Urteil gegen Sebastian T. aufgehoben
Gewalttat oder Unfall? Tod von Hanna W. wühlt weiter auf – eine Chronologie des Falls
Ein tragischer Unfall oder doch eine grausame Gewalttat? Wie die 23-jährige Aschauerin Hanna W. ums Leben gekommen ist, ist nach wie vor unklar. Was in den zweieinhalb Jahren nach ihrem Tod passiert ist. Ein Überblick.
Aschau i. Chiemgau/Traunstein – Es ist ein Fall, wie ihn die Region noch nie erlebt hat. Die Tragödie um den Tod der 23-jährigen Studentin Hanna W. aus Aschau im Chiemgau hält die Menschen in Atem. Wie eine eigentlich glückliche Partynacht für eine junge Frau mit dem Tod endete. Wie eine Gemeinde voller Schrecken nach einem Mörder suchte. Wie ein junger Mann vor Gericht landete und verurteilt wurde. Und wie dieses Urteil letztlich wieder aufgehoben wurde. Ein Rückblick.
Tod von Hanna W.: Schocknachricht im Oktober 2022
Der Fund: Am frühen Nachmittag dieses Montags (3. Oktober 2022), es ist der Tag der Deutschen Einheit, entdeckt ein Spaziergänger auf der Höhe von Kaltenbach, einem Ortsteil der Marktgemeinde Prien, einen leblosen Körper in der Hochwasser führenden Prien. Wie sich herausstellt, handelt es sich um Hanna W.. Die 23-Jährige hatte in der Nacht auf Montag den Musikclub „Eiskeller“ in ihrem Wohnort Aschau im Chiemgau besucht und den Club in den frühen Morgenstunden des Montags, gegen 2.30 Uhr, verlassen. Wie Bilder der Überwachungskamera am Eingang zeigen, war sie alleine. Die Frage, was zwischen diesen Aufnahmen und dem schrecklichen Fund geschehen ist, wird die Ermittler die nächsten Monate beschäftigen. Noch am Abend des 3. Oktober wird die Leiche obduziert.
Die Spurensuche: Einen Tag später wird die Soko „ Club“ eingerichtet. Es seien „eindeutige Spuren äußerer Gewalteinwirkung“ festgestellt worden, die auf ein Tötungsdelikt schließen lassen. Ab diesem Zeitpunkt sucht man in Aschau nach einem Mörder. Taucher finden in der Prien Hannas Lederjacke. Im Bärbach taucht ihr Ring auf, den sie in dieser Nacht trug. Die Polizeibeamten analysieren etliche Gigabyte an Fotos und Videos der Clubnacht. Am 28. Mai 2023 findet eine Spaziergängerin in der Prien ein mit Algen bewachsenes Handy. Es ist das lang gesuchte Mobiltelefon von Hanna. Die Forensiker der Polizei nehmen sich das Gerät vor, checken, ob trotz des monatelangen Liegens im Wasser noch Daten zu retten sind.
Sebastian T: Vom Jogger, zum Zeugen, zum Tatverdächtigen
Der Jogger: Ab dem 19. Oktober sucht die Polizei nach einem Jogger, der in der Tatnacht gesichtet wurde. Es handelt sich um Sebastian T., wie sich später herausstellen sollte. Zunächst lieferte er keine sachdienlichen Hinweise. Einen Monat nach seiner ersten Befragung wird er allerdings festgenommen. Seitdem sitzt Sebastian T. in Untersuchungshaft.
Die Anklage: Am 11. Mai 2023 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den inhaftierten Verdächtigen. Die Anklage lautet auf Mord, als Motiv hält der Ankläger „Heimtücke“ fest. Das Landgericht Traunstein lässt die Anklage im „Eiskeller-Fall“ am 28. Juni 2023 zu.
Die Verhandlung: Der Prozess beginnt am 12. Oktober 2023. Der Staatsanwalt plädiert auf Mord, die Verteidigung auf Freispruch. Ganze 35 Tage verhandeln Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung über das Schicksal des heute 22-jährigen Sebastian T. Es werden zahlreiche Zeugen und Gutachter gehört.
