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Angeklagte, Verteidiger und das Thema Geld

Fall Hanna und Horrorstall von Rimsting: Rosenheimer Anwalt Dürr räumt mit Irrtümern auf

Auch wem vor Gericht die Hände gebunden sind, darf noch auf einen Mitstreiter hoffen: Peter Dürr erläutert, wie‘s mit den Verteidigern läuft.
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Auch wem vor Gericht die Hände gebunden sind, darf noch auf einen Mitstreiter hoffen: Peter Dürr erläutert, wie‘s mit den Verteidigern läuft.

Warum hatte der Angeklagte im Rimstinger Stall-Fall zwei renommierte Pflichtverteidiger? Und Sebastian T. im Fall Hanna gleich drei Anwälte? Der Rosenheimer Experte Peter Dürr erklärt die Finessen des Justizsystems. Und beantwortet auch Fragen zum Thema Geld.

Rosenheim – Ein Landwirt in Pleite-Gefahr, der sich zwei teure Pflichtverteidiger nimmt? Wie geht das? Gar nicht, erläutert der Rosenheimer Anwalt Peter Dürr. Wer zahlt, was man zahlt und wer für welche Leistungen bezahlt wird: Peter Dürr, Vorsitzender des Anwaltvereins Rosenheim und Vorstandsmitglied der Anwaltskammer München, erläutert im OVB-Exklusiv-Interview die Finessen des Rechtssystems. Und er sagt, warum der Verurteilung oft ein dickes Ende folgt.

Wann bekommt ein Mandant denn einen Pflichtverteidiger?

Peter Dürr: Die wichtigste Info vorweg: Eine Pflichtverteidigung hat nichts mit den finanziellen Verhältnissen des Beschuldigten zu tun. Auch ein Multimillionär würde einen Pflichtverteidiger bekommen, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Das wird oftmals verwechselt. Es gibt ja im Zivilrecht das Institut der Prozesskostenhilfe. Da kommt es tatsächlich darauf an, wie viel oder wenig der Kläger oder Beklagte verdient. Aber im Strafrecht kommt es nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an. Ein Pflichtverteidiger kommt immer dann ins Spiel, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Das sind Fälle, in denen der Gesetzgeber sagt, ich möchte nicht, dass der Beschuldigte alleine gelassen wird.

Was für Fälle sind das?

Dürr: Der Hauptanwendungsfall ist, wenn sich die Haftfrage stellt. Wenn der Beschuldigte in Untersuchungshaft ist oder kommen soll, dann ist das immer ein Fall für die notwendige Verteidigung. Oder wenn schwere Rechtsfolgen drohen. Wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird oder die Hauptverhandlung in der ersten Instanz vorm Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet: Dann sind das Fälle, die für eine Pflichtverteidigung sprechen.

Mitunter gibt es dann auch zwei Pflichtverteidiger. Wie viele Pflichtverteidiger darf man denn haben?

Dürr: Zunächst wird immer ein Pflichtverteidiger bestellt. Tatsächlich gibt es aber keine Begrenzung. Man liest manchmal, die Anzahl der Verteidigung oder Verteidiger sei maximal drei. Das gilt aber bei genauer Betrachtung nur für die Wahlverteidiger. Diese Deckelung bezieht sich nicht auf Pflichtverteidiger. Also, das Gericht kann tatsächlich mehrere Pflichtverteidiger bestellen. Im NSU-Verfahren hatte Beate Zschäpe zum Schluss vier Pflichtverteidiger. Das Gericht muss begründen, warum es mehrere Pflichtverteidiger für geboten hält. Das kann sein, wenn das Verfahren groß und umfangreich ist. Der Hauptgrund für mehrere Pflichtverteidiger ist aber die Sicherung des Verfahrens. Wenn von vornherein klar ist, dass es um Verhandlungstage im zwei- oder dreistelligen Bereich geht, kann es immer passieren, dass Pflichtverteidiger Nummer eins ausfällt. Zum Beispiel, weil er krank wird. Dann könnte das ganze Verfahren scheitern.

Was nicht zuletzt im Aschauer Mordprozess fatal gewesen wäre.

Dürr: Und eben bei diesem Aschau-Fall waren ja auch sogar bei der Gerichtsbesetzung die Schöffen vorsorglich doppelt besetzt. Das ist im Endeffekt das Gleiche. Es ist dann oftmals ein probates Mittel, dass von Anfang an zwei Pflichtverteidiger eingesetzt werden. Das macht es auch bei der Suche nach Fortsetzungsterminen einfacher. Wenn der eine Anwalt nicht kann, dann genügt es auch mal, wenn nur der andere Pflichtverteidiger da ist. Bei einer notwendigen Verteidigung könnte ansonsten nicht verhandelt werden.

Wenn zwei Pflichtverteidiger sich persönlich nicht verstehen?

Dürr: Die Bestellung erfolgt übers Gericht. Es ist jedoch vorgesehen, dass der Beschuldigte zunächst gefragt wird, wen er haben möchte. Wenn der Beschuldigte niemanden kennt, dann trifft das Gericht die Auswahl. Wenn man mal als Pflichtverteidiger bestellt ist, kommt man da, so blöd wie es klingt, nur sehr schwer wieder raus. Also da muss schon ein starkes Zerwürfnis vorliegen oder das Verhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Angeklagten sehr zerrüttet sein. Wenn die Verteidiger einander nicht grün sind, ist das ansonsten nicht relevant. Die Hauptperson im Verfahren ist immer der Angeklagte.

Kann der Pflichtverteidiger nicht einfach hinwerfen?

