Auf Revisionen spezialisierte Anwaltskanzlei
Bekannt durch den Fall Kachelmann: Verteidigung im Fall Hanna holt Spezialisten ins Boot
Nur noch wenige Tage, dann muss die Verteidigung von Sebastian T. im Mordfall Hanna ihren Antrag auf Revision begründet haben. Im Boot sitzen seit kurzem Revisionsspezialisten aus Hamburg. Womit sie den Antrag auf Wiederaufnahme begründen.
Traunstein/Aschau – Die Verteidigung von Sebastian T. hat Verstärkung ins Boot geholt: An der Revisionsbegründung im Fall Hanna arbeitet nun auch die Kanzlei Schwenn Kruse Georg aus Hamburg mit. Die Hanseaten gelten als Revisionsspezialisten. Der vielleicht bekannteste Klient der Kanzlei: Jörg Kachelmann.
Dessen Ex-Freundin hatte dem Wettermoderator vorgeworfen, er habe sie bedroht und vergewaltigt. Kachelmann wurde freigesprochen. Auch im Fall „Maddie“ ist die Kanzlei aktiv: Sie vertritt den Mann, der mit dem Verschwinden von Madeleine McCann im Jahre 2007 zu tun haben soll.
Und nun der Fall Hanna W. (†23). Als Pflichtverteidiger hatten zunächst Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank den Angeklagten Sebastian T. vertreten. Im November hatte die Familie des Angeklagten Regina Rick als Wahlverteidigerin hinzugeholt. Die Verteidigerin trat am Landgericht Traunstein aggressiv auf, ihre Unterstützer setzte sie medienwirksam in Szene.
So wurde Staranwalt Gerhard Strate im Großen Saal des Landgerichts gesichtet, der Verteidiger, der Gustl Mollaths Freilassung aus der Psychiatrie durchsetzte. Auch Manfred Genditzki nahm als Zuschauer neben der Familie des Angeklagten Platz. Jener Manfred Genditzki, den Regina Rick in einem Aufsehen erregenden Wiederaufnahme-Verfahren vom Vorwurf des Mordes an einer alten Frau hatte reinwaschen können. Während der Verhandlung in Traunstein zog Rick des Öfteren Kritik auf sich, Richterin Jacqueline Aßbichler bezeichnete ihr Vorgehen bei der Urteilsverkündung als Gefahr für den Rechtsstaat. Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle bezeichnete ihr Vorgehen als Selbstdarstellung.
Befangenheitsantrag und JVA-Zeuge im Blick
Das ist nun gut vier Monate her. Nicht mehr ganz zwei Wochen bleiben der Verteidigung (Stand 10. Juli 2024), um eine Revision zu begründen. Dr. Yves Georg von Schwenn Kruse Georg hat sich nach eigenen Worten in die 289 Seiten Urteilsbegründung eingearbeitet – und konzentriert sich auf zwei Bereiche: Er nimmt den abgelehnten Befangenheitsantrag unter die Lupe. Und die Aussage des JVA-Zeugen.
Der nahezu fünf Monate dauernde Prozess sei „ein Indizienprozess mit extrem dünner Beweislage“ gewesen, sagte Georg auf OVB-Anfrage. „Es gibt kein Geständnis, keine Tatwaffe, nicht einmal einen Tatort und keinerlei objektive Beweisanzeichen, nur Zeugenaussagen vom Hörensagen – „letztlich beruht alles auf Mutmaßungen und Unterstellungen.“ Der Fall sei nicht einzigartig, aber doch ein „in jeder Hinsicht besonderer Fall. Einer, an den man sich auch später gerade in der Bayerischen Justiz noch erinnern wird“, glaubt Georg.
Verteidiger greifen den JVA-Zeugen an
Die Behauptung des Mithäftlings in der JVA Traunstein, Sebastian T. habe ihm gegenüber den Angriff auf Hanna W. gestanden, entschied wohl den Prozess. Das Landgericht Traunstein verurteilte Sebastian T. am 19. März 2024 zu neun Jahren und sechs Monaten – wegen gefährlicher Körperverletzung und Mordes. Die Vorsitzende Jacqueline Aßbichler war damit im wesentlichen der Schilderung des Mithäftlings gefolgt.
