Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Rotter Bürgerinitiative: „Wir sind es so leid“

24 Kommunen bei Flüchtlingen unter dem Soll? Was „Rott rot(t)iert“ nach einem Jahr Protest vorrechnet

Geben nicht auf: Heike Bachert und Günther Hein (oben) sowie Christian Jendel (unten) aus dem Kernteam der BI „Rott rot(t)iert“. Auch bei Demos stellen sie klare Forderungen an Ministerpräsident Markus Söder.
+
Geben nicht auf: Heike Bachert und Günther Hein (oben) sowie Christian Jendel (unten) aus dem Kernteam der BI „Rott rot(t)iert“. Auch bei Demos stellen sie klare Forderungen an Ministerpräsident Markus Söder.

„Wir brennen langsam aus“, sagt Christian Jendel von der Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“. Seit einem Jahr wehrt sie sich gegen die geplante große Sammelunterkunft für Flüchtlinge. Über einen mühsamen Widerstand und die Rolle einer Liste mit besonderen Zahlen.

Rott – Genau ein Jahr ist es her, da sorgte die Nachricht von der geplanten großen Flüchtlingsunterkunft im kleinen Rott am Inn für einen Schockmoment im Dorf, dem eine Welle der Empörung folgte. Nur wenige Tage nach der Bürgerversammlung mit Landrat Otto Lederer, als erstmals die Belegungszahl 500 im Raum stand, gründete sich die Bürgerinitiative (BI) „Rott rot(t)iert“. Aus 500 wurden 300, doch die BI findet nach wie vor: Es sind zu viele Menschen, die in einer nicht geeigneten ehemaligen Industriehalle in einem Gewerbegebiet unterkommen sollten.

BI findet: Rott hat bereits jetzt genügend Flüchtlinge aufgenommen

Die Initiative beharrt darauf: Das Dorf hat mit etwa 120 hier schon lebenden Geflüchteten sein Soll bei der Unterbringung mehr als erfüllt. Und fordert zum Jahrestag des Protests vor allem eins: eine paritätische Verteilung der Ankommenden auf alle 46 Kommunen im Landkreis. Um dies zu erreichen, sei der Freistaat gefordert: Er müsse eine faire Regelung einfordern, nach einem festgelegten Schlüssel in Bezug zur Einwohnerzahl. Ministerpräsident Markus Söder habe es in der Hand.

„Rott rot(t)iert“ hat über Quellen, die die BI nicht nennen will, die Flüchtlingszahlen in allen Gemeinden und Städten des Landkreises aufgelistet. Eine Aufstellung mit interessanten Zahlen. Hier gebe es (Stand Dezember 2023) Kommunen wie Halfing, Chiemsee, Babensham, Nußdorf und Wasserburg, die im Verhältnis zur Einwohnerzahl besonders viele Flüchtlinge aufgenommen hätten und Gemeinden wie Söchtenau, Amerang, Riedering, Gstadt und Tuntenhausen, in denen vergleichsweise wenige untergebracht worden seien.

Paritätische Verteilung: Rechenbeispiele

Stand Dezember 2023 lebten in Rott 104 Geflüchtete. Bei einer Bevölkerungszahl von 4257 sind das 2,4 Prozent der Rotter Bürgerschaft. Im Landkreis Rosenheim gab es Ende vergangenen Jahres 268.435 Einwohner. Hier wohnten laut Angaben von „Rott rot(t)iert“ 5.646 Flüchtlinge. Würden sie paritätisch auf alle 46 Kommunen verteilt, müsste jede Gemeinde oder Stadt in Bezug auf die eigene Bevölkerungszahl 2,1 Prozent Geflüchtete aufnehmen. Rott hat Stand Ende 2023 mit 104 diese Prozentzahl übererfüllt, denn sie liegt bereits bei 2,4. Rott müsste bei paritätischer Verteilung nur 90 Flüchtlinge aufnehmen. Kämen nun weitere 300 zu den 104 dazu, hätte die Gemeinde in Bezug auf die Bevölkerungszahl 9,5 Prozent Geflüchtete. Das wäre viermal so viel. Selbst wenn sich die Anzahl der Geflüchteten im Landkreis auf 10.000 fast verdoppeln würde, müsste Rott bei einer paritätischen Verteilung (in diesem Fall dann 3,73 Prozent) nur 159 Geflüchtete aufnehmen.

Das Landratsamt Rosenheim nennt auf Anfrage als aktuelle Gesamtzahl der Flüchtlinge im August 2023 im Landkreis Rosenheim: insgesamt 5.051 Personen, als Zahl der untergebrachten Flüchtlinge durch den Landkreis Rosenheim: 4.172. Bei einer paritätischen Verteilung auf alle 46 Kommunen müsste jede in Bezug auf ihre Einwohnerzahl 1,9 Prozent Geflüchtete aufnehmen. Auch in diesem Fall hätte Rott das Soll bereits jetzt mehr als erfüllt.

