Hochspannung bei Bürger-Versammlung
In Rott keimt Hoffnung auf: Löst Bruckmühls Flüchtlingsdeal den Streit um die Sammelunterkunft?
Endet das Jahr 2024 in Rott mit einer Lösung zur geplanten großen Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge, mit der alle leben können? Bei der Rotter Bürgerversammlung am Donnerstagabend (29. November) gab es dafür Signale. Über eine spannungsgeladene Veranstaltung und ungebrochenen Widerstand.
Rott – Viele Rotter haben am Donnerstagabend nach Bruckmühl geschaut, obwohl sie bei der Bürgerversammlung im Rotter Gasthaus Stechl saßen: Denn in Bruckmühl entschied zeitgleich der Gemeinderat über die Pläne, auf einem Grundstück der Marktgemeinde eine Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge zu ermöglichen. Damit könnte die in Bruckmühl zweckentfremde Sporthalle des Gymnasiums endlich wieder frei werden. Ein Deal mit dem Landkreis, der auch einen Hoffnungsschimmer für Rott darstellt. Hier ist schließlich eine große Ankunftseinrichtung geplant, die nicht nur die Personen aus Bruckmühl, sondern auch aus Raubling, wo ebenfalls eine Sporthalle belegt ist, aufnehmen soll. Die ursprünglich genannte Zahl von 500 Geflüchteten in Rott ist zwar längst vom Tisch, im Raum stehen jedoch immer noch 300: in einer in den Augen von Rott nicht geeigneten ehemaligen Industriehalle im Gewerbegebiet Am Eckfeld.
Aufatmen in Rott bei Nachricht aus Bruckmühl
Als aus Bruckmühl die Nachricht kam, die Erstaufnahme-Unterkunft sei dort mehrheitlich genehmigt worden, gab es in Rott ein deutlich hörbares Aufatmen bei der Bürgerversammlung. Hier standen zwar viele weitere Themen auf der Agenda – Bürgermeister Daniel Wendrock sprach 2,5 Stunden –, doch die Flüchtlingsunterkunft ist nach wie vor das große Hauptthema im Ort. Erste Hoffnungsschimmer, dass sie im großen Stil noch abgewendet werden kann, hatte es bereits am Mittwoch (27. November) gegeben, nachdem der Petitionsausschuss des Landtags die Beschwerde der Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“ anerkannt hatte. Und die Thematik weitergab zur Klärung an das Bayerische Innenministerium sowie als Empfehlung protokollieren ließ, das Kompromiss-Angebot von Rott und Bruckmühl, jeweils 180 Geflüchtete aufzunehmen, zu akzeptieren.
Bürgermeister zeigt sich weiter kampfbereit
Doch Wendrock warnte in der Bürgerversammlung vor allzu schnellen Rückschlüssen, die Kuh sei jetzt vom Eis. Das ist sie in seinen Augen noch nicht. Er sprach aber von einem „Teilerfolg“ der BI, deren Kernteam mit vier Mitgliedern in der Versammlung vertreten war. Der Rathauschef wiederholte das Angebot der Gemeinde, die bei der Suche nach Alternativlösungen „mehrfach über ihren Schatten gesprungen“ sei: 180 Geflüchtete auf einem Alternativgrundstück statt 300 in der Gewerbehalle. Werde dieses Konzept vom Freistaat mit Regierung von Oberbayern und Landratsamt nicht angenommen und die Planung für bis zu 300 Personen in der ehemaligen Lampenfabrik am Eckfeld weiterverfolgt, „werden wir weiterhin klaren Widerstand leisten“. Auch gegen eine mögliche Baugenehmigung für die Immobilie werde sich Rott gerichtlich zur Wehr setzen. Davon rücke die Gemeinde nicht ab, so Wendrock.
Angesichts von Aussagen von Ministerpräsident Markus Söder, große, zentrale Einrichtungen seien finanziell gesehen besser als viele kleinere Einheiten, warnte Wendrock außerdem: „Ich hoffe nicht, dass Rott zum neuen Musterbeispiel für den Freistaat wird.“
Wendrock fordert paritätische Verteilung der Flüchtlinge
Der Bürgermeister wiederholte seine Forderungen nach einer paritätischen Verteilung der Flüchtlinge auf die Gemeinden, dafür müsse es gesetzliche Regelungen geben. Alternativ könnte es eine „konsensuale Landkreisregelung auf Betreiben des Landratsamtes“ geben, also eine Einigung für eine faire Verteilung ohne Gesetzesgrundlage. Wendrock sieht generell die Notwendigkeit, große Unterkünfte zu vermeiden. Und die EU gefordert, die Asypolitik zu ändern.
Der Bürgermeister sprach in der Bürgerversammlung auch an, dass sich die Kommune der Frage stellen müsse, wie sie reagieren werde, wenn die große Erstaufnahme-Einrichtung doch noch komme. Dann müsse über den erneuten Aufbau eines Helferkreises nachgedacht werden. Und es seien Fragen, auch nach aus der Bevölkerung geforderten Selbstverteidigungskursen, zu klären.
