Abgeordnete aus Feldkirchen-Westerham
„Es ist rauer geworden“: Landtags-Präsidentin Ilse Aigner im OVB-Interview
„Wenn es so weitergeht, wird es extrem schwierig“: Im Interview spricht Ilse Aigner über ihre Arbeit als Landtagspräsidentin und über eine Anhäufung von Krisen, die sie „in der Form noch nicht erlebt hat.“ Wie sich die Stimmung im Landtag seit dem AfD-Einzug verändert hat – und was Aigner vom Bund erwartet.
Rosenheim/München – Ilse Aigner (59) aus Feldkirchen ist Bezirkschefin der Oberbayern-CSU. Seit 2018 ist sie auch noch Präsidentin des Bayerischen Landtags. Eine Rolle, die sie sehr ernst nimmt. Im OVB-Exklusiv-Interview äußert sie sich zu den Herausforderungen der Gegenwart, zu Bayerns Weg in die Zukunft und zum Thema Migration. Und sie erklärt, wie sie über die Einhaltung der roten Linien im Landtag wacht.
Gratulation zur Wiederwahl als Präsidentin. Gratulation auch zu einem anderen Titel. „Wunderwaffe der CSU“. So hat die „Bild“ Sie bezeichnet.
Ilse Aigner: Echt? Habe ich gar nicht mitbekommen.
Freut man sich da als Präsidentin des Landtags? Sie sollten doch über den Parteien stehen.
Aigner: Mit meiner langen Geschichte kann ich das als Kompliment empfinden. Ich kann beide Ämter gut trennen. Ich bin weiterhin CSU-Bezirksvorsitzende, aber ich weiß sehr wohl, dass ich als Landtagspräsidentin eine überparteiliche Rolle innehabe. Und das beachte ich sehr stringent.
In diese Legislaturperiode sind Sie mit einem besonderen Erlebnis gestartet: Ein Abgeordneter, ausgerechnet der jüngste, ist gleich mal festgenommen worden. Gab‘s das schon mal?
Aigner: Ich wüsste nicht. Es hat immer wieder mal Ermittlungsverfahren gegeben, ja, auch mehrfach in einer Legislaturperiode. Es gab auch schon mal Durchsuchungen im Haus. Aber eine Festnahme hat es meines Wissens noch nicht gegeben.
Wie hat sich denn durch den Einzug der AfD in den Bayerischen Landtag das Klima generell verändert?
Aigner: Das Klima ist rauer und ruppiger geworden. Das hat man in der letzten Legislaturperiode auch schon an der Anzahl der Rügen erkennen können. Die hat es jahrzehntelang vorher gar nicht gegeben. Aber in der letzten Legislaturperiode waren es 26 im Plenum, und daran kann man schon sehen: Da war einiges los. Und es gab auch unschöne Szenen.
Sie zeigen Kante, haben auch schon mal über Bußgelder nachgedacht.
Aigner: Das müssen wir noch mit den Fraktionen diskutieren. Denn da geht es um eine gesetzliche Änderung, das kann ich nicht einfach per Hausrecht verfügen. Das ist schon auch ein weitreichender Eingriff in das Abgeordnetenrecht. Aber es geht. Das sieht man ja auch im Bundestag, und deswegen werde ich das vorantreiben. Das soll keine inflationäre Maßnahme werden. Aber ich stelle schon fest, dass eine Rüge für einige anscheinend ein Kavaliersdelikt ist - oder sogar wie eine Trophäe gehandelt wird. Das kann ich nicht akzeptieren.
Das Klima in Deutschland generell hat sich verändert. Das Geld wird knapp, die Leute sorgen sich um den Besitzstand, die Polarisierung schreitet voran. Was wird das für Auswirkungen auf die Arbeit im Maximilianeum haben?
Aigner: Die Krisen wirken sich auf die Menschen aus, und damit auch auf die Abgeordneten. Wir haben eine multiple Krisenanhäufung, die ich in der Form auch noch nicht erlebt habe. Und gerade die Krisen im Ausland führen dazu, dass das Wohlstandsversprechen, dass es der nachfolgenden Generation automatisch besser geht, nicht mehr von jedem als garantiert angesehen wird. Das verunsichert die Menschen. Übrigens hat auch die Art der Kommunikation, die Art, wie man sich Informationen beschafft, Auswirkungen. Die sozialen Medien machen etwas mit den Menschen. Früher waren Zeitung, Radio und Fernsehen im Wesentlichen die Informationsquellen. Das hat sich dramatisch verändert. Es gibt Kräfte in unserem Land, die gehen komplett ihrer eigenen Wege. Die halten sich teilweise nur noch in ihren Filterblasen auf, wo sie sich gegenseitig hochschaukeln.
Wie man in Rosenheim sehen kann. Der Polizeichef meint: Die Region sei ein Hotspot für Reichsbürger und Querdenker. Haben Sie eine Erklärung, warum das so ist?
Aigner: Darüber philosophiere ich schon länger. Das reicht ja auch in meinen Stimmkreis hinein. Erklären kann ich es nicht. Aber es ist auffällig.
Weil Sie vom Wohlstandsversprechen sprachen: Es zu geben, wäre das in unserer Zeit ehrlich?
Aigner: Grundsätzlich muss man sagen, dass wir immer noch in einem Land leben, das viele Menschen auf der ganzen Welt als erstrebenswertes Ziel ansehen. Wir haben schon sehr gute Voraussetzungen, gerade in Bayern, mit sehr guten Wirtschafts- und Sozialstrukturen, guten Bildungsstrukturen. Wir können nach wie vor stolz sein, müssen aber etwas dafür tun, dass es so bleibt.
