Wendrock: „Mir ist die Gabel aus der Hand gefallen“
Große Flüchtlingsunterkunft in Rott geplant: Bürgermeister „verspricht“ politisch heißen Herbst
In Rott brodelt es. Fassungslosigkeit macht sich in der Bürgerschaft breit, seitdem bekannt geworden ist, dass im kleinen Dorf eine große Sammelunterkunft für Flüchtlinge geplant ist. Bürgermeister Daniel Wendrock kündigt erbitterten Widerstand an. Warum im Landkreis ein politisch heißer Herbst ansteht.
Rott – Es war die erste Pressekonferenz in der Geschichte der kleinen Gemeinde Rott, doch die hatte es in sich: Die neben den Medienvertretern ebenfalls anwesenden 30 Bürgerinnen und Bürger erlebten einen kampfeswilligen Rathauschef, der sachlich blieb, jedoch mit deutlichen Worten unmissverständlich klar machte: „Rott wird entschiedenen Widerstand gegen die geplante große Sammelunterkunft für Flüchtlinge leisten.“ Das werde mit allen verfügbaren Mitteln getan: in Gesprächen, medial und auch juristisch.
Wendrock kann sich dabei des Rückhalts des Gemeinderates sicher sein: Er hatte das Gremium am Montag sofort nach dem Anruf von Landrat Otto Lederer informiert und erläuterte bei der Pressekonferenz nun „auch im Namen des ganzen Gemeinderates“ die Hintergründe des Protests.
Wendrock: „Mir ist die Gabel aus der Hand gefallen“
Obwohl Wendrock die Argumente gegen die Sammelunterkunft mit großer Sachlichkeit vortrug, war ihm die Fassungslosigkeit über die Schocknachricht noch deutlich anzumerken. Denn die Gemeinde hat, nach seinen Angaben, von den Verhandlungen über die Immobilie im Gewerbegebiet Am Eckfeld nichts gewusst. Erst am Montag (9. Oktober) gegen Mittag folgten die Informationen, die Landrat Otto Lederer persönlich am Telefon übermittelte, so Wendrock. „Mir ist die Gabel aus der Hand gefallen“, erinnert er sich an seine erste Reaktion.
Der Bürgermeister bekräftigte mehrfach, dass ohne Rücksprache mit ihm ein Mietvertrag abgeschlossen worden sei. Lederer habe ihm auf seine Kritik an der Informationspolitik mitgeteilt, das sei die übliche Vorgehensweise in solchen Fällen. Erst werde mit Grund- und Hauseigentümern verhandelt, bis ein Mietvertrag stehe, dann an die Öffentlichkeit gegangen. Dieses Verfahren sei den Bürgermeistern im Landkreis bei Dienstbesprechungen auch mitgeteilt worden. „Das mag sein“, so Wendrock, der trotzdem dabei bleibt: „Die Vorgehensweise des Landkreises hat eine fatale Außenwirkung.“ Vor allem auch aufgrund der Terminierung des Anrufes: genau einen Tag nach der Landtagswahl. Dies sei zwar mit der urlaubsbedingten Abwesenheit des Landrats begründet worden, trotzdem spreche das Datum für sich, findet der Rotter Bürgermeister. Er kündigte dem Landratsamt einen „politisch heißen Herbst“ an.
Keine Zusicherung zur Zahl der Flüchtlinge möglich
Für seine Ausführungen gab es kräftigen Applaus von den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern. Denn fest steht: Rott hat 4200 Einwohner, die Sammelunterkunft für die Erstaufnahme des ganzen Landkreises soll Platz für 250 bis 300 Personen bieten. Rott würde also auf einen Schlag die Einwohnerzahl um etwa acht Prozent erhöhen. Die Flüchtlinge sollen laut Wendrock zwar nur etwa zwei Monate bleiben – also von Rott aus weitervermittelt werden – doch die Erfahrung zeige, dass dies oft nur Absichtserklärungen seien. Der Landrat habe ihm keine Zusicherung geben können, dass es nicht auch noch mehr Geflüchtete seien, die in Rott untergebracht würden. Die leerstehende Industriehalle im Gewerbegebiet Am Eckfeld umfasse etwa 3000 Quadratmeter, also durchaus Platz für weitaus mehr Menschen.