Landrat Otto Lederer betont dazu jedoch stets, nicht jede Kommune sei in der Lage, Standorte für Unterkünfte oder Container zu nennen. Das liege nicht an mangelnder Bereitschaft oder fehlender Solidarität, sondern an nicht beeinflussbaren Fakten wie fehlenden Grundstücken oder Mietobjekten. Lederer warnt davor, mit dem mahnenden Zeigefinger auf Kommunen zu zeigen, die sich schwertun würden. Außerdem legt er stets Wert auf die Feststellung, dass die geplante Unterkunft in Rott eine Erstaufnahme-Einrichtung werden solle, in der Geflüchtete in der Regel nur bis zu drei Monate unterkommen würden.

Doch „Rott rot(t)iert“ will das Argument, es gebe Orte, die könnten auf die Unterkunftsnot nicht reagieren, nicht akzeptieren. Schließlich sei Rott selbst das beste Beispiel dafür, dass es Möglichkeiten gebe, wenn man nur wolle. Im vergangenen Jahr habe die Kommune sieben Alternativ-Areale für die Gewerbehalle „Am Eckfeld“ vorgeschlagen. Wenn Gemeinden und Städte gezwungen seien, das über einen Schlüssel in Bezug auf die Einwohnerzahl vorgegebene Soll zu erfüllen, würden sie es auch schaffen, ist die BI überzeugt. „Jeder findet eine Lösung, wenn er muss“, ist auch Günther Hein von der BI überzeugt. „Wir brauchen diesen Schlüssel für eine paritätische Verteilung.“ Wenn es ihn geben würde, wäre Rott erst einmal aus dem Schneider, andere Kommunen stünden in der Pflicht, finden die Mitglieder. Derzeit seien einseitig all jene Orte stark belastet, in denen eine Immobilie auf dem Markt angeboten würde, so wie in Rott, auch wenn sie wie hier unpassend sei.

BI fordert: Zusammenarbeit von Stadt und Landkreis Rosenheim

Was die BI ebenfalls nicht verstehen kann: Dass Stadt und Landkreis Rosenheim bei der Unterbringung nicht zusammenarbeiten. Die neue Flüchtlings-Unterkunft in Rosenheim sei perfekt, um noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen: zentral gelegen in der Nähe des Landratsamts, Sozialverbände fußläufig erreichbar, optimal ausgestattet. „Warum arbeiten diesbezüglich Stadt und Landkreis nicht zusammen?“ Was die BI außerdem nach wie vor nicht akzeptieren kann: Dass der Landkreis das Ex-Romed-Krankenhaus nicht als Erstaufnahme-Einrichtung genutzt, sondern an die Regierung von Oberbayern vermietet hat. Das war stets damit begründet worden, dass sich die frühere Klinik aufgrund der räumlichen Begebenheiten perfekt eigne für Geflüchtete, die länger bleiben müssten, für Familien, erkrankte und in ihrer Mobilität beeinträchtigte Personen.

„Alle warten auf Rott“

„Alle warten auf Rott“, so die Einschätzung der BI. „Wir sind es so leid“, ergänzt BI-Kernteam-Mitglied Heike Bachert. Eine Stelle schiebe die Verantwortung auf die nächste: der Freistaat auf den Bund, der Bund auf die EU, der Landkreis auf die Regierung von Oberbayern. Viele Mandatsträger, die um eine Lösung gebeten worden seien, würden sich wegducken. Bei Demonstrationen der BI unter anderem im Rahmen von Parteitagen oder politischen Veranstaltungen sei es sehr schwer, Kontakt mit Politikern aufzunehmen. Zeitfenster, um die Argumentationen darzustellen, seien bei Treffen stets sehr eng bemessen. „Ihr werd's Euch schon einigen“, habe Innenminister Joachim Herrmann in Passau gesagt, kein Trost, wie die BI betont, sondern eine Aussage, die die Verantwortung ebenfalls weiterschiebe. Der Termin für den Vor-Ort-Besuch des Petitionsausschusses sei außerdem abgesagt worden, ein neues Datum stehe noch immer nicht fest, sagt Bachert, die als Petentin das Anliegen im Beschwerde-Ausschuss des Landtags vorgetragen habe.

Frustration vorherrschendes Ziel

Frustration ist also das vorherrschende Gefühl. Dabei könne der Freistaat als zuständige Instanz für die Verteilung der Geflüchteten sehr wohl eins tun: eine faire Verteilung in Bayerns Kommunen anordnen, findet die BI. Hein, Bachert und Jendel ziehen deshalb noch einmal die Liste hervor, in der sie die 46 Kommunen im Landkreis Rosenheim und die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge Ende 2023 dokumentiert haben. 24 Kommunen haben danach Ende Dezember 2023 den paritätischen Verteilungsprozentsatz von 2,1 unterschritten. Mit dem Finger auf die 24 Kommunen zeigen, die Ende vergangenen Jahres unter zwei Prozent aufgenommen haben, wollen sie nicht. Doch der Freistaat könne etwas tun, damit es fairer zugehe bei der Verteilung und diese nicht den Launen des Immobilien- und Grundstücksmarktes überlassen werde, so der Appell.

Kommentare