Ausstellung über Flucht und Vertreibung nach dem Krieg
Vertrieben aus Heimat: Warum sich der Wasserburger Otto Zwiefelhofer für Versöhnung einsetzt
Er war erst eineinhalb, als er 1946 mit seiner Familie aus dem Böhmerwald vertrieben wurde. Deshalb kann sich Otto Zwiefelhofer aus Wasserburg nicht an dieses einschneidende Ereignis erinnern. Wohl aber an die Kindheit in der neuen Heimat, an den Kampf um die Existenz und den Neuanfang. Über das Erinnern gegen das Vergessen.
Wasserburg – „Über den Krieg und die Vertreibung hat meine Mutter nur wenig gesprochen“, sagt Otto Zwiefelhofer (79). Auch der Vater berichtete kaum über das, was er ab 1939 als Soldat erlebt hatte. Nach der Vertreibung stand, so erklärt sich Zwiefelhofer dieses Verhalten, der Neustart im Fokus, der Kampf ums Überleben, der Aufbau einer neuen Existenz. Dass im März 1946 innerhalb weniger Stunden die kleine Landwirtschaft in der Nähe von Lipno aufgegeben, der gesamte Besitz zurückgelassen wurde und es nur mit einer Holzkiste, mit der alten Tante und fünf kleinen Kindern, mit dem Zug Richtung Westdeutschland ging, war selten Gesprächsthema in der Familie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg in Wasserburg: Vertriebene schauen nach vorn
Besitzansprüche, Rückkehr-Gedanken, Erinnerungen voller Schmerz und Verlustgefühlen: Der langjährige Zweite Bürgermeister von Wasserburg hat dies in seiner Familie nicht erlebt. Sie schaute nach vorn, statt zurück. „Es war ein bescheidenes Leben im Nachkriegsdeutschland. Es gab kein Radio, kein Nutella zum Frühstück, unsere Kleidung war selbst genäht oder gewebt. Bohnenkaffee war ein Luxus. Doch ich habe nichts vermisst“, erinnert sich Zwiefelhofer. Er kannte es nicht anders und genoss eine unbeschwerte Kindheit auf dem Land: zuerst in Obing, dann in Ilzham, später in Bad Endorf und Mittergars. „Wir hatten nicht viel, mussten aber auch nicht Hunger leiden.“ So sei es nach dem Krieg nicht nur den Vertriebenen, sondern auch den Einheimischen gegangen.
1947 kam der Vater aus der Kriegsgefangenschaft frei und stieß wieder zur Familie. Die Eltern pachteten einen kleinen Hof, hielten Kühe und Schweine zur Selbstversorgung. 1953 ging es weiter nach Mittergars, wo es gelang, ein Anwesen zu kaufen – auch dank der Soforthilfen nach dem Krieg und zinsgünstiger Darlehen. „Dann kam das Wirtschaftswunder und auch uns ging es immer besser“, so Zwiefelhofer. 1979 zog er mit seiner Familie nach Wasserburg, wo nicht viele wissen, dass der langjährige CSU-Stadtrat und Zweite Bürgermeister ein Vertriebener aus dem Sudetenland ist.
Größtes Problem für Einheimische und Neubürger: die Wohnungsnot
In Wasserburg wurden nach dem Krieg viele Flüchtlinge und Vertriebene integriert. Sie halfen beim Wiederaufbau, gründeten Handwerksbetriebe und sogar Firmen. Größtes Problem: die Wohnungsnot. 1950 initiierte der damalige Landrat des Landkreises Wasserburg deshalb die Wohnungsbaugenossenschaft. An diese Zeit erinnern noch heute viele Siedlungshäuser im Burgerfeld. 90 Quadratmeter Wohnfläche galten, so Zwiefelhofer, als üppige Ausstattung für eine mehrköpfige Familie.
