„Aus meiner Sicht nicht verständlich“
Rosenheimer Anwältin klärt auf: So stehen Rotts Chancen bei Klage gegen Flüchtlings-Unterkunft
Seit fast einem Jahr kämpft die Gemeinde Rott gegen die geplante Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge. Der nächste Schritt der Kommune: Eine Klage gegen das Landratsamt. Wie Fachanwältin Friederike Simons aus Rosenheim die Chancen für die Kommune einschätzt – und warum ein neuer Paragraf im Baugesetzbuch ausschlaggebend sein könnte.
Rott – In Rott ist eine Erstaufnahme-Einrichtung für rund 300 Flüchtlinge geplant. Das teilte das Landratsamt Rosenheim der Kommune im Oktober 2023 mit. Daraufhin kündigte Bürgermeister Daniel Wendrock „massiven Widerstand“ gegen diese Entscheidung. Die kleine Gemeinde führte verschiedene Argumente gegen die geplante Flüchtlings-Unterkunft an: Eine „menschenwürdige Unterbringung“ sei in der dafür vorgesehen Halle im Gewerbegebiet „Am Eckfeld“ nicht möglich, zudem gebe es Bedenken wegen der Quecksilber-Belastung. Die Kommune befürchte außerdem, dass durch die Erstaufnahme-Einrichtung das Geschäftstreiben der bereits ansässigen Unternehmen beeinträchtigt werde. Ein weiteres Argument der Verwaltung: 300 weitere Personen würden das sowieso schon ausgelastete Trinkwassernetz und die Abwasserversorgung überfordern.
Derzeit liegt auf dem Bebauungsplan des Gewerbegebiets eine Veränderungssperre, die Verhandlungen mit dem Landratsamt ruhen. Eine Klage gegen die Pläne des Landratsamts und der Regierung von Oberbayern schließt Rott nicht aus, sie hat bereits einen Rechtsanwalt eingeschaltet.
Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt, der die Gemeinde beunruhigt: der Paragraf 246, Absatz 14, im Baugesetzbuch. Er sieht vor, dass von Vorschriften abgewichen werden kann, wenn dies zur Errichtung von dringend benötigten Unterkünften für Flüchtlinge dient. Möglich seien dann Abweichungen vom Bauplanungsrecht. Wie stehen also die Chancen für Rott, erfolgreich gegen diesen Paragrafen zu klagen?
Entscheidungsspielräume vorhanden
Friederike Simons, Fachanwältin für Verwaltungsrecht und Mitglied beim Anwaltverein Rosenheim e.V., meint dazu: „Die im Fokus stehende Migrationsthematik verleitet vielfach zu der Annahme, die Kommunen hätten zum Thema Flüchtlingsunterkünfte überhaupt keine Entscheidungsspielräume mehr. Das ist in dieser Pauschalität nicht richtig“, so die Fachanwältin auf Anfrage.
„Flüchtlingsunterkünfte wurden auch schon lange vor dem Jahr 2015 genehmigt – oder abgelehnt. Bereits vor den besonderen Regelungen in Paragraf 246 Baugesetzbuch, die im Gefolge der Flüchtlingszuwanderung geschaffen wurden, stand den Kommunen – und steht immer noch – das Recht zu, das Einvernehmen zu erteilen“, erklärt sie. „Verweigert dies die Gemeinde, weil sie der Meinung ist, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen und erteilt das Kreisbauamt trotzdem die Genehmigung, kann die Kommune die Baugenehmigung anfechten und auf Verletzung ihrer Planungshoheit klagen“, erläutert die Juristin.
„Wegen des Wohnraumbedarfs aufgrund der starken Migrationsbewegungen wurden sukzessive Regelungen eingeführt, die die Erteilung einer Baugenehmigung auch dann ermöglichen, wenn diese nach geltendem Recht nicht möglich ist, wie beispielsweise beim Paragraf 246, Absatz 14, im Baugesetzbuch. Diese Regelungen stellen Eingriffe in die Planungshoheit dar, werden aber als verfassungsmäßig angesehen“, so Simons. Diese Ausnahme dürfe aber nur angewendet werden, wenn dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können, erklärt die Fachanwältin.
