Chiemgauer Erklärung in Aschau
Finanzminister-Gipfel im Schatten der Kampenwand: Wie Lindner Europa durch die Krise lotsen will
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kam in Aschau im Chiemgau mit seinen Ministerkollegen aus den deutschsprachigen Nachbarländern zusammen. Sie unterzeichneten ein Abkommen für Grenzpendler. Und präsentierten eine „Chiemgauer Erklärung“.
Aschau im Chiemgau – Die Momente der Einmütigkeit, in der Politik sind sie angeblich so selten. Christian Lindner erlebte immerhin einen solchen Augenblick in Aschau im Chiemgau. „Also, noch schöner hätten wir uns das nicht aussuchen können“, schwärmte der deutsche Finanzminister mit Blick auf Aschau und die Berge. Und durfte sich sicher sein, nicht ein Wort des Widerspruchs zu hören.
Ist ja auch kaum zu übertreffen, dieser Blick von der Dachterrasse der Residenz Heinz Winkler: Über die Dächer des Dorfs, hinüber zur Kampenwand, die im Lichte der Abendsonne aufleuchtet, zu Rechten ruht wie ein Spielzeugschlösschen Hohenaschau auf einem Felsrücken. „Und da fliegt wie bestellt auch noch ein Paraglider“: Lindner hatte offenbar Freude an seinem Aschauer Gipfel mit den Kollegen aus den Finanzministerien der deutschsprachigen Nachbarländer Österreich, Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein.
Probleme im Haus, Probleme in Europa: Auch in Aschau bleibt die Lage fordernd.
Möglicherweise würde sich auch Lindner selbst gerne wie ein Paraglider fühlen, so – schwerelos und weit über dem Boden mit den üblichen Problemen dort. In Bayern lassen die Umfragen für Lindners FDP bei der Landtagswahl kein berauschendes Ergebnis erwarten. Lindners ampelinterne Scharmützel mit Familienministerin Paus (Grüne) bestimmen die Schlagzeilen. Dabei gebe es doch auch Gutes, etwa die Verbesserungen, die seine FDP beim Heizungsgesetz erreicht habe, beteuerte Lindner gegenüber dem OVB.
Wichtig auch für die Region Rosenheim: Grenz-Pendler sollen entlastet werden
Eine weitere Verbesserung brachten die Finanzpolitiker am Montag (21. August) in der Residenz Winkler auf den Weg. Auf der Dachterrasse ergötzten sie sich nicht nur am schönen Ausblick. Sie unterzeichneten auch ein Doppelbesteuerungsabkommen. Was sich nach doppelter Besteuerung anhört, soll aber die Menschen entlasten, die über Grenzen pendeln. Bislang muss ein Grenzgänger seinen Lohn im Wohnort-Staat und nicht im Tätigkeits-Staat versteuern, sofern er die Grenze passiert und nicht mehr als 45 Tage zu Hause bleibt.
Wer häufiger zu Hause bleibt, muss in beiden Ländern Steuern zahlen. Ausnahme: Die Pandemiezeit. Bis Juli 2022 konnten die Pendler komplett zu Hause arbeiten. Weil sich Homeoffice aber auch nach Corona hält, regte Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) bei Lindner eine Änderung an. Mit dem Abkommen wird‘s nun einfacher: Um als Grenzgänger zu gelten, ist zwar weiter das Arbeiten und Wohnen in der Grenzzone, jedoch nicht mehr ein tägliches Pendeln über die Grenze erforderlich. Auch im Homeoffice kommt es also zu keiner Steuerpflicht in beiden Ländern.
Christian Lindner: Vorbereiten auf die nächsten Krisen
Und dann ist da noch die Krise, die sich abzeichnet, noch bevor die anderen Krisen bewältigt sind. Deutschlands Wirtschaft schwächelt mittlerweile. Derweil führt Russland noch immer Krieg in der Ukraine. Die Energiepreise sind hoch, ebenso wie die Inflationsrate. „Inflation ist asozial“, sagte kurz und bündig die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Man müsse sich vorbereiten, Reserven bilden. Wappnen gegen die Krisen, die möglicherweise kommen, sagte der österreichische Kollege Magnus Brunner und verbesserte sich: „Die sicher kommen.“
Bildung und Sparen: Das steht drin in der „Chiemgauer Erklärung“
Wie das geschehen soll, darüber sind sich die deutschsprachigen Finanzpolitiker einig. In einer „Chiemgauer Erklärung“ legen sie Eckpunkte fest. Produktivität steigern, Digitalisierung vorantreiben, demographischen Wandel und Abkehr von fossilen Brennstoffen managen, Verschiebungen in der Weltwirtschaft und der globalen Ordnung begegnen: Das wollen die fünf Länder schaffen, ohne weiter Schulden anzuhäufen, die sich während der Pandemie ohnehin erschreckend aufgetürmt haben.
Ein weiterer Punkt: finanzielle Bildung. Wohl bedachte Entscheidungen über die eigenen Finanzen zu treffen, sei ein wichtiger Aspekt der Chancengleichheit, sagte Lindner. Ein guter Ansatz, dessen Wichtigkeit in der Region Rosenheim zuletzt der FlexiCamper-Skandal mit zahllosen geprellten Kunden verdeutlichte.
Man werde auch die Zusammenarbeit zwischen den deutschsprachigen Ländern auf diesem Gebiet prüfen, heißt es in dem Papier. Der dritte Punkt, der besprochen wurde: Die fünf Länder bekräftigen ihre Unterstützung für die Ukraine. Man habe auch darüber gesprochen, wie der Wideraufbau gemeistert werden könne, insbesondere, indem man auch private Investoren ins Boot holt.
Chiemgauer Erklärung: Eine leise Äußerung im Konzert der Großen
Was die Chiemgauer Erklärung wert ist muss sich zeigen. Immerhin haben fünf Ressortleiter von fünf Ländern in Aschau Eintracht präsentiert. Fünf nicht allzu große Länder, das muss man zugeben, aber Länder mit einem gewissen Gewicht in wirtschaftlichen Fragen. Deutschland, Österreich, die Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein verzeichnen lediglich ein Prozent der Weltbevölkerung – aber gut sechs Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts. Für Aschaus Bürgermeister Simon Frank war‘s ein Gipfel, der dokumentiert werden muss: Nachdem die Erklärung verlesen und das Steuer-Abkommen unterzeichnet war, legte er den fünf Ministern noch das Goldene Buch der Gemeinde Aschau vor.
Aus Sicht der Aschauer Touristiker ebenso wichtig: Die Residenz Heinz Winkler stand endlich mal wieder im Licht der Öffentlichkeit. Promis gehörten schon immer zu Heinz Winkler. So politisch wie am Montag wird‘s freilich eher selten. Per Ausschreibung sei die Residenz zum Gipfel-Schauplatz erkoren worden, sagte Geschäftsführerin Marianne Lauber. Man habe eben das beste und professionellste Angebot gehabt.
Es kann aber auch sein, dass Lindner für seine Präsentation Kulisse und Kindheitserinnerung zusammenbrachte. Er kenne die Gegend gut, sagte Lindner; als Kind habe er mit seinen Eltern immer mal wieder Ferien im Chiemgau erlebt. Womöglich spielte aber auch die Landtagswahl eine Rolle, dass Lindner seine Gäste ins Herz von Oberbayern einlud: Mehr als die Hälfte seiner Auftritte bis in den Oktober hinein verzeichnet der Bundesfinanzminister in Bayern.