Dass er kein Einheimischer war, merkte er zum ersten Mal beim Schulstart. Die meisten Kinder sprachen Dialekt. Eine Lehrerin, die sich intensiv um die Neuankömmlinge gekümmert hatte, hörte auf. Und Zwiefelhofer beweinte diesen Verlust daheim bitterlich, erinnert er sich. Er ist überzeugt, dass die große Liebe zur Musik, die in seiner Familie zu spüren ist, mit seiner Herkunft zu tun hat. „Wir haben böhmisches Blut in den Adern.“
Eltern finden sich schnell mit den Veränderungen ab
„Meine Mutter hatte keinen Hass auf die Tschechen, denn sie wusste, welche Verbrechen die Deutschen während des Nationalsozialismus verübt hatten. Sie hat nur immer gesagt, sie werde nie wieder einen Fuß auf tschechischen Boden setzen“, sagt er. Die Eltern hätten sich schnell mit den Veränderungen abgefunden, nie geklagt. Sie nahmen auch an keinen Vertriebenentreffen teil. Das habe jedoch praktische Gründe gehabt: „Wir waren anfangs wirklich arm. Es war kein Geld übrig für ein Auto oder eine Bahnfahrt.“ Zwiefelhofer reiste später jedoch mehrfach in die alte Heimat seiner Familie, noch vor dem Mauerfall, später erneut mit seinen Kindern. Sie nahmen auch an internationalen Jugendaustauschprogramme teil. Sein Elternhaus fand Zwiefelhofer nicht, doch es ergaben sich interessante Gespräche mit Einheimischen. In Wasserburg kennt er außerdem einige Bekannte, deren Wurzeln auch im Sudetenland lagen. Ein großes Thema sei es jedoch nicht.
Zur Eröffnung Gespräch mit einem Zeitzeugen
Drei Millionen Sudetendeutsche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg so wie die Familie Zwiefelhofer aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben. Zu ihnen gehörte auch die Familie von Stadträtin Heike Maas. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der Sudetendeutschen Landsmannschaft und hat die Ausstellung „Für Versöhnung – gegen das Vergessen“ des Heimatkreises Braunau nach Wasserburg geholt. Sie startet am Dienstag, 17. September, im Foyer des Rathauses. Zwiefelhofer wird ein Grußwort sprechen und ist bereit, im Rahmen der bis zum 2. Oktober zu sehenden Ausstellung Schulklassen zu betreuen. Zur Eröffnung am Dienstag, 17. September, spricht außerdem ein Zeitzeuge, der als 13-Jähriger die Vertreibung miterlebte: Pater Augustin Schmied. Ihn zu treffen, sei eine einmalige Chance, betont Maas, denn es gibt nicht mehr viele lebende Vertreter der Erlebnisgeneration, die noch aus jener Zeit berichten können.
Einsatz für Erinnerungskultur und Völkerverständigung
Zwiefelhofer unterstreicht die Bedeutung dieses Zeitzeugengesprächs und der Ausstellung: „Wir müssen was unternehmen gegen das Vergessen.“ Er setzt sich ebenso wie Maas intensiv ein für eine Erinnerungskultur und die Völkerverständigung. Und schlägt den Bogen zum heute. Wieder seien Menschen auf der Flucht, weltweit sogar 80 bis 90 Millionen. Die Integration der Vertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten nach dem Zweiten Weltkrieg sei weniger schwierig gewesen als heute. „Wir sprachen die gleiche Sprache wie die Einheimischen, hatten die gleiche Kultur. Allen ging es schlecht damals. Mit den Einheimischen verband uns der Wille zum Wiederaufbau.“
(Nicht) gekommen, um zu bleiben“: Alle Infos zur Ausstellung
Am Dienstag, 17. September, findet um 18.30 Uhr die Ausstellungseröffnung im Foyer des Rathauses der Stadt Wasserburg statt. Das Grußwort spricht Otto Zwiefelhofer, ehemaliger, langjähriger Zweiter Bürgermeister, der selbst sudetendeutsche Wurzeln hat. Gast des Abends ist der Zeitzeuge Pater Augustin Schmied, der als 13-Jähriger die Vertreibung miterlebte und am Eröffnungsabend davon lebendig berichten wird.
Zur Ausstellung: Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden drei Millionen Sudetendeutsche enteignet und ohne Rechte aus der Tschechoslowakei vertrieben. Die Ausstellung macht sich mit dem Besucher auf diesen beschwerlichen Weg von Braunau im Sudetenland nach Bayern. Weiter beschreibt sie den mühsamen Start in der „neuen Heimat“. Mit Bild- und Textdokumenten erhält der Besucher Einblicke in die Zeit vor 1945, die anschließende Vertreibung der deutschen Bevölkerung und ihre Ankunft sowie Integration im Nachkriegs-Deutschland.
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten des Rathauses von 8 bis 17 Uhr geöffnet. Mittwoch- und Freitagnachmittag sowie am Wochenende ist das Rathaus geschlossen.
Schulklassen können sich von Otto Zwiefelhofer durch die Ausstellung führen lassen. Anmeldung bei Heike Maas, h.maas@maas-projekt.de.