Dürr: Er kann gleich zu Beginn gegen seine eigene Beiordnung Beschwerde einlegen. Zum Beispiel, wenn man den Mandanten aus einem früheren Verfahren kennt, da er noch eine Kostenrechnung offen hat, oder man eine Interessenkollision befürchtet. Ansonsten ist man da wirklich gefangen. Die Gerichte sind sehr zurückhaltend, diese Bestellung wieder aufzuheben. Reine Unzufriedenheit des Mandanten mit dem Pflichtverteidiger genügt nicht.

Selbst im relativ kurzen Prozess zum „Horror-Stall von Rimsting“ waren zwei Pflichtverteidiger bestellt, Dr. Markus Frank und Harald Baumgärtl. Warum das?

Dürr: Ja, möglicherweise entweder zur Absicherung des Verfahrens, oder wegen der Komplexität des Falles. Bestellt wurden die beiden jedenfalls vom Gericht. Der Angeklagte kann nicht von sich aus einen zusätzlichen Pflichtverteidiger dazuwählen.

Wer zahlt denn grundsätzlich für Pflichtverteidiger?

Dürr: Auch da gibt es einen Irrglauben: Der Pflichtverteidiger wird nicht einfach vom Staat bezahlt. Er rechnet zwar mit der Staatskasse ab. Wer zahlt, entscheidet letztendlich am Schluss aber das Urteil. Bei Freispruch übernimmt der Staat die Kosten. Wenn der Angeklagte verurteilt wird und die Zahlung der Verfahrenskosten zu übernehmen hat...

...wie im Fall Hanna und nun im Fall Rimsting...

Dürr: ... dann werden ihm mit der Abschlussrechnung sämtliche Verfahrenskosten auferlegt und damit auch die Verteidigungskosten. Die Stellung des Pflichtverteidigers ist im Endeffekt eher ein Darlehen für den Angeklagten, damit die Verteidigung gesichert ist. Ein Wahlverteidiger, der dem Mandanten eine Vorschussrechnung schreibt und sein Geld nicht erhält, könnte einen Tag vor der Verhandlung sagen: „Ich gehe morgen nicht zur Sitzung, weil du mich nicht bezahlt hast.“ Das kann ja der Pflichtverteidiger nicht. Und darum geht es. Aber diese Verteidigungskosten sind kein Geschenk. Der Verurteilte zahlt. Das ist ja dann für viele Angeklagte nach Abschluss des Verfahrens oftmals eine Überraschung. Übrigens: Zeugenauslagen, Sachverständigenkosten und Kosten für Untersuchungen gehören auch dazu.

Das ist natürlich jetzt im Fall des Bauern ganz schön hart.

Dürr: Ja, die Kosten für einen Gutachter sind oft enorm. Meistens sind die Gutachter sogar teurer als die Pflichtverteidiger. Weil Gutachter nach Stunden abrechnen können, was der Pflichtverteidiger gar nicht kann. Der kriegt ja seine fixen Sätze. Auch im Fall Aschau war das summa summarum erhebliche Kosten entstanden. Auch weil da sehr viele Gutachter involviert waren, zwei Pflichtverteidiger und dann eine Wahlverteidigerin.

Wie viel durfte denn Frau Rick im Hanna-Prozess verlangen?

Dürr: Als Wahlverteidiger hat man zwei Möglichkeiten. Entweder man rechnet nach gesetzlichen Gebühren ab, das ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Es gibt da gesetzlich definierte Gebührentatbestände, da hat aber der Anwalt ein bisschen Ermessensspielraum. Der Wahlverteidiger kann mit seinem Mandanten aber auch eine sogenannte Vergütungsvereinbarung schließen, kann nach Stunden abrechnen oder eine Pauschale pro Verhandlungstag oder ganze Verfahren vereinbaren. Das ist individuell verhandelbar, das macht auch jeder Verteidiger anders. Man darf nur keine sittenwidrige Vereinbarung machen. Es gibt gewisse Grenzen, wo dann auch die Rechtsprechung sagt, also das ist jetzt wirklich zu viel des Guten.

Was, wenn der Angeklagte zahlungsunfähig ist?

Dürr: Das ist auch wichtig zu wissen. Wenn ein Angeklagter zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und die nicht zahlen kann, dann wird sie in eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Das ist bei Verfahrenskosten nicht möglich. Niemand wandert ins Gefängnis, weil er die Verfahrenskosten nicht zahlen kann. Wenn der Staat sie nicht vollstrecken kann, dann ist das wie ein zivilrechtlicher Titel. Dann bleibt er drauf sitzen. Aber: Der Staat ist geduldig, er sitzt das aus. Vielleicht kommt da mal eine Erbschaft. Oder man kann es gegen die Steuererstattung vom Finanzamt aufrechnen.

Nach welchem System werden Pflichtverteidiger eigentlich ausgewählt, wenn der Angeklagte nicht selber einen Pflichtverteidiger wählt?

Dürr: Es gibt weder Turnus noch System. Das bestimmt im Zweifel der zuständige Richter, der den Pflichtverteidiger bestellt. Es gibt ein bundesweites Anwaltsverzeichnis. Da kann man angeben, wenn man Interesse an Pflichtverteidigungen hat. Natürlich wird und soll ein Gericht vorrangig immer im Strafrecht tätige Anwälte aussuchen. Es wäre beispielsweise weder sinnvoll noch würde es dem Interesse des Angeklagten entsprechen, einen Insolvenzrechtler für ein Mordverfahren zu bestellen.

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