Die Verteidigung sieht da eine Angriffsfläche. Und das in zweifacher Hinsicht. Auch der Befangenheitsantrag, den Rick im Februar stellte, hatte mit dem Mitgefangenen und seiner Aussage zu tun. Nach den Worten des Mithäftlings änderte Richterin Jacqueline Aßbichler den Tatvorwurf – auf Körperverletzung plus Mord. Was wiederum einen „rechtlichen Hinweis“ nötig machte. Dabei handelt es sich an sich um die Unterrichtung der Prozessparteien. Nicht nur rechtens, sondern laut Strafprozessordnung zwingend.
Unangemessener Tonfall im E-Mail-Austausch?
Zuvor jedoch hatten sich Aßbichler und Staatsanwalt Wolfgang Fiedler per E-Mail über die Wendung im Prozess ausgetauscht – im vertrauten Ton alter Bekannter. Was Verteidigerin Regina Rick zu einem Befangenheitsantrag veranlasste, der eine Woche später von der 2. Jugendkammer des Landgerichts abgelehnt wurde.
Die Vertrautheit wundert Justizkenner nicht wirklich. Im Freistaat ist der Spurwechsel zwischen der Laufbahn als Staatsanwalt und der als Richter gewollt, man kennt einander im Normalfall, weiß wie die andere Seite tickt. Georg kritisiert die bayerische Praxis: „Da kann man durchaus eine Parallele heranziehen: Als Finanzrichter werden ja auch regelmäßig Leute aus der Finanzverwaltung herangezogen. Naheliegend auch, weil sie die fiskalische Denke mehr draufhaben und wissen, was des Staates ist.“
Verteidigung will nochmals Zeugen attackieren
„Der Befangenheitsantrag ist eine Kardinalfrage“, sagte Yves Georg. Aber auch „der JVA-Zeuge ist zentral. Wir sind der Auffassung, dass der Umgang mit ihm grob rechtsfehlerhaft war.“ Der Zeuge tauge nichts. Es geht um die Glaubhaftigkeit der Aussage, gerade im Fall Hanna, aber auch um die Glaubwürdigkeit des Zeugen.
Man spreche von einem Kriminellen, sagte Georg, einem „Mann mit diagnostizierter Borderline-Persönlichkeitsstörung, der früher schon die eigene Mutter eingestandenermaßen falsch bezichtigt hat“. Von Relevanz sei nun aber auch der rechtsmedizinische Aspekt. Die Verteidiger wollen, so war zu erfahren, sich die rechtsmedizinischen sowie die bio- und hydromechanischen Gutachten und deren Würdigung im Urteil ansehen. Die Frage, wie schon während etlicher Verhandlungstage: Können Hannas Verletzungen auch durch das Treiben in einem Hochwasser führenden, reißenden Fluß entstanden sein? Der BGH wird prüfen, ob das Gericht angemessen berücksichtigt habe, was für einen Unfall spreche.
Intensive Ermittlungen
Hanna W. war nach am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 von einem Besuch des Clubs „Eiskeller“ in Aschau nicht nach Hause zurückgekehrt. Ein Spaziergänger entdeckte sie am Nachmittag des 3. Oktober leblos in der Prien treibend. Die Polizei stellte massive Gewalteinwirkung fest. Als dingend tatverdächtig wurde gut sechs Wochen nach der Tat Sebastian T. festgenommen. Im Oktober 2023 begann der Prozess, der am 19. März 2024 mit T.s Verurteilung zu neuneinhalb Jahren Haft endete. Die Verteidigung legte Revision ein. Staatsanwalt und Polizei hatten mit großem Aufwand ermittelt. So waren Hunderte von Zeugen befragt worden.