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Projekt „Erinnern 45“ im südlichen Kreis Mühldorf

„Schrecklicher Hunger“: Zeitzeugen erinnern an den Zweiten Weltkrieg – Projekt gegen das Vergessen

Zeitzeugen im Gespräch (von links): Max Voglmaier, Martha Gerstner und Koordinator der Geschichtsarbeit im Landkreis Mühldorf Daniel Baumgartner.
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Zeitzeugen im Gespräch (von links): Max Voglmaier, Martha Gerstner und Koordinator der Geschichtsarbeit im Landkreis Mühldorf Daniel Baumgartner.

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Bis heute ist nicht alles Geschehene aufgearbeitet. Ein neues Projekt im südlichen Landkreis Mühldorf hält die Erinnerungen lebendig.

Von Christian Gerstner

Jettenbach/Aschau/Gars/Unterreit/Mittergars Zum 80-zigsten Mal jährt sich das Kriegsende in diesen Tagen. Das war Grund genug, die Projektgruppe „Erinnern 45“ ins Leben zu rufen. Das ist ein ehrenamtliches Team um die Historikerin und studierte Kulturwissenschaftlerin Ulrike Zöller. Die Rundfunkmoderatorin sah die Notwendigkeit, nie Ausgesprochenes und seit nunmehr 80 Jahren noch immer Schwelendes an Tageslicht zu befördern.

Mit einer Auftaktveranstaltung am Bahnhof in Jettenbach startete eine Reihe von Aktionen. Gemeinsam mit den Nachbarorten Gars, Mittergars, Unterreit und Aschau verbindet das kleine Dörfchen Jettenbach nun ein Projekt gegen Hass und Gewalt, für mehr friedliches Miteinander. Die Zielsetzung ist ganz klar, nie wieder Krieg.

Das Projektteam „Erinnern 45“ (von links): Daniel Baumgartner, Ulrike Zöller, Franz Langstein, Elvira Schreiner, Franz Haider, Michaela Bock, Franz Wicho und Max Voglmaier.

Bahnhofsgebäude ist eng mit Zeitgeschichte verbunden

Bürgermeisterin Maria Maier erinnerte: „Unser Bahnhofsgebäude diente damals der Kriegsmaschinerie und damit auch der Vernichtung von menschlichem Leben. Heute beherbergt es Asylsuchende und Flüchtlinge verschiedenster Nationen.“

Jettenbachs Bürgermeisterin Maria Maier eröffnete die Aktionstage.

Landrat Max Heimerl wies auf die bedeutende Rolle der zugewanderten Heimatvertrieben im Landkreis Mühldorf hin. Damals kamen die Menschen meist nicht freiwillig und ihrer Heimat beraubt, nur mit ein paar Habseligkeiten. Den Frauen, Kindern und wenigen Männern wurde Wohnraum zugewiesen, was bei den Einheimischen nicht immer gut ankam. Fleiß, handwerkliches Geschick und der Wille, eine neue Heimat zu schaffen, zeichnete diese „Flüchtlinge“ aus. Mancherorts verdoppelten sich die Einwohnerzahlen, quasi über Nacht. Der Landkreis zählte damals knapp 65.000 Menschen, davon waren etwa 30 Prozent keine Bayern. Kaum einer der heute im Landkreis lebenden Menschen sei ohne Migrationshintergrund.

Landrat Max Heimerl.
Bundestagsabgeordneter Stephan Mayer.

„Ereignisse vor 80 Jahren und ein daran erinnern ist durchaus sinnstiftend und sinnvoll“, stellte Stephan Mayer in den Raum. Körperlich und moralisch am Ende kamen nach Kriegsende etwa 1,9 Millionen Flüchtende und Heimatvertriebene nach Bayern. Das waren etwa 26 Prozent der Gesamtbevölkerung. „Für uns später Geborene sind die damaligen Umstände kaum vorstellbar“, so Mayer. Es sei kein Selbstverständnis, in Freiheit ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Auch nach 80 Jahren ist vieles unbesprochen

„Heute stehe ich mit dem Projektteam an einem geschichtsträchtigen Ort“, leitete die Initiatorin Ulrike Zöller aus Jettenbach ihren Exkurs ein. Als „Zuagroaste“ wurde sie mit ihrem Mann im kleinen Inndorf am Fuße des gräflichen Törring-Schlosses 2008 mit offenen Armen empfangen. Die studierte Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin hatte aus ihrer Tätigkeit beim Bayerischen Rundfunk mediale Kenntnisse mit nach Jettenbach gebracht. Mit ihrer Mitstreiterin Elvira Schreiner konnte sie Gleichgesinnte für das „Projekt Erinnern 45“ gewinnen. Unterstützt durch das Geschichtszentrum des Landkreises Mühldorf, Ehrenamtliche des Archivs Aschau, dem Verein Für das Erinnern – Gedenkstätte Mühldorfer Hart, und des Dorfforum Mittergars konnte der Heimat- und Kulturkreis Jettenbach das gemeinsame Vorhaben realisieren.