Ja, hierher wollen viele. Wie viele könnten wir noch aufnehmen? Ihr ehemaliger Landtagskollege, Rosenheims Landrat Otto Lederer, sagt, wir seien am Rande unserer Möglichkeiten.
Aigner: Wenn es so weitergeht, wird es extrem schwierig. Das ist es eigentlich schon jetzt. Deswegen sagen wir ja immer – da spreche ich als CSU-Politikerin -, dass die Ursachen bekämpft werden müssen. Wir brauchen einen wirksamen Schutz der Außengrenzen, keine Frage. Wir werden auch über Zurückweisungen an den Grenzen reden müssen. Denn die, die zu uns kommen, bleiben zu einem Großteil. Und die Rückführung funktioniert nur bedingt gut.
Wenn man sich die Berichte über immer dreistere und brutalere Schleuser anhört – verzweifelt man da nicht als Landespolitiker, wenn man sieht, wie wenig Einfluss man auf internationale Abläufe hat?
Aigner: Na ja. Der Innenminister hat erst neulich berichtet und gesagt, dass die Grenz- und Binnenkontrollen schon etwas bewirken. Das Grundproblem ist aber damit nicht gelöst. Da müssen auf Bundesebene Veränderungen herbeigeführt werden.
Glauben Sie denn überhaupt, dass die Ampelkoalition durchhalten wird?
Aigner: Ich glaube, sie werden alles tun, um durchzuhalten, weil die Umfragen für alle Parteien der Ampel keine rosigen Aussichten verkünden.
Aigner: Wir haben immer noch die gleiche Anzahl an Abgeordneten. Und das bei einem verstärkten Bewerberumfeld. Auch die Freien Wähler haben sich entwickelt, das brauchen wir nicht schönreden, und von den Diskussionen kurz vor der Wahl haben sie profitiert. Ich glaube, dass viele Menschen auch Denkzettel verteilen wollten, nicht so sehr wegen
Bayern, sondern vielmehr aus Unzufriedenheit über die Bundespolitik.
Und nun gibt es in Bayern eine Regierung aus CSU und kraftstrotzenden Freien Wählern. Von wem geht die größere Gefahr für die Volkspartei CSU aus – von den Freien, der Konkurrenz im eigenen Haus? Oder von der AfD, die auf extrem rechten Überholkurs ist?
Aigner: Die Freien Wähler sind unsere Partner, das wird die AfD niemals werden. Gerade zu dieser Legislaturperiode haben sich die vom Personal her nochmals radikalisiert, was man auch an der Festnahme gesehen hat.
Die Bayern haben ihre Wahl hinter sich, mit einer AfD, die zulegen konnte. In drei ostdeutschen Ländern steht die Wahl noch bevor. Ist Ihnen da bang?
Aigner: Insgesamt sehe ich das natürlich mit Sorge. Ich hoffe aber auch, dass die Menschen nicht nur Denkzettel verteilen, sondern genau hinschauen, wer da überhaupt in den Landtag einziehen will.
Schauen wir die nächsten fünf Jahre in Bayern an. Wie sehen die Prioritäten für den Landtag aus?
Aigner: Für den Freistaat Bayern ist am wichtigsten, dass wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Die Steuereinnahmen brauchen wir auch für die Finanzierung der Bildung, und ebenso für die Innere Sicherheit auf dem hohen Niveau, das wir hier haben. Dazu kommen Herausforderungen wie die Energiewende. Und natürlich wird auch der Wohnraum ein Thema sein, der immer zu knapp ist, zudem die Infrastruktur. Und man darf nicht vergessen: Wir sind ein starkes soziales Land. Auch was ehrenamtliche Strukturen betrifft, ist Bayern herausragend.
Ihre Rolle darin?
Aigner: Dass das im Parlament geordnet funktioniert. Wir sind ein...(hält kurz inne und lacht dann) ein sehr lebendiges Parlament, in dem auch sehr intensiv diskutiert werden darf. Und zu organisieren, dass das reibungslos läuft, und dass auch die Abgeordneten ihren Job machen können – das ist meine Aufgabe. Besondere Bedeutung kommt auch den Ausschüssen zu. Dort wird die Hauptarbeit gemacht. Da sind wir in Bayern vorbildlich. Die sind öffentlich. Und ich kann den Bürgerinnen und Bürgern nur empfehlen, da mal reinzuschauen. Da wird um die Sache hart gerungen. Das alles zu organisieren, bei 203 Abgeordneten und fünf Fraktionen, ist eine Herausforderung, der ich mich sehr gern stelle. Sie ist es mehr als wert.
Ein sehr lebendiges Parlament, in dem manchmal auch jemand rote Linien überschreitet. Wo gibt es für Sie Grenzen?
Aigner: Persönliche Beleidigungen gehen natürlich überhaupt nicht. Man muss immer wieder überlegen, wie und wo man reagiert - so, dass es nicht inflationär wird, aber einschreitet, wenn es zwingend erforderlich ist. Wenn es turbulent wird, ist es gut, wenn man nochmal im Protokoll nachliest. Deswegen haben wir auch eine Art Videobeweis. So kann
man sich im Präsidium nochmals beraten und gegebenenfalls bei der nächsten Sitzung mit einer Rüge nachlegen.
Kürzlich verglich der AfD-Abgeordnete Christoph Maier einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung mit dem NS-Ermächtigungsgesetz. Haben Sie manchmal den Eindruck, einem Kindergarten vorzustehen?
Aigner: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Aber manche testen die Grenzen aus. Und in den Medien kommt man halt vor allem auch dann vor, wenn man pointiert argumentiert oder die Grenze streift. Die Abgeordneten wollen eben auch gehört, wahrgenommen und gelesen werden.