Chronologie der Ereignisse aus Sicht von Rott
9. Oktober 2023: Landrat Otto Lederer informiert Rotts Bürgermeister Daniel Wendrock telefonisch über Pläne für eine Erstaufnahmeeinrichtung im ehemaligen Industriegebäude im Gewerbegebiet am Eckfeld als Ersatz für die beiden belegten Turnhallen in Bruckmühl und Raubling. Der Mietvertrag sei bereits abgeschlossen. Wendrock kündigt Widerstand an. Seine Argumente: sprunghaftes Bevölkerungswachstum, infrastrukturelle Folgeprobleme, Gefahr, dass die gemeindliche Entwicklung gefährdet wird, dramatische finanzielle Folgen für Rott, ungeeignete Liegenschaft, Sicherheitsprobleme
11. Oktober 2023: Pressekonferenz von Daniel Wendrock: Der Bürgermeister begründet den Widerstand der Kommune und kündigt einen politisch heißen Herbst an.
Oktober 2023: Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“ gründet sich
25. Oktober 2023: Bürgerversammlung in Rott, Bekanntwerden der Pläne, eine Sammelunterkunft für 500 Personen zu eröffnen.
November 2023: Gemeinderat bietet zwei Ersatzflächen auf eigenen Grundstücken für 100 Personen an und beschließt eine Veränderungssperre für das Gewerbegebiet mit Ausschluss nicht-gewerblicher Nutzungen.
November 2023: Die Bürgerinitiative startet die Proteste mit einer Lichterkette.
Dezember 2032: Gemeinde fordert zum ersten Mal ein Quecksilbergutachten
5. Januar 2024: Wendrock schreibt an Ministerpräsident Söder, Minister Aiwanger und andere politische Mandatsträger.
6. Januar 2024: Bürgermeister spricht persöhnlich mit Söder im Kloster Seeon.
10. Januar 2024: Anhörung zum Bauantrag für 500 Personen auf Grundlage des „Notstandsparagraphen 246“, der zur Lösung der Probleme rund um die Flüchtlingsunterbringung die gesetzlichen Richtlinien außer Kraft setzt.
5. Februar 2024: Rott lehnt Bauantrag ab, Gemeinderat lehnt auch Alternative eines anderen Grundstücks für 250 Personen ab.
19. März 2024: BI „Rott rot(t)iert“ reicht Petition beim Landtag ein. Eine Online-Petition bekommt knapp 5000 Unterschriften.
25. März 2024: Ortstermin mit Innenminister Joachim Herrmann. Dieser bestätigt: „Es bleibt bei mindestens 250 Personen“.
April bis Juni 2024: Verhandlungen zwischen Gemeinde Rott und Landratsamt über Alternativflächen (sieben Grundstücke) und Zahl der unterzubringenden Geflüchteten
30. Mai 2024: Innenministerium betont in diversen Schreiben, dass die Bedenken ernst genommen werden und eine Reduktion der Personenzahl erfolgen soll.
10. Juli 2024: Petitionsausschuss tagt, die Quecksilberproblematik wird erstmals öffentlich bestätigt, zwei Räume müssen aus der Belegung herausgenommen werden.
25. Juli 2024: E-Mail des Landratsamtes an die Gemeinde Rott: Freistaat Bayern breche die Verhandlungen über Alternativgrundstücke ab. Diese seien finanziell nicht darstellbar.
1. August 2024: Gemeinderat zeigt Unverständnis über diese Entscheidung und beschließt, seinerseits alle Verhandlungen ruhen zu lassen.
16. September 2024: Schreiben der Regierung von Oberbayern:
25. Oktober 2024: Ortstermin des Petitionsausschusses in Rott.
Oktober 2024: Besprechung zwischen Regierung von Oberbayern, Landratsamt Rosenheim und Gemeinde Rott: erneuter Versuch einer außergerichtlichen Einigung. Kein Kompromiss kommt zustande hinsichtlich Alternativstand, Personenanzahl und Wasserproblematik. Rott schlägt eine Laufzeitbeschränkung für die Anmietung der Immobilie bis 2028 vor. Dies müsse vertraglich abgesichert werden, mit Hinterlegung einer Vertragstrafe.
5. November 2024: Landratsamt lehnt vertragliche Regelung ab: Wortwörtlich heißt es in einem Mail der Behörde an die Gemeinde: „Einen Vertrag bedarf es innerhalb der kommunalen Familie nicht und wird es daher auch nicht geben.“
6. November 2024: Gemeinderat lehnt Kompromiss aufgrund der Tatsache, dass die Laufzeitbeschränkung bis 2028 nicht vertraglich festgehalten wird, als nicht annehmbar ab. Das Gremium unterbreitet einen Gegenvorschlag: Sammelunterkunft für 180 Personen auf Alternativflächen im Außenbereich.
27. November 2024: Petitionsausschuss des Landtags beschließt: Die Eingabe wird der Staatsregierung als „Material“ überwiesen. Der Ausschuss bringt damit zum Ausdruck, dass er die Petition für geeignet hält, im Rahmen eines künftigen Gesetzesentwurfs oder einer Verwaltungsentscheidung einbezogen zu werden. Der Beschwerdeausschuss äußert Zweifel an der Baugenehmigungsfähigkeit und am Quecksilbergutachten. Er empfiehlt, die Laufzeit verbindlich zu beschränken, die Alternativgrundstücke der Gemeinde zu prüfen.
28. November 2024: Bürgerversammlung in Rott und zeitgleich Gemeindratssitzung in Bruckmühl: Der Gemeinderat Bruckmühl entscheidet sich mehrheitlich für einen Kooperationsvertag mit dem Landkreis Rosenheim. Zentraler Inhalt des Flüchtlingsdeals: die Marktgemeinde stellt ein Grundstück für eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge bereit. Im Gegenzug wird die Turnhalle, in der seit 2022 Flüchtlinge untergebracht sind, geräumt und wieder dem Sport zur Verfügung gestellt.


