgangs sei die Kommune deshalb auf das Landratsamt mit einem Alternativvorschlag zugegangen, erklärte Wendrock. 100 Flüchtlinge sollten auf gemeindeeigenem Grund untergebracht werden. „Das Landratsamt hat diesen Kompromiss mehrfach abgelehnt“, erklärte der Bürgermeister. Es sei lediglich eine Gesprächsbereitschaft signalisiert worden, wenn Rott eine Unterkunft für 300 Geflüchtete anbiete. „Der Gemeinderat hat sich nach langer Diskussion dagegen entschieden“, so Wendrock weiter. Die infrastrukturellen Probleme, insbesondere in Bezug auf die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung, seien bei 300 Personen ähnlich groß wie bei 500. „Der weitere Vorschlag des Landratsamtes sieht nun eine Unterkunft für 250 Geflüchtete vor“, erklärte der Rathauschef. Voraussetzung sei, dass die Gemeindeflächen unmittelbar an den Ort angebunden sind und für fünf Jahre verpachtet würden. Anbieten würden sich Flächen an den Sportplätzen im Bereich Bahnhof, so der Rathauschef.
Viele Argumente für den Kompromiss
Der Bürgermeister verdeutlichte, dass er sich „unglaublich schwer“ bei der Entscheidung tue. Für beides – auf den Alternativvorschlag einzugehen oder eine Klage zu riskieren – gebe es gute Argumente. „Für den Kompromiss spricht, dass wir nicht wissen, wie ein Gericht entscheidet“, betonte Wendrock. Zudem könnte das Landratsamt die geplante Unterkunft „Am Eckfeld“ auch nutzen, obwohl die Gemeinde die dortige Unterbringung von Geflüchteten für rechtswidrig hält und dagegen klagt. Das bestätigte auch der Anwalt. Rott könne lediglich einen Eilantrag bei Gericht einreichen. „Bei diesem Verfahren gibt es aber keine Überprüfung der Situation. Es könnte sein, dass ein Gericht in einem solchen Fall die Flüchtlingsunterkunft zulässt, da sie als dringend angesehen wird“, erklärte Greß.
Das größte Argument für den Alternativvorschlag sei aber die Tatsache, dass die Unterbringung auf Gemeinde-Flächen stehe. „Wir hätten es in der Hand“, erklärte Wendrock. „Wenn der Mietvertrag ausläuft, könnten wir die Reißleine ziehen und ihn nicht mehr verlängern.“ Außerdem könnten im Vertrag Auflagen für eine menschenwürdigere Unterbringung gemacht werden und das Gewerbe „Am Eckfeld“ wäre vor weiterer Umnutzung geschützt.
Viele Argumente für eine Klage
Gleichzeitig gebe es aber auch genügend Argumente gegen diesen Vorschlag. „Grundsätzlich halte ich es immer noch für eine Fehlentscheidung, eine Erstaufnahme-Einrichtung in einem kleinen Dorf wie Rott zu errichten“, verdeutlichte Wendrock. Zudem würden auch 250 Geflüchtete eine große Herausforderung für den Ort darstellen. „Ursprünglich gingen wir von 250 bis 300 Personen aus und schon damals hielten wir dies für unvereinbar“, so der Rathauschef. Das Landratsamt rücke allerdings nicht von dieser Zahl ab. „Ich habe nochmal nachgefragt und die Zahl 180 angeboten“, so der Bürgermeister. So viele Geflüchtete seien auch in der Bruckmühler Turnhalle untergebracht, „aber seitens des Landratsamts wurde deutlich gemacht: 250 ist das letzte Wort.“
Zudem sei fraglich, ob die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für 250 Personen gewährleistet werden könne. Seitens des Landratsamts habe es keine sichere Zusage zur Frage gegeben, ob die Behörde diese für die Geflüchteten übernehmen werde. Unklar sei auch, ob das Landratsamt die Versorgung ausbaue, sollte die Gemeinde ein weiteres Baugebiet ausweisen, da die Kapazitäten dann ausgeschöpft wären. „Wir schießen uns also eventuell unsere Pläne, was das Baugebiet „Meilinger Feld“ angeht, kaputt“, betonte Wendrock. Dabei sei die Gemeinde finanziell dringend auf die Grundstückerlöse angewiesen. Der Rathauschef erklärte deshalb: „Ich bin gegen diesen Kompromiss. 180 Personen hätte ich mir vorstellen können, aber das wurde nun letztmalig abgelehnt.“
Gemeinderat ist sich unseins
Einige Gremiumsmitglieder sahen dies jedoch anders. Insbesondere die CSU setzte sich stark für den Alternativvorschlag ein. „Wir hätten eine Halbierung der Maximalbelegung“, betonte Matthias Eggerl (CSU). Zumal die Frage im Raum stehe, wie oft diese Belegung ausgereizt werde. „Ich sehe es so: Ein Gerichtsprozess wäre eine Wette mit offenem Ausgang“, sagte Eggerl. „Wir wissen nicht, wie das Gericht die einzelnen Argumente bewerten wird.“ Bei einer Belegung auf Gemeindegrund hätte Rott jedoch „die Hand drauf“. „Wir könnten sagen: Es passt uns nicht, wir verlängern den Mietvertrag nicht.“ Auch Marie-Luise Saller (CSU) verglich eine mögliche Klage mit einem „Pokerspiel“. „Wir wissen nicht, was herauskommt. Wir wissen nicht, wie die politische Lage ist und wie die Flüchtlingsströme bis dahin sind. Ich bin für den Kompromiss, weil ich glaube, dass dies die bessere Lösung für die Kommune ist.“
Johann Gilg (Bürger für Rott) sah es jedoch ganz anders. „Ich finde, das geht gar nicht“, so Gilg. Das Landratsamt habe „großkotzig“ jegliche Vorschläge seitens der Gemeinde übergangen. Deshalb sei er dafür, Klage einzureichen. „Wenn wir den Prozess verlieren, dann ist das so, aber ich denke, wir sollten es versuchen.“ Dafür plädierte auch Marinus Schaber (Bürger für Rott). „Wir liefern unser Wasser- und Abwassersystem aus“, meinte Schaber und setzte hinzu: „Wenn ein Richter den Plänen des Landratsamts zustimmt, dann verliere ich den Glauben an die Justiz. Sowas kann und darf nicht genehmigt werden.“ Fraktionsvorsitzender Max Zangerl (Bürger für Rott) kritisierte, dass schon als die Unterbringung von 300 Personen im Raum gestanden habe, der Aufschrei groß gewesen sei. „Jetzt sollen wir genau diese Belegungszahl als Lösung akzeptieren?“, fragte er.
Nach langer und intensiver Diskussion lehnte der Gemeinderat schließlich mit sechs zu elf Gegenstimmen den Alternativvorschlag des Landratsamts ab. Bürgermeister Wendrock betonte anschließend, dass der Kompromiss, 100 Geflüchtete in Rott unterzubringen, weiterhin im Raum stehe. „Die Gemeinde ist immer noch gesprächsbereit“, so der Rathauschef. Sollte das Landratsamt auf diesen Vorschlag jedoch nicht eingehen, werde es wohl auf einen Gerichtsprozess hinauslaufen, schloss der Bürgermeister.