„Kampf der Familie finde ich bewundernswert“
Ein Dorf kommt nicht zur Ruhe: Die Stimmung in Aschau nach dem Justiz-Hammer im Fall Hanna W.
Nur 5000 Einwohner, ein idyllischer Fluss und eine Menge Natur: Dass das beschauliche Dorf Aschau im Chiemgau trotzdem nicht zur Ruhe kommt, liegt am Tod von Hanna W. Das Urteil gegen den Tatverdächtigen Sebastian T. wurde vom BGH aufgehoben. Jetzt geht alles von vorne los. Wie die Menschen in Aschau damit umgehen.
Aschau im Chiemgau – Donnerstagmorgen, 10.30 Uhr: Es ist noch frisch an diesem Frühlingstag in Aschau. Die Berge sind bedeckt von dichten Nebelwolken. Die Kampenwand ist nicht zu sehen. Dennoch herrscht vor Ort schon reges Treiben. Am Parkplatz vor dem Club „Eiskeller“ stehen ein paar wenige Autos – teilweise mit auswärtigen Kennzeichen. Kein Wunder, es sind Osterferien und gerade der Chiemgau lockt zahlreiche Touristen an. Die meisten von ihnen haben keine Ahnung, was hier vor etwa zweieinhalb Jahren, in der Nacht auf den 3. Oktober 2022, geschehen ist.
Aschauerin zu Sebastian T.: „Kampf der Familie finde ich bewundernswert“
Auf dem kleinen Weg vor dem Club geht eine Frau spazieren. Sie lebt in Aschau und hat die neusten Meldungen zum wohl bekanntesten Fall der Region bereits gelesen. Der Fall Hanna W. wird erneut aufgerollt. Der BGH hat das Urteil gegen Sebastian T. zurückgenommen. Eigentlich war der 22-Jährige zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Nun wird sich eine andere Kammer am Traunsteiner Landgericht mit dem Fall befassen – und ein neues Urteil fällen.
„Dass es jetzt wieder losgeht, finde ich für Hannas Familie sehr schlimm“, betont die Spaziergängerin. Sie lebt seit langem in Aschau, hat die Berichterstattung um den Fall aktiv mitverfolgt. Und auch zu Sebastian T.s Angehörigen hat sie eine klare Meinung: „Diesen Kampf der Familie finde ich bewundernswert“, sagt sie. Im Laufe des Verfahrens hat sich ihr Bild über den jungen Mann verändert. Zu Beginn habe auch sie ihn für schuldig gehalten. Aber jetzt? „Zu 90 Prozent glaube ich nicht mehr, dass er es war.“
Hanna W.: Aschauerin vermutet „Verkettung unglücklicher Umstände“
„Warum hat denn die Mutter ihm sonst geraten, sich bei der Polizei zu melden?“, fragt sich die Aschauerin, während sie ihren Spaziergang fortsetzt. Wäre er schuldig, hätte er dies doch nicht getan. Sie spreche viel mit ihren Nachbarn über die Entwicklungen im Fall Hanna. Die meisten hätten kein Verständnis dafür, dass Sebastian T. vor Gericht nicht beteure, dass er unschuldig sei, schildert die Aschauerin. „