Sebastian T.: „Sozial isoliert“ und Gewalt-Porno-Fan
Der Beschuldigte: Ein Außenseiter und Einzelgänger, ein Sonderling, der mit Stress nicht zurechtkommt: So beschreiben diverse Zeugen den Angeklagten. Dr. Rainer Huppert, der psychiatrische Gutachter, schildert ihn als sozial isoliert, als einen, der nicht in der Lage sei, sich Hilfe zu holen. T. habe sich verhältnismäßig zögerlich entwickelt, es komme eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht in Betracht. Heißt: höchstens zehn Jahre im Falle einer Verurteilung. Er hält im übrigen T.s Konsum von Pornos für nicht krankhaft.
Die Freundin: An einem der ersten Prozesstage sagt eine junge Frau aus, die Sebastian T. seit Schulzeiten kennt. Sie war es, die Sebastian T. schwer belastete. Und zwar unabsichtlich. Bei der Vernehmung sagt sie im Plauderton, dass Sebastian T. ihr am Abend des 3. Oktober eine Frage gestellt habe. Ob sie wisse, dass am selben Tag in Aschau eine junge Frau umgebracht worden sei? Derlei kann nur der Täter wissen. Doch vor Gericht kann oder will die Zeugin sich nicht präzise erinnern.
Der Häftling: Anders sieht es bei einem Zeugen aus, den die Staatsanwaltschaft geladen hat. Er prägt den weiteren Verlauf der Verhandlung. Der Häftling hat sich aus der U-Haft gemeldet. Ihm soll T. gestanden haben, dass er Hanna umgebracht habe.
Die Verteidigerin: Große Überraschung bei Gericht. Mitte November holt Sebastian T.s Familie Verteidigerin Regina Rick mit ins Boot – zusätzlich zu den beiden Pflichtverteidigern Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank. Sie hat für Aufsehen gesorgt, als sie den angeblichen Badewannen-Mörder Manfred Genditzki freibekam. Nach 13 Jahren im Gefängnis! Einmal bringt sie Genditzki sogar mit in den Saal nach Traunstein.
Hanna W.s Tod: Verteidigung setzt auf Unfall-These
Die Unfallthese: Anders als die Staatsanwaltschaft hält die Verteidigung einen tragischen Unfall für möglich. Hanna sei versehentlich ins Wasser des Bärbachs gestürzt, in die Prien gerissen worden. Dabei habe sie sich ihre Verletzungen zugezogen, die Wunden am Kopf, den gebrochenen Halswirbel, vor allem die symmetrisch gebrochenen Schulterdächer. Einen letzten Notruf um 2.32 Uhr, der ihr Elternhaus nie erreichte, habe sie möglicherweise im Wasser treibend abgesetzt. Die Gutachter halten das für unwahrscheinlich.
Die Befangenheit: Gefährliche Körperverletzung plus Mord stehe nun im Falle einer Verurteilung im Raum, diesen „rechtlichen Hinweis“ gibt die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler am 4. Januar in ihrem E-Mail-Austausch mit dem Staatsanwalt. Dieser war seltsamerweise in den Ermittlungsakten gelandet. Regina Rick sieht darin den Anlass für einen Befangenheitsantrag. Dem wird nicht stattgegeben.
Das Urteil: Am 19. März 2024 fällt das Urteil. Neun Jahre soll Sebastian T. hinter Gitter. Wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord.
Justiz-Hammer: BGH hebt Urteil im Fall Hanna auf
Die Revision: „Natürlich gehen wir in Revision, dieses Urteil ist falsch. Ich bin überzeugt davon, dass mein Mandant mit dem Tod von Hanna überhaupt nichts zu tun hat“, sagte Regina Rick noch am Tag der Urteilsverkündung. Und so geschah es. Gemeinsam mit dem Revisionsspezialisten Dr. Yves Georg aus Hamburg legte Sebastian T.s Verteidigung Rechtsmittel ein. Mit Erfolg. Am 16. April 2025 gab der Bundesgerichtshof bekannt, dass das Urteil aufgrund der Befangenheit von Richterin Aßbichler aufgehoben wurde.
Und jetzt?: Der BGH hat den Fall zurück an das Landgericht verwiesen. Der Fall wird also von Neuem aufgerollt. Wann es dort weitergeht, ist bisher nicht klar.


