Verärgerung, Sorge, Widerstandswille
„Rott rotiert“ – Warum diese drei Bürger finden: „500 Flüchtlinge packt das Dorf nicht“
Ein Familienvater, ein Unternehmer, eine Einwohnerin – drei Rotter, die eine Sorge eint: Dass das kleine Dorf eine große Sammelunterkunft für bis zu 500 Flüchtlinge nicht verkraften kann. Klemens Seidl, Günther Hein und Heike Bachert aus der Bürgerinitiative „Rott rotiert“ über die Gründe für ihren Widerstand.
Rott – Klemens Seidl ist ein viel gereister Mann: Der 43-Jährige hat im Jahr 2000 ein Jahr als UN-Soldat in Syrien verbracht, als Zivilist oft den Nahen Osten besucht. Heuer ist er mit der Familie 80 Tage durch Europa getourt, mit Stationen in der Türkei, Georgien, dem Kaukasus. Der 43-Jährige kennt Menschen aus aller Welt und aus vielen Kulturen. Deshalb weiß er aus eigener Erfahrung auch: „Die Lebenswelten sind unterschiedlich. Das passt nicht immer zusammen.“ Begegnen sich die Vertreter der Religionen und Kulturen sowie Lebensstile zwanglos, offen und kommunikationsbereit entstehen, so betont Seidl, interessante Gespräche, die den Horizont erweitern würden.
Doch bis zu 500 Flüchtlinge unter einem Dach, in einer Gewerbehalle ohne viel Privatsphäre: Da ist auch nach Überzeugung von Seidl Konfliktpotenzial zu erwarten. Dies möchte er seiner Familie ersparen, denn sie wohnt in der Nachbarschaft der geplanten großen Sammelunterkunft in Rott. Deshalb engagiert er sich im Kernteam der Bürgerinitiative „Rott rotiert“, die am Sonntag, 26. November, ab 17 Uhr im Kaisergarten zu einer Lichterkette aufruft.
Klemens Seidl: Familie wird in ihrer Freiheit eingeschränkt
Rott war bisher ein Idyll, das der Vater und Ehemann bedroht sieht. Er und seine Frau sind nach vielen Stationen auch im Ausland bewusst aufs Land gezogen, haben hier vor vier Jahren eine neue Heimat gefunden, in der sie sich sehr wohlfühlen. Die Lebensqualität sei hoch, vor allem auch, weil die Kinder (drei und sechs Jahre alt) draußen spielen könnten. Eine große Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge nebenan, das bedeute für die Familie, dass sie in ihrer Freiheit eingeschränkt werde. „Sollen wir uns einkasteln daheim, mit Zäunen und Mauern, damit wir uns sicher fühlen?“, fragt er sich. Seidl legt Wert auf die Feststellung: „Konflikte gäbe es auch, wenn man 500 Rotter für Wochen in einer Halle zusammen wohnen lassen würde.“ Kämen Menschen, die vielleicht auf ihrer Flucht Traumatisches erlebt hätten, sei die Situation noch einmal schwieriger.
Heike Bachert: „Vertrautheit kann nicht entstehen“
Bisher hat Rott die aufgenommenen Flüchtlinge gut integrieren können, ergänzt Heike Bachert. Viele Bürger hätten zu den 120 Asylbewerbern, die bereits kamen und alle privat untergebracht sind, Beziehungen aufbauen können, auch dank des rührigen Helferkreises. „Man kennt sich“, sagt die Rotterin. Anders sei das nun mit der geplanten Sammelunterkunft. „Bei 500 Ankommenden, die außerdem immer wieder wechseln, ist es nicht möglich, dass Vertrautheit entsteht“, ist die Kleinunternehmerin überzeugt.
Bachert wohnt im Dorf neben dem Rewe-Supermarkt. Sie befürchtet, dass sich die Flüchtlinge und Asylbewerber vorrangig in diesem Bereich aufhalten, weil sie hier den besten Wlan-Empfang für die Kommunikation mit Daheimgebliebenen haben. Sie kritisiert die Entscheidung des Landratsamtes aus einer Doppelrolle heraus: Sie ist auch die Vermieterin einer Halle neben der geplanten Unterkunft. Die Immobilie hat sie vor elf Jahren gekauft und vermietet – eine Investition fürs Auskommen im Alter, sagt die 56-jährige Witwe.