Das Beispiel der Gemeinde Rott zeige nachdrücklich, wo die Probleme in der Praxis liegen würden: „Ist es rechtens, eine Flüchtlingsunterkunft zu genehmigen, wenn dies zwingend dazu führt, dass Kommunen ihre Entwässerungsanlage dafür ertüchtigen oder eigens neue Straßen bauen müssen, wenn also erhebliche finanzielle Erschließungs-Aufwendungen mit diesem Projekt einhergehen? Oder ist ihnen das zumutbar, wenn ja, gibt es eine Belastungsgrenze?“, zählt Simons auf.
Kommune hat Schutzpflicht gegenüber Flüchtlingen
Ein weiterer Aspekt, der von Rott vorgebracht werde, sei die Schadstoffbelastung des Geländes. „Hierzu ist zu sagen, dass die Gemeinde von Verfassungswegen eine staatliche Schutzpflicht in Bezug auf die körperliche Unversehrtheit der Geflüchteten hat“, erläutert die Juristin. Die Kommune sei verpflichtet, bei der Aufstellung von Bauleitplänen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse einzuhalten. Die Genehmigung führe in einem solchen Fall dazu, „dass ein Schutzsuchender, der in seinem Heimatland um sein Leben fürchten muss, nun in einer Flüchtlingsunterkunft Schaden nimmt und gleichzeitig die Gemeinde ihre Schutzpflicht verletzt“, so die Juristin.
„Dass eine vor diesem Sachverhalt ergehende Baugenehmigung von einer Gemeinde hinzunehmen sein soll, wäre aus meiner Sicht nicht verständlich. Diese müsste aufgehoben werden – nicht weil die Vorschrift in Absatz 14 verfassungswidrig wäre, sondern weil ihre verfassungskonforme Auslegung durch Interessengewichtung ergibt, dass eine Genehmigung nicht erteilt werden darf“, argumentiert die Fachanwältin.
Zweifel an Bauvorschrift: Verfassungsmäßigkeit umstritten
Im Paragraf 246 des Baugesetzbuchs sei ein 14. Absatz eingefügt worden, „über dessen Verfassungsmäßigkeit Zweifel geäußert wurden und werden“, erklärt Friederike Simons, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, zur neuen Gesetzgebung. „Diese Sonderregelung gewährt der Kommune hierbei nur noch ein ‚Anhörungsrecht‘, das die schwächste Form der Beteiligung darstellt“.
Die Vorschrift ermögliche die dauerhafte Errichtung von Flüchtlingsunterkünften. Da es sich um eine Norm mit unbestimmten Rechtsbegriffen handele, werde aus der Kombination von einerseits inhaltlicher Unbestimmtheit und andererseits Eingriffsintensität von einigen Juristen argumentiert, sie sei verfassungswidrig, weil sie unverhältnismäßig in die Planungshoheit der Kommune eingreife, so Simons. Eine Entscheidung dazu gebe es bislang nicht, weil diese Vorschrift in der Praxis bislang keine oder kaum Anwendung finde, so die Juristin.
„Der Gesetzgeber ist sich der Eingriffsintensität bewusst und hat deshalb vorgegeben, dass diese Vorschrift erst als allerletztes Mittel greift. In der Rechtspraxis bedeutet das für Kommunen und Anwälte, dass umfangreiche Ausführungen in den Gerichtsverfahren zur Verfassungswidrigkeit quasi verpuffen, also mangels Anwendung der Vorschrift überhaupt keine Rolle spielen. Daher rührt die Rechtsunsicherheit der Kommunen“, weiß die Fachanwältin.