Mit geladenen Gästen – Ulrike Zöller am Rednerpult.

Um bei Nachforschungen offene Türen vorzufinden, waren Feinsinn und Gespür für die Zeitzeugen das wichtigste Werkzeug. Die Angst zu nehmen, unterschwellig schwelendes auch nach 80 Jahren ans Tageslicht zu bringen. Die Sorge davor, die eigene Familie in Verruf zu bringen. Vielleicht wurde aus Angst und Scham Vergangenes nie besprochen, häufig totgeschwiegen. Die Zeit drängt, die verbleibenden Augenzeugen werden aus Altersgründen immer weniger.

Ulrike Zöller.

Es sei nicht selbstverständlich, „Grüß Gott“ sagen zu können. 12 Jahre lang gab es diese Form der Begrüßung offiziell nicht. Der Hitlergruß war mit ausgestrecktem Arm auszuführen. Nichtbeachtung konnte ernste Konsequenzen haben. Nachdem die Befreier im Mai 1945 einmarschiert waren, war es genau andersherum. Zöller wies auch auf das jüngste „Baby“ der Projektgruppe hin. Eine durch Texte, Filmbeiträge, Podcasts und Fotomaterial bereicherte Homepage https://erinnern45.de.

Zeitzeugen im Gespräch 

Der rüstige Rentner Max Voglmaier war Filialleiter eines Bankhauses. Schön früh zeigte er Interesse für Zeitgeschichte. Der gebürtige Krücklhamer berichtete, wie etwa 1980 Peter Müller mit seiner Mutter Gespräche über die Kriegszeit führte. Bruder Rupert Voglmaier überlebte die NS-Zeit nur, weil seine Eltern ihn nicht in eine staatliche Einrichtung übergaben. Er war körperlich deformiert und höchst gefährdet.

2002 kam Max Voglmaier zum Verein „Für das Erinnern – Gedächtnisstätte Mühldorfer Hart“. Kurz darauf organisierte Voglmaier Führungen zum Gefangenenlager auf Mittergarser Grund und Boden. Rund 350 Häftlinge wurden im dortigen Lager menschenunwürdig behandelt. Die zu Tode gekommenen wurden in Massengräbern buchstäblich entsorgt. Aus Gesprächen mit seinen älteren Brüdern und den Eltern erzählte er von den Todesängsten seiner Mutter. Das Krücklhamer Landwirtspaar hatte einen geflohenen Zwangsarbeiter versteckt. Drei Wochen lang war dieser im Fehlboden des böhmischen Gewölbes untergebracht und mit Lebensmitteln versorgt worden. Darauf stand die Todesstrafe.

Aus dem Sudentenland nach Aschau

Die Aschauerin Martha Gerstner wurde mit ihrer Familie 1946 aus dem Sudetenland ausgewiesen. „Warum das so lange gedauert hat“, kann ich mir heute noch nicht erklären“, so die rüstige Seniorin. Mittags kam ein Mann mit der Aufforderung, das Nötigste zu packen. Sie war damals 3 Jahre alt. Erinnern kann sie sich noch recht gut, dass es vom Sammellager in Pressburg (heute Bratislava) nach Mecklenburg ging. Per Viehwagons mit der Eisenbahn wurde die Familie nach Mecklenburg verbracht. „Wir hatten schrecklichen Hunger“, berichtete Martha Gerstner. Von Aschau aus hatten Verwandte eine Umsiedlung in die amerikanische Zone geplant. Raus aus dem russischen Verwaltungsbereich.

Mit viel Glück entgingen sie damals einer Kontrolle und konnten nachts die Zonengrenze überschreiten. Ein Zimmer war für die Familie in einem Barackenbau vorbereitet. Aschau hatte in dieser Zeit etwa 900 Einheimische und quasi über Nacht kamen nochmal 900 sogenannte „Flüchtlinge“ dazu. Aschau-Werk war eine kleine, eigene Kommune.

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