2022 hat sie das Gebäude saniert. Der Hauptmieter, ein Lebensmittelhändler, plane hier eigentlich sogar eine Erweiterung des Großhandels um eine Verkaufsstation. Bachert befürchtet, dass er von diesem Vorhaben wieder abweichen könnte. Die Rotterin verweist außerdem auf die Tatsache, dass die Infrastruktur im Ort nicht ausreiche für 500 weitere Menschen. Die Kinderbetreuung sei bereits an ihrer Belastungsgrenze, ein Not-Kindergarten notwendig. Flüchtlinge, die mehr als drei Monate vor Ort seien, hätten jedoch Anspruch auf Betreuung. Die Praxen bei den niedergelassenen Ärzten hätten kaum noch Kapazitäten frei. Rott sei außerdem ein touristisch interessanter Ort, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass hier Franz-Josef Strauß begraben sei.
Günther Hein blickt vom Balkon seiner Betriebsleiterwohnung direkt auf die benachbarte, zukünftige Unterkunft. Der 54-Jährige ist Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition. 2022 hat das Familienunternehmen in den Standort Rott investiert und eine neue Halle gebaut. Hein sieht die Gefahr, dass die betrieblichen Abläufe massiv gestört werden könnten. Die Lkw der Spedition fahren hier an und ab, das Unternehmen liegt in einer Sackgasse. 500 Menschen direkt nebenan, „das ist gefährlich und nicht akzeptabel in einem Gewerbegebiet“, findet er. Er ist in Sorge, dass Geflüchtete die Lastwagen seines Betriebs als Mitfahrgelegenheit benutzen könnten und einfach aufspringen würden. Illegale Schleusungen, für die er die Verantwortung zu tragen habe.
Günther Hein: „Unkalkulierbare Risiken“
Hein sieht Versicherungsproblematiken auf sich zukommen. Und kann nicht verstehen, dass er als Unternehmer seinen Betrieb nur unter hohen Auflagen nach strengen Zertifizierungsnormen leiten dürfe, während eine Unterkunft für 500 Menschen gleich nebenan quasi ohne Rücksprache mit den Nachbarn einfach behördlicherseits durchgedrückt werde. „Ich bin sehr enttäuscht vom Landratsamt“, bringt er seine Kritik an der Kommunikation auf den Punkt. Die Anlieger und die Rotter seien einen Tag nach der Landtagswahl vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Der Mietvertrag sei bereits unterschrieben gewesen.
Trotzdem werde die Entscheidung nicht hingenommen. Denn es gehe um eine lebenswerte Zukunft für Rott, für die Bürger, die Anlieger und die Firmen im Gewerbegebiet. Hier sieht Hein sein Unternehmen, das 120 Mitarbeiter beschäftige, unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt, komme es tatsächlich zur großen Sammelunterkunft für bis zu 500 Geflüchtete. Dann würden sich die Rahmenbedingungen für seine Firma verschlechtern. Angesichts der Tatsache, dass die Speditionsbranche ohnehin stark zu kämpfen habe, sei dies in seinem Fall eine klare Wettbewerbsverzerrung. „Ich habe mein Leben lang sieben Tage in der Woche gearbeitet – wofür frage ich mich im Moment. Eine Unterschrift unter einen Mietvertrag und mein Unternehmen steht vor einem großen Berg von Problemen“, ärgert er sich.
Schwere Vorwürfe der Jusos Rosenheim-Land
Die Jusos Rosenheim-Land kritisieren die Bürgerinitiative „Rott rotiert“ im Vorfeld der am Sonntag, 26. November, geplanten Lichterkette in einer Pressemitteilung von Freitag, 24. November, scharf. Die BI verfolge als einziges Ziel die Verhinderung der Flüchtlingsunterkunft. Konstruktive Vorschläge zur Lösung der Situation gebe es nicht. Stattdessen sei von „Widerstand“ die Rede. „Widerstand gegen Menschen, die wegen Krieg, Hunger und Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen mussten. Diesen Menschen ein Dach über dem Kopf verweigern zu wollen, ist unmenschlich“, findet Juso-Sprecher Luca Fischer.
Das Argument der Initiative, ein Protest mit „Lichterketten“ passe gut in die Adventszeit, bewertet er als „schäbig“: „Auch Jesus war ein Flüchtling!“ Die Jusos finden, „Rott rotiert“ fehle ein stichhaltiges Argument gegen die Erstaufnahme-Einrichtung. Sie werfen der BI in der eine Seite umfassenden Pressemitteilung vor, sich anders als behauptet nicht ausreichend gegen extreme Ansichten abzugrenzen.