Rott als kleines Dorf, das „quasi über Nacht“ zur Sammelunterkunft für Flüchtlinge aus dem gesamten Landkreis werde: Das ist nach Überzeugung von Wendrock eine „grundlegende Fehlentscheidung“ des Landratsamtes. Denn von der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung würden zwei andere Orte profitieren: Raubling und Bruckmühl. Dort sollen im Gegenzug die zu Unterkünften umgenutzten Turnhallen aufgelöst werden. Die beiden Kommunen haben gemeinsam etwa 30.000 Einwohner, Rott nur 4200. Die Gemeinde würde also unverhältnismäßig stark belastet werden, so Wendrock. „Das überschreitet ganz klar unsere Aufnahmefähigkeit.“
Auch Kläranlage an Belastungsgrenze
Auch die Rotter Kläranlage sei altersbedingt an ihrer Belastungsgrenze. Sie könne nicht auf einen Schlag über 300 weitere Nutzer anschließen, verwies Wendrock noch auf einen weiteren Kritikpunkt.
Auch das Gebäude der ehemaligen Firma „Aladin“ ist nach Überzeugung von Wendrock nicht für eine Unterkunft geeignet. Es handele sich um eine Industriehalle ohne Freifläche, in einem Gewerbegebiet mit Schwerlastverkehr und Immissionen. Hier müssten auf engstem Raum Menschen unterschiedlicher Nationalitäten ohne jegliche Privatsphäre miteinander leben und auskommen. „Da sind Konflikte vorprogrammiert, es besteht die Gefahr, dass diese in den Ort getragen werden.“
In der Nähe gebe es keinerlei Infrastruktur für die Menschen: keine ärztlichen Versorgungsangebote, keine Einkaufsmöglichkeiten, keine Gastronomie. In der Nähe liege nur der Bahnhof. Auch Kinderbetreuungseinrichtungen und Schule in Rott sind laut Wendrock bereits jetzt zu hundert Prozent ausgelastet. Flüchtlingsfamilien, die länger als drei Monate bleiben, was zu erwarten sei, hätten jedoch einen Rechtsanspruch auf einen Schul- oder Kitaplatz für ihre Kinder.
„Rott ist eine offene, fremdenfreundliche Gemeinde“
Wendrock unterstrich mit Nachdruck, dass Rott eine „offene, fremdenfreundliche Gemeinde“ sei. Weit über 100 Flüchtlinge seien seit 2015 aufgenommen und betreut worden. Derzeit würden 108 Geflüchtete in unterschiedlichen Stadien des Anerkennungsverfahrens in der Gemeinde leben. Die Integration sei bisher stets erfolgreich gelungen, „das hat immer gut funktioniert“. Nach Überzeugung von Wendrock auch, weil die Menschen dezentral untergebracht worden seien. Ein Helferkreis habe sich 2015 gegründet und intensiv gekümmert. „Ich ziehe meinen Hut vor diesen Ehrenamtlichen.“ Trotzdem stehe fest: Derzeit würden sich nur noch zwei Personen einbringen, die sich persönlich um Flüchtlinge kümmern würden, die schon lange vor Ort seien. „Wir haben kaum noch Helfer“. Aufrufe der Gemeindeverwaltung würden seit einiger Zeit „null Rückmeldungen“ erreichen. Das Ehrenamt sei in den vergangenen Jahren mehrfach an die Grenzen der Belastbarkeit gekommen, zeigte Wendrock Verständnis.
Auch die Gemeindeverwaltung Rott befürchte eine Überforderung: Das Sozialamt sei nur mit einer Person, nicht einmal in Vollzeit, besetzt, das Einwohnermeldeamt bald nur mit zwei Mitarbeitern. Wenn die Ersterfassung über die Gemeinde erfolgen müsste, eine der vielen noch offenen Fragen, könne das Rathaus dies unmöglich stemmen. Weiteres Personal einzustellen, sei für Rott nicht nur finanziell unmöglich, „wir kriegen auch niemanden“, betonte Wendrock angesichts des Fachkräftemangels.
Er halte die Entscheidung des Landratsamts auch für einen städtebaulichen Fehler. Die Gemeinde werde baurechtlich prüfen, ob die Nutzungsänderung für das Gebäude möglich sei. Dafür habe die Kommune zwei Monate Zeit. Wenn der Gemeinderat, wie zu erwarten ist, den Antrag des Grundeigentümers ablehnen wird, ist die Angelegenheit trotzdem nicht vom Tisch. Denn das Landratsamt ist in diesem Fall in doppelter Funktion der Entscheidungsträger: als Baugenehmigungsbehörde und als Träger der Einrichtung.
„Wir werden das nicht auf uns sitzen lassen“
Wendrock legte Wert auf die Feststellung: Rott erkenne an, dass der Landkreis vor einer großen Herausforderung stehe. Die Flüchtlingssituation habe das Landratsamt nicht zu verantworten, „das eigentliche Problem liegt auf einer ganz anderen Ebene“, spielte der Rathauschef auf die bundes- und europapolitische Komponente an. Trotzdem könne das kleine Rott diese große Problematik nicht ausbaden. „Wir werden das nicht auf uns sitzen lassen.“ In den nächsten Tagen werde er viele Gespräche führen, „konstruktiv, aber mit aller notwendigen Härte“, außerdem werde er noch heute (11. Oktober) Kontakt mit einem Fachanwalt aufnehmen.
Bürgerinformation geplant
Der Landrat habe eine Bürgerversammlung versprochen, an der Lederer auch persönlich teilnehmen wolle. Zum Zeitplan gebe es jedoch noch keine detaillierten Angaben. Baurechtlich muss zuerst die Nutzungsänderung durchgeboxt werden, dann vermutlich ein Umbau erfolgen. Es könne also bis Anfang/Mitte nächsten Jahres noch dauern, deutete Wendrock an. Kommt es zu gerichtlichen Verfahren, ist diese Zeitschiene vermutlich nicht zu halten.
Solidarität aus Edling
Solidarität für Rott gab es bei der Pressekonferenz von der Nachbargemeinde Edling. Bürgermeister Matthias Schnetzer nahm als stiller Beobachter teil. „Ich kann meinem Kollegen nur beipflichten“, sagt er im Anschluss im Gespräch mit der Wasserburger Zeitung und wasserburg24.de. „Es hätte auch Edling treffen können, auch wir wären total überfordert.“ Deshalb habe er durch seine Anwesenheit Wendrock eine symbolische Unterstützung geben wollen.
So ist die Stimmung bei den Bürgern
Auch die Stimmung unter den 30 Rottern, die die Erklärungen von Wendrock mit Spannung und mehrfachem Applaus verfolgten, war geprägt von Fassungslosigkeit, großer Sorge und Verärgerung. Anlieger Korbinian Hein fasste die Meinungen treffend zusammen: „Die Menschen, die zu uns kommen, weil sie in ihrer Heimat verfolgt werden oder keine Zukunft sehen, können überhaupt nichts dafür. Doch wir als Gemeinde und Anwohner sind von der Entscheidung des Landratsamts total überrumpelt worden. Den geplanten Standort in dem Gewerbegebiet sehe ich als problematisch an, allein aufgrund des intensiven Schwerlastverkehrs an der schmalen Straße besteht ein erhebliches Unfallrisiko, besonders für Kinder. Darüber hinaus gibt es dort keinerlei Infrastruktur wie Supermärkte oder soziale Einrichtungen. Die Gemeinde Rott ist damit überfordert.“ Hein, Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition mit Sitz im Gewerbegebiet, erinnerte daran, dass beispielsweise sein Unternehmen Hilfstransporte in das Kriegsgebiet in der Ukraine im Zusammenspiel mit der Gemeinde Rott am Inn organisiert habe. Die Bevölkerung in Rott habe sich stets engagiert, wenn es darum gehe, Geflüchteten zu helfen. „Doch jetzt sind die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Auch im Interesse der Menschen, die in die Sammelunterkunft einziehen sollen, können wir diesen Weg nicht mittragen.“
Das Landratsamt Rosenheim hat sich fristgerecht bereits am Tag der Pressekonferenz (11. Oktober) auf Anfrage der Wasserburger Zeitung und wasserburg24.de zur Sachlage in Rott geäußert. Die Antworten des Landratsamts und eine Stellungnahme von Landrat Otto Lederer folgen.
