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Widerstand von Bürgerinitiative und Bürgermeister

Kampf gegen Asyl-Zentrum – Wie Rott sich zur Wehr setzt

Nepomuk Poschenrieder, Günther Hein, Heike Bachert und Klemens Seidl vor einem Banner mit „Rott rottiert“
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Rott rot(t)iert – Banner mit diesen Worten hängen überall im Ort – auch im Gewerbegebiet, wo die Flüchtlingsunterkunft stehen soll. Nepomuk Poschenrieder, Günther Hein, Heike Bachert und Klemens Seidl (von links) haben mit anderen eine Bürgerinitiative gegründet.

Sammelunterkunft für Flüchtlinge in Rott: Der Landkreis will 500 Menschen in der 4200-Gemeinde unterbringen. Der Protest ist groß. Eine Bürgerinitiative sammelt Unterschriften – und auch der Bürgermeister kündigt Widerstand an.

Rott – Der Tag nach der Landtagswahl war kein guter Montag für Daniel Wendrock. Und das hatte nichts mit den Wahlergebnissen zu tun. Morgens bekam der parteilose Bürgermeister von Rott am Inn einen Anruf vom Rosenheimer Landrat Otto Lederer (CSU). Der kündigte ihm an, dass in einer leer stehenden Halle im Rotter Gewerbegebiet eine Sammelunterkunft für 506 Flüchtlinge entstehen soll. Den Mietvertrag hatte der Landkreis bereits unterschrieben. Wendrock war für einen kurzen Moment sprachlos, dann wütend.

Auch noch sechs Wochen später ärgert er sich, dass der Landkreis die Gemeinde vor vollendete Tatsachen stellt. „Rott hat 4200 Einwohner“, sagt er. „500 Flüchtlinge sind für uns ein Bevölkerungswachstum von über zehn Prozent.“ Die Kläranlage würde an eine Belastungsgrenze kommen, wenn dieser Plan umgesetzt wird, prognostiziert Wendrock. Auch Kindergärten und Schulen seien jetzt schon voll. Die Hausärzte im Ort sehen keine Chance, so viele zusätzliche Menschen zu versorgen, haben sie ihm gesagt. „Das sind Herausforderungen, die wir nicht bewältigen können.“

Bürgerinitiative hat mehr als 2700 Unterstützer

Die kleine Gemeinde liegt am westlichen Rand des Chiemgaus. Bekannt ist sie über Bayern hinaus – dank ihres prominenten Ehrenbürgers. Einem Mann namens Franz Josef Strauß. Der ehemalige Ministerpräsident hat in Rott seine letzte Ruhe gefunden. Doch von Ruhe ist in Rott gerade nicht viel zu spüren. Im Ort rumort es, seit die Pläne für die Flüchtlingsunterkunft bekannt wurden.

Rott protestiert mit Bannern gegen das geplante Asyl-Zentrum

Auch Günther Hein hat einen Anruf vom Landrat bekommen. Er ist der zweitgrößte Arbeitgeber im Ort. Seine Spedition grenzt direkt an das Gebäude, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Überwiegend hat er seine Hallen an Firmen vermietet, die Lebensmittel produzieren. Hein steht zwischen seinen Lastern, blickt über den halbhohen Maschendrahtzaun auf die noch leere Lagerhalle und erklärt, warum er seit dem 9. Oktober Existenzängste hat. Eine seiner Sorgen ist, dass rund um die Unterkunft ein Müllproblem entstehen könnte und Ungeziefer angelockt wird. Er fürchtet, dass seine Mieter deswegen die Verträge kündigen könnten. Oder dass Flüchtlinge unbemerkt auf einen seiner Transporter klettern, um Rott wieder zu verlassen und seine Fahrer für Schleuser gehalten werden. Er hält es auch für wahrscheinlich, dass Konflikte in der Unterkunft ausbrechen werden. „Das würde auch passieren, wenn 500 Menschen aus Rott auf 3000 Quadratmetern zusammenleben müssten.“ Rund um die Halle gibt es weder Wiesen noch andere Freiflächen, auf denen sich Menschen aufhalten könnten. „Sie sind hier zusammengepfercht, sie können nirgendwo Stress abbauen.“ Die nächste Polizeidienststelle sei 17 Kilometer entfernt.

„Das ist meine Altersversorgung“

Hein ist nicht der einzige Gewerbetreibende, der diese Sorgen hat. Heike Bacherts Halle grenzt an die andere Seite der Unterkunft. „Das ist meine Altersversorgung“, sagt sie. Auch ihre Mieter verarbeiten Lebensmittel, auch sie hat Angst, sie könnten abspringen. Ein Haus weiter lebt und arbeitet Klemens Seidl. Vater zweier kleiner Kinder. Seine Familie habe viel Zeit im Ausland verbracht, sagt er. „Wir haben viel mit anderen Kulturen zu tun gehabt.“ Deshalb wisse er: Die Lebens- und Verhaltensweisen sind von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. Seidl macht sich Sorgen, dass seine Kinder angesprochen oder angefasst werden könnten, wenn sie auf der Straße spielen.

In dieser Halle sollen die Flüchtlinge unterkommen.

Die drei Rotter haben mit vielen anderen eine Bürgerinitiative gegründet. Online haben sie bereits über 2700 Unterschriften gegen die Unterkunft gesammelt, ihre WhatsApp-Gruppe hat mehr als 900 Mitglieder. Überall in Rott haben sie Banner aufgehängt. „Rott rot(t)iert“ steht darauf. Eines werden sie nicht müde zu betonen: „Wir sind nicht fremdenfeindlich“, sagt Günther Hein. Der 55-Jährige hat Menschen aus 15 Nationen in seinem Betrieb beschäftigt, er hat Hilfstransporter in die Ukraine geschickt. Er würde sogar einen Geflüchteten bei sich zu Hause aufnehmen, sagt er. Aber er möchte nicht 500 Geflüchtete als Nachbarn haben. „Wir kritisieren den Standort und die Größenordnung.“

Rott will Beitrag leisten

Auch Bürgermeister Wendrock betont: „Wir wollen unseren Beitrag bei der Flüchtlingsunterbringung leisten.“ Mehr als 100 Geflüchtete leben bereits in Rott. „In dezentralen Unterkünften, das funktioniert gut.“ Viele hätten Arbeit gefunden, sagt Wendrock. „Wir suchen kontinuierlich nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten. Aber wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, die neu im Landkreis ankommen.“

Bürgermeister Daniel Wendrock kündigt Widerstand gegen die Sammelunterkunft für Flüchtlinge an.

Genau das ist aber geplant. Die Unterkunft in Rott soll eine Art Ankunftszentrum werden, erklärt Landrat Otto Lederer. Wie in den meisten anderen Landkreisen kommen auch in Rosenheim alle 14 Tage Busse mit 50 Menschen an, die auf die Gemeinden verteilt werden müssen. Seit anderthalb Jahren seien zwei Turnhallen in Bruckmühl und Raubling belegt. Die Schulen bräuchten ihre Sportstätten zurück, argumentiert er. Auf einem Immobilienportal habe das Landratsamt die zur Miete angebotene Halle entdeckt. Der Landkreis müsse zugreifen, wenn auf dem freien Markt ein geeignetes Objekt angeboten werde, sagt Lederer. In Rott sollen die Flüchtlinge maximal drei Monate bleiben. „Wir wissen nie, wer in den Bussen sitzt.“ Ukrainische Familien, alleinstehende Männer. „Wir versuchen, für alle sinnvolle Unterkünfte überall im Landkreis zu finden.“ Lederer geht davon aus, dass die Menschen nur einige Wochen in Rott bleiben. Der Ort müsse sich daher nicht um die Integration der Flüchtlinge kümmern. Die Halle hat der Landkreis allerdings für fünf Jahre angemietet.

Otto Lederer hat sich bei einer Bürgerversammlung der Kritik der Rotter gestellt. Mit der Bürgerinitiative ist er nicht im Gespräch. Zunächst müsse nun der Hallenbesitzer einen Antrag im Gemeinderat stellen, um die Nutzung ändern zu können. Dieser Antrag liegt noch nicht vor. Sollte die Gemeinde nicht zustimmen, müsse geprüft werden, ob die Verweigerung rechtens ist, erklärt Lederer.

Keine Zusage aus Berlin

Bürgermeister Daniel Wendrock ist bereits mit Anwälten in Kontakt. Er will Widerstand leisten. „Andere Bundesländer schaffen es, die Flüchtlinge solidarisch nach Einwohnerzahl auf die Kommunen zu verteilen“, sagt er. Das wäre auch Otto Lederer lieber. „Aber wir haben keine rechtliche Handhabe dafür“, betont der CSU-Politiker. Er hat bereits mehrmals Briefe an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geschrieben. Die hatte den Landräten beim Flüchtlingsgipfel im Februar pragmatische Lösungen versprochen, auch bundeseigene Gebäude sollten für die Unterbringung infrage kommen. Davon gäbe es im Landkreis Rosenheim einige. Zum Beispiel die teils leer stehende Kaserne in Bad Aibling. Doch Lederer bekam keine Zusage aus Berlin.

Einige Mitglieder der Bürgerinitiative treffen sich an diesem Abend, um zu besprechen, wie es weitergehen soll. Eine Demo planen sie vorerst nicht, erklärt Günther Hein. Weil sie nicht wissen, wie sie verhindern könnten, dass sich ihnen AfD-Anhänger anschließen. Von Rechtsextremen will sich die Initiative mit allen Mitteln abgrenzen. Rott soll ein Ort bleiben, der für seinen Ehrenbürger Strauß bekannt ist – und keine Gemeinde, die wegen eines Aufstands gegen eine Flüchtlingsunterkunft in falsches Licht gerückt wird. Doch für Hein und seine Nachbarn geht es auch um ihr Lebenswerk, betonen sie. Der 55-Jährige will seine Spedition irgendwann seinen Kindern übergeben, dafür werde er kämpfen, kündigt er an. Auch er ist bereits mit einem Anwalt in Kontakt.

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