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Exklusivinterview mit Politik-Experte Florian Wenzel

Aiwanger-Krise: Warum es Söder „heiß um die Ohren“ werden könnte

Gern gesehener Gast: Hubert Aiwanger trägt sich ins Goldene Buch der Gemeinde Aschau ein, sekundiert von Sepp Lausch und Sepp Hofer von den Freien Wählern. Für Politik-Experte Florian Wenzel aus Halfing eine befremdliche Szene.
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Gern gesehener Gast: Hubert Aiwanger trägt sich ins Goldene Buch der Gemeinde Aschau ein, sekundiert von Sepp Lausch und Sepp Hofer von den Freien Wählern. Politik-Experte Florian Wenzel aus Halfing (kleines Foto) findet Aiwangers Auftritte bedenklich.

In der Affäre um ein 35 Jahre altes Hetz-Pamphlet hält Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger von den Freien Wählern fest. Befreiungsschlag oder Eigentor? Und wie beeinflusst der Skandal um Aiwanger den Wahlkampf? Ein Experte aus Halfing spricht Klartext.

Halfing – Der Endspurt für die Landtagswahl in Bayern dürfte heiß werden: Nicht zuletzt der Skandal um ein Hetz-Flugblatt, mit dem der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger als Schüler angetroffen wurde, schüttet Öl ins Feuer der politischen Auseinandersetzung. Ministerpräsident Markus Söder hält an seinem Stellvertreter Aiwanger trotz heftiger Kritik fest. Und der tourt derweil schon wieder im Triumphzug durch die Bierzelte, ohne die Angelegenheit um das Flugblatt – auch nach Söders Ansicht – restlos geklärt zu haben.

Doch es geht um die Koalition: Schwarz-Grün will Söder auf jeden Fall vermeiden. Am Sonntag (3. September) erteilte er daher Aiwanger so etwas wie einen Freispruch auf Bewährung. Die Causa Aiwanger ist vorerst also abgeschlossen. Ein Befreiungsschlag? Oder doch ein Eigentor? Und was richtet der Skandal in der bayerischen Politik an? Wir sprachen mit Florian Wenzel, selbständiger Moderator und Prozessbegleiter im Bereich des Demokratie-Lernens aus Halfing.

Im Wahlkampf schlagen schon jetzt die Wogen hoch. Und man hat den Eindruck, es geht erbitterter zu als früher. Woher kommt sie, diese Freude am Wüten?

Florian Wenzel: Es wird oft gesagt, dass die multiplen Krisen unserer Zeit die Ursache sind. Ich zweifle das an. Wir leben doch noch immer in einem der reichsten und privilegiertesten Länder. Und man hat den Eindruck, gerade die, die am besten dastehen, regen sich am lautesten auf. Wir haben eine Art Erregungskultur, in der es nicht mehr um Inhalte geht. Und mit dieser Lust am Schreien und Erregen sind wir im Trumpismus angekommen. Zu ernsthaften Erwägungen nehmen sich immer weniger Menschen die Zeit. Wir haben andere Probleme, heißt es dann oft. Ich würde das umdrehen und sagen, so viele Probleme haben wir gar nicht, es ist nur so, dass wir uns mit Lust darauf stürzen, anstatt das Gemeinwohl zu bedenken.

Und jetzt verschärft die Causa Aiwanger auch noch die Stimmung.

Wenzel: Es wäre förderlich, wenn Aiwanger das mit dem Denken ans Gemeinwohl auf sich selbst anwendet. Aber er zieht sich geradezu perfide aus der Affäre. Er hat nicht den Mut, in seiner eigenen Angelegenheit sich offen zu äußern. Stattdessen redet er von „Schmutzkampagne“, schürt die Wut auf die anderen und inszeniert sich als Heilsbringer. Und viele Leute folgen ihm auch noch. Diese gefährliche Tendenz kennen wir aus anderen Ländern. Und da trifft man immer wieder diese Opferrhetorik: Wir werden ausgegrenzt. Stattdessen betreibt man selbst eine Politik der Ausgrenzung.

Aber Aiwanger soll, so das Kalkül der CSU, doch nur die Wähler binden, denen die CSU nicht mehr konservativ genug ist.

Wenzel: Das hat nichts mehr mit Konservatismus zu tun. Das ist Rechtspopulismus. Die Vorgänge der vergangenen Tage haben mich schockiert. Als taktische Entscheidung kann man Söders Entscheidung respektieren, auch weil sonst ein größerer Rechtsruck zu befürchten gewesen wäre. Aber wie die Leute reagieren, im Bierzelt oder in Kommentaren, wie sie Aiwanger und diesem Nichtargumentieren, diesem Schreien folgen, das ist unfassbar. Da ist wieder diese Lust an der Lautstärke, die Lust an der Erregung. Man müsste die Menschen mal fragen: Was hat denn Aiwanger so viel besser gemacht als andere Politiker? Da würde es doch dünn werden.

War es aus Sicht Söders klug, an Aiwanger festzuhalten?

Wenzel: Es wird immer viel von Haltung und Anstand geredet. Politik hat aber auch mit Machterhalt zu tun. Wenn sich Söder in dieser Situation höchst anständig und ethisch einwandfrei verhält, dann fliegt ihm vielleicht der Laden um die Ohren. Dass er das in seine Überlegungen einbezieht, ist legitim. Das Problem ist aber, dass er sich an einen Rechtspopulisten gebunden hat, der mit ihm wilde Tänze aufführen wird. Wer sich mit Populisten ins Bett legt, kann auch mit einem Orban aufwachen. Man hatte sich immer von der AfD abgegrenzt. Aber den Rechtspopulismus hat die CSU damit salonfähig gemacht.

Wie glaubhaft sind die vielen Erklärungen, die Aiwanger mittlerweile abgegeben hat?

Wenzel: Es war zu wenig und zu spät und insgesamt absolut unglaubwürdig. Wenn er 2008 und 2013 schon mal Mitarbeiter vorgeschickt hat, um nachzufühlen, dann muss er Sorge gehabt haben, dass da was rauskommen kann. Söder hat recht, man kann es nicht beweisen, Aber zu glauben ist Aiwangers Geschichte auch nicht. Jetzt kann man wieder sagen, das war eine Jugendsünde. Aber diese Linie, die sich da bei Aiwanger durchzieht. Bei den Freien Wählern gab es doch selbst mal eine Fraktion, die sich vor Aiwangers Rechtspopulismus fürchtete.

Und dann kam die Erdinger Rede...

Wenzel: Ich war mal Mitglied bei den Freien Wählern. Und nach der Erdinger Rede bin ich ausgetreten. Sepp Hofer (FW-Kreisvorsitzender und stellvertretender Landrat) versteht das überhaupt nicht, er sagt, wir haben so viel Zuspruch wie nie. Die sind bei den Freien Wählern berauscht vom Erfolg. Man sieht es ja auch an der AfD, wo die im Moment stehen. Das bedeutet auch für mich als Politikwissenschaftler und als jemand, der in der politischen Bildung arbeitet, Fragen und eine Krise: Bei dem Ausmaß, das Fakenews und Populismus erreicht haben, fragt man sich manchmal, was man noch tun soll.

Wie sehen Sie die Folgen für den Wahlkampf – wird das Ringen um Wählerstimmen nun noch aggressiver?

Wenzel: Auf jeden Fall. Und einigermaßen unvorhersehbar. Wenn die Freien Wähler noch fünf, sechs Prozent zulegen, dann wird es dem Söder auch heiß um die Ohren werden. Dann kann es sein, dass Markus Söder eine neue Strategie wählt. Wenn Aiwangers Kalkül aufgeht, und wenn die Menschen auf diese Erzählung vom Märtyrer, vom Phönix aus der Asche reinfallen, kann auch eine Menge passieren. Auf der anderen Seite waren die Recherchen der Süddeutschen bislang relativ dünn. Wenn weitere Leute aus der Deckung kommen, könnte es auch für Hubert Aiwanger nochmal eng werden. Dann ist wieder alles offen.

Ein Durcheinander, wie man sich‘s in Bayern lange nicht vorstellen konnte, mit harten Lagerbildungen. Ist das eigentlich auch eine Spätfolge von Corona?

Wenzel: Nun, Polarisierung haben wir 2015 schon auch erlebt, als die vielen Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen. Da hieß es im Streit doch auch schnell, bist du Gutmensch oder bist du Nazi? Dann kam Corona, dann der Ukraine-Krieg. Es kam noch mehr drauf, aber neu ist es nicht. Auch harte Auseinandersetzungen gab es früher schon, erinnern Sie sich an Wackersdorf. Neu ist, wie Aiwanger gerade im ländlichen Raum verschiedenste Strömungen integrieren kann.

Aber die Gesellschaft wirkte auch schon mal weniger aufgeregt. Haben wir das Streiten verlernt?

Wenzel: Ja, das produktive Streiten. Wir haben eine konflikthafte Koalition auf Bundesebene. Darin liegt eigentlich auch eine Chance: Die Koalition repräsentiert viele Strömungen. Und sie könnte ein Modell sein, wie wir mit Konflikten und trotzdem produktiv zusammenleben können. Aber das wird meist nicht so wahrgenommen. Streit wird per se mit Chaos, Nichtwissen und Blockade verbunden. Und das ist nicht gut für eine Demokratie. Wir sind eine Gesellschaft, in der es gilt, die unterschiedlichsten Vorstellungen zu integrieren. Und da rumpelt es eben manchmal und es kracht. Hätten wir da eine konsensuelle Demokratie, dann würde es gefährlich werden. Und so ist es auch nicht gut, wenn wir das produktive Streiten verlernen.

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