Gedenken im Stadtgebiet
Stolpern ausdrücklich erwünscht: Stadt erinnert an jüdische NS-Opfer aus Mühldorf
Wie kann an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mühldorf erinnert werden? Mit dieser Frage haben sich jetzt Stadträte befasst und eine Entscheidung getroffen.
Mühldorf – In der Stadt sollen künftig sogenannte Stolpersteine auf jüdische Opfer des Nationalsozialismus hinweisen. Das hat der Hauptausschuss des Stadtrats jetzt beschlossen. Einstimmig sprachen sich die Mitglieder für die Verlegung der Stolpersteine an den Orten aus, an denen die Menschen bis zur Vertreibung oder Tötung durch die Nationalsozialisten gelebt haben.
Gut, wenn einer stolpert
„Wenn man die Gegenwart beleuchtet, sollte man sichtbar machen, dass Menschen wegen ihrer Religion gestorben sind“, sagte Dr. Reinhard Wanka (UM). „Wenn es jemand sieht, ist gut, wenn einer stolpert, erst recht.“ Claudia Hungerhuber (SPD) nannte die Stolpersteine eine klare Erinnerung an die „Monstrosität dieser Zeit“, ein Zeichen gegen Bestrebungen, die NS-Zeit zu relativieren und die Erinnerungen daran zu beenden. Claudia Hausberger (CSU), Gottfried Kirmeier (SPD) und Zacharias Spöhrl (Grüne) sprachen sich ausdrücklich für Stolpersteine aus, die den Alltag bewusst unterbrechen und auf die NS-Verbrechen aufmerksam machen könnten.
Denn in der deutschlandweiten Diskussion um die Erinnerung geht es auch um die Rolle dieser Stolpersteine, von denen es etwa 100.000 in Deutschland gibt. Stadtarchivar Edwin Hamberger, einer der Initiatoren der Aktion, betonte, dass zum Beispiel München keine Stolpersteine verlege, weil „nicht erneut auf den Opfern herum getreten werden solle“. Dort seien lange dünne Stelen als Erinnerungszeichen aufgestellt worden, die Hamberger kritisch sieht: „Das funktioniert als Gedenken nicht so gut.“
Aktion kostet etwa 1000 Euro
Auch Bürgermeister Michael Hetzl sprach sich für Stolpersteine aus. „Der Stolperstein hat seine Vorteile. Man sieht ihn, es wird auf die Person hingewiesen, seine Verlegung im öffentlichen Raum ist unproblematisch im Gegensatz zu einer Gedenktafel.“ Mit 120 Euro pro Stein sei diese Form auch finanziell gut darstellbar. Insgesamt kostet die Aktion laut Hetzl etwa 1000 Euro.
Die konkrete Durchführung übernimmt eine Stiftung, die die Gestaltung und Verlegung der Stolpersteine deutschlandweit organisiert. „Die Stiftung Stolpersteine, erstellt die Steine, der Künstler kommt selbst und verlegt ihn“, erklärte Hamberger. „Unsere Auswahl hat sich an denen orientiert, die durch nationalsozialistische Verfolgung Leid erlitten haben.“ Einige hätten die Verfolgung überlebt, weil sie rechtzeitig fliehen konnten. Die Botschaft der Steine ist laut Hamberger: „Achtung, hier hat ein Mensch gewohnt, mit diesem Namen, der an einem bestimmten Tag deportiert worden ist.“
Andreas Seifinger (UM) regte an, mit einem Faltblatt oder im Internet auf die Stolpersteine hinzuweisen. Stadtarchivar Hamberger stimmte dem zu: „Wenn sie dadurch sichtbarer sind, kommt man diesem Gedenken noch mehr entgegen.“
Sechs bekannte jüdische Opfer
Um diese Menschen soll es gehen:
Der jüdische Pferdehändler Siegfried Hellmann, 1879 in Gunzenhausen geboren, kam 1907 mit seiner katholischen Frau Katharina nach Mühldorf. Das Ehepaar hatte drei Kinder und betrieb in der Hindenburgstraße 16, der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, eine Pferdehandlung. Am 10. November 1938 wurden Siegfried Hellmann und sein Bruder Herrmann verhaftet. Danach begann die Enteignung der Familie. Am 11. Januar 1939 flüchtete Siegfried Hellmann nach Amsterdam und Rotterdam. Im Oktober 1940 zog er in die holländische Stadt Meppel, wo er am 5. Mai 1942 von der SS verhaftet wurde. Am 16. Juli wurde er nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich am 2. September ermordet.
Josef Hermann Liebenstein war ein jüdischer Viehhändler, der im Februar 1913 mit seiner katholischen Frau Anna nach Mühldorf kam. Das Ehepaar wohnte zuerst am Bahnhofsfußweg, bevor es in der Neumarkter Straße 14 eine Vieh- und Pferdehandlung eröffnete und von 1920 bis 1926 betrieb. Von 1927 bis 1935 war Josef Hermann Liebenstein am Viehhandel von Otto Pohlhammer in der Neumarkter Straße 4 beteiligt. Die beiden Töchter der Liebensteins reisten 1935 und 1936 nach London aus. Josef Hermann Liebenstein verließ am 7. April 1938 den Landkreis in Richtung Frankfurt am Main, da ihm seine Handelserlaubnis entzogen worden war. Seine Frau Anna blieb in Mühldorf und beantragte ein Armenrechtszeugnis. Im August 1938 wurde die Ehe geschieden. Anna heiratete wieder und lebte bis zu ihrem Tod 1953 am Stadtberg 3 in Mühldorf. Josef Hermann Liebenstein wurde am 10. November 1938 in München verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht, aus dem er am 20. Dezember entlassen wurde. Am 15. April 1939 heiratete auch er wieder und floh unmittelbar nach der Trauung nach New York.
Die Jüdin Rita Baur kam mit ihrem katholischen Ehemann Wolfgang Andreas Baur 1934 von Hammelburg nach Mühldorf. Am 28. November 1944 wurde Wolfgang Baur verhaftet, vermutlich weil er die Ehe mit seiner jüdischen Frau trotz des ausgeübten Drucks nicht auflösen wollte. Rita Baur wurde am 20. Februar 1945 verhaftet und am 22. Februar zur Zwangsarbeit in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Wolfgang Andreas und Rita Baur überlebten die nationalsozialistische Verfolgung und kehrten nach dem Krieg nach Mühldorf zurück. Am 11. Juli 1958 starb Wolfgang Baur, seine Frau lebte bis 1995 zurückgezogen in Mühldorf.
Die jüdischen Kaufleute Fritz und Eva Michaelis kamen aus Passau und eröffneten in Mühldorf am 1. März 1931 am Stadtplatz 68 ein Geschäft für Herren- und Knabenbekleidung. Die fortwährende Diskriminierung veranlasste das Ehepaar dazu, ihr Geschäft am 9. April 1937 abzumelden. Fritz und Eva Michaelis flüchteten nach New York, wo sie sich ein neues Leben aufbauen mussten. Fritz Michaelis starb 1952 in den USA, über das Schicksal seiner Frau ist nichts bekannt.


