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„Man hat mich im KZ fertig gemacht“

Häftling 18710: Wasserburger Arnold Weiss-Rüthel wagte Widerspruch in NS-Zeit – und bezahlte dafür

Widerstandskämpfer Arnold Weiss-Rüthel, sitzend auf der Türschwelle seines Häuschens am Achatzberg, etwa 1946 bis 1948.
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Widerstandskämpfer Arnold Weiss-Rüthel, sitzend auf der Türschwelle seines Häuschens am Achatzberg, etwa 1946 bis 1948. Robert Obermayr, 2. Vorsitzender des Heimatvereins, forscht über sein Leben.

Mit Glossen und Gedichten ließ Arnold Weiss-Rüthel seinem „kritischen Geist“ gegenüber dem NS-Regime freien Lauf. Robert Obermayr, Zweiter Vorsitzender des Heimatvereins, forscht über das Leben des links-liberalen Chefredakteurs der Zeitschrift „Jugend“ und späteren Klägers der Spruchkammer in Wasserburg.

Wasserburg – „Einen liebevollen Papa“, nennt Tatjana Neubauer (82) aus München ihren Stiefvater Arnold Weiss-Rüthel, aus Wasserburg. Sie war noch ein Kind, als der neue Mann an der Seite ihrer Mutter verstarb, und erinnert sich nur noch schwach an einzelne Begebenheiten. Einmal, weiß sie noch, habe sie auf seinem Schoß gesessen und ihm aus ihrem Kinderbuch vorgelesen. Ein andermal habe er sich mal wieder über ihren „bayrischen Dackel, der nur Russisch versteht“, aufgeregt, erzählt sie lachend. Der Hund wurde von ihrer russischen Großmutter erzogen und hat tatsächlich keine deutschen Anweisungen verstanden, erklärt Neubauer.

Widerstandskämpfer Arnold Weiss-Rüthel, sitzend auf der Türschwelle seines Häuschens am Achatzberg, etwa 1946 bis 1948.

Neben diesen Geschichten habe Neubauers Familie ihr aber auch von dem „großartigen Widerstand, den ihr Stiefvater geleistet hat“ erzählt. Erst später, so berichtet sie, begriff sie „die unglaubliche Stärke und den Mut“, den Weiss-Rüthel zur Zeit des NS-Regimes bewiesen habe. Die Würdigung seiner Arbeit, wie bei dem Vortrag von Robert Obermayr im Gimplkeller in Wasserburg, schätzt die 82-Jährige. Sie hat nach eigenen Angaben Dinge über ihren Stiefvater erfahren, die sie selbst nicht gewusst hatte.

Obermayr, der 2. Vorsitzender des Heimatvereins Wasserburg, forscht nach eigenen Angaben viel zum Thema Entnazifizierung. Das Gedicht „Sachsenhausen“ von Weiss-Rüthel habe er schon gekannt, doch als er ebendiesen Namen im Kontext der Spruchkammer Wasserburg gelesen hatte, sei er stutzig geworden. Obermayr stellte sich die Frage, warum ein Dichter in der Nachkriegszeit als Richter arbeitete, „und dann auch noch in Wasserburg“, sagt er. Seit nun zwei Jahren befasse Obermayr sich nun ausgiebig mit der Lebensgeschichte des Widerstandskämpfers.

Robert Obermayr.

Weiss-Rüthels Arbeit vor dem Dritten Reich

In seinen jungen Jahren sei Arnold Weiss, so sein Geburtsname, als Spielleiter, Schauspieler und Dramaturg in verschiedenen Theatern in Landshut, Passau und Kaufbeuern tätig gewesen. Aufgrund einer Schwärmerei, so Obermayr, hat der Schriftsteller den Namen seines Vorbildes, der Dichterin Else Rüthel, angenommen.

Im Jahr 1925 zog Weiss-Rüthel nach München und schrieb einige Jahre lang als geachteter freier Journalist für verschiedene demokratische Zeitungen, erklärt Obermayr. Er schildert, dass der Schriftsteller auch zu diesem Zeitpunkt schon „mit seiner satirischen Schärfe gegen Obrigkeitsstaat, Nationalismus und Kriegsverherrlichung“ bei den Anhängern Hitlers aneckte.

„Leiser Spott unter der Zensur“

Im März 1934 sei der Journalist Chefredakteur bei der Zeitschrift „Jugend“ geworden. Nach Hitlers Machtantritt 1933 durfte offiziell keine öffentliche Kritik mehr am nationalsozialistischen Staat geäußert werden, berichtet Obermayr. Laut ihm hat Weiss-Rüthel aber nicht aufgegeben, mittels Satire „leisen Spott unter der Zensur“ kundzutun. Er versuchte also, der „Gratwanderung“ zwischen Anpassung und Freiraum gerecht zu werden und machte dem nationalsozialistischen Ideal entsprechende Zugeständnisse, veröffentlichte aber auch provokante Beiträge, erklärt Obermayr.

So verteidigte Weiss-Rüthel offenkundig das Recht auf Humor, entwertete das nationalsozialistische Narrativ des „Kampfs ums Dasein“ und kritisierte sogar in einer Ausgabe der „Jugend“ eine Germanen-Karikatur, erläutert Obermayr. Schon damals habe der in München lebende Weiss-Rüthel sich oft in Wasserburg aufgehalten. Dies bestätige eine spezielle Ausgabe seiner Zeitschrift, welche er dem 800-jährigen Jubiläum der Stadt widmete. Dort ansässige Maler und Autoren, gute Freunde des Journalisten, wie Karl Wähmann und Peter Scher haben diese mitgestaltet, erzählt Obermayr.

Obermayr hebt hervor, dass der Autor sich nicht unterkriegen lassen und trotz Hausdurchsuchungen durch die Gestapo immer weiter kritische Inhalte veröffentlicht habe. Zumindest bis November 1936. Mit der Gleichschaltung durch die NSDAP und da Weiss-Rüttel sich weigerte, sich als Schriftleiter einer nationalsozialistischen Reichsschrifttumskammer anzuschließen, musste er sein Amt abgeben und fand auch anderweitig keine Arbeit mehr als freier Journalist, so Obermayr.

Verhaftung wegen Widerstand

Ferner fand die Gestapo seine versteckten Tagebücher und hatte damit einen eindeutigen Beweis für seine NS-feindliche Haltung, weswegen er am 12. März 1940 verhaftet und ein Monat später ins Konzentrationslager Sachsenhausen überführt wurde, berichtet Obermayr. „Ich wohne in der Nachbarschaft des Todes [...] und alle fünf Sekunden fällt ein Schuß“ schreibt Weiss-Rüthel in dem Gedicht „Sachsenhausen“ während seiner Haft.

Auch in seinem Buch „Nacht und Nebel“, welches er nach seiner Entlassung verfasste, schilderte er die grauenvollen Jahre bis ins Detail. „Jeder versuchte, seinen Vorgänger an Brutalität zu übertreffen“ fasst Obermayr über die Wärter im KZ zusammen. Weiss-Rüthel selbst erklärt in einem seiner Texte, dass ihn kein einziger Schlag von einem SS-Mann getroffen habe und vermutet, sein durchdringender Blick sei der Grund dafür gewesen.

Der Auszug „ich wohne in der Nachbarschaft des Todes [...] und alle fünf Sekunden fällt ein Schuß“ stammt aus Weiss-Rüthels Gedicht „Sachsenhausen“, welches er während seiner Haft verfasste.

Freiwillig in russischer Gefangenschaft

Während seiner Haft sei der Schriftsteller im Büro der Bauleitung tätig gewesen und habe dabei Einblicke in die Pläne der Lagerleitung erhalten, so Obermayr. Gegen Ende des Krieges habe er die Möglichkeit zum Kriegsdienst gehabt, welche er, um dem KZ am 1. oder 2. März 1945 zu entfliehen, auch wahrnahm. An der Front habe Weiss-Rüthel sich schnell freiwillig in russische Gefangenschaft begeben, denn „wer fünf Jahre im KZ überlebt hat, denkt nicht daran, für Hitler zu sterben“, habe er gesagt. Dort, so Obermayr, schloss der Journalist sich der Vereinigung „Nationalkomitee Freies Deutschland“ an und bereitete im Sinne der kommunistischen Partei ein neues Nachkriegsdeutschland vor.

In einem Brief an seinen Schriftstellerkollegen und Freund Scher drückte er seine Sehnsucht nach Wasserburg aus und schrieb, dass er sich schon freue, wenn „wir wieder beim Fletzinger sitzen oder von Ihrer Arbeitsstube aus in den blühenden Garten schauen dürfen“, fand Obermayr heraus. „Die Welt ist schlimm geworden – alles was uns am Herzen lag, liegt in Trümmern“.

„Entgiften“ des Landkreises

Nach der Entlassung aus russischer Gefangenschaft im August 1945 beauftragte ihn, wie Obermayr weiß, die US-Militärregierung zunächst mit der Entnazifizierung der Wasserburger Stadt-Bibliothek. Ferner habe ihn das Bayerische Staatsministerium für Sonderaufgaben zum Kläger der Spruchkammer Wasserburg ernannt. Nachdem er zunächst in Soyen bei „einer Bekannten“ gewohnt habe, wo er auch sein Buch „Nacht und Nebel“ verfasst habe, sei Weiss-Rüthel am 15. Oktober 1946 nach Wasserburg in ein Häuschen am Achatzberg gezogen sei.

Auch wenn er sich mit der Arbeit als Richter viele Feinde gemacht hat, so Obermayr, hat er das Amt gewissenhaft ausgeführt und bei dem „Entgiften“ des Landkreises von zwölf Jahren Faschismus geholfen. Die Anfeindung hat auch seine Stieftochter Jahre nach seinem Tod gespürt. Neubauer berichtet, dass sie einmal in der Schule von ihrer Lehrerin zensiert und ihr unterstellt worden sei, sie erzähle „Lügengeschichten“.

Arnold Weiss-Rüthel im Sitzungssaal des Rathauses in Wasserburg, dem damaligen Sitz der Spruchkammer, in der er in seiner Sonderaufgabe als Kläger tätig war.

Gesundheitlich schwer angeschlagen von seiner Zeit im Konzentrationslager, sei der Stiefvater trotzdem weiter als Schriftsteller tätig gewesen. Neben seinen eigenen Werken publizierte er, laut Obermayr, auch Beiträge für die amerikanische „Neue Zeitung“ für die deutsche Bevölkerung und gab verschiedene Vorträge. Auch persönlich habe er sein Glück gefunden und im Oktober 1946 in zweiter Ehe Marina Jürgens, die als Auswerterin in der Spruchkammer gearbeitet hatte und Mutter der damals dreijährigen Tatjana Neubauer, geheiratet.

Wertschätzung bei „Radio München“

Ab 1947 arbeitete Weiss-Rüthel als Chefdramaturg bei „Radio München“, wo er sowohl ernste als auch leichte Unterhaltung förderte. Dort wurde er für den Widerstand, den er im Dritten Reich zeigte, geehrt und wertgeschätzt, berichtet seine Stieftochter. Neubauer sagt auch, dass sein damaliger Arbeitgeber sogar seine Krebstherapie bezahlt habe.

Ein Werk, welches, „auch heute nichts an Aktualität einbüßt“, sei „Der verratene Soldat“, findet Obermayr. Dabei wandte sich Weiss-Rüthel explizit an die junge Generation, um diese zum Mitwirken am Erschaffen eines neuen demokratischen Staates zu ermutigen, berichtet Obermayr. „Es gibt keine Rezeptsammlung, mit deren Hilfe man einen autoritären Staat in einen demokratischen umwandelt“, so Weiss-Rüthel.

Am 26. Juni 1949 erlag der Widerstandskämpfer seiner Krankheit, erzählt Obermayr. „Meine Konstitution in Ehren, aber man hat mich im KZ fertig gemacht“ habe er in seinem wohl letzten Brief an seinen Freund Scher geschrieben. Dass seine Geschichte aber noch heute erzählt wird, findet Stieftochter Neubauer „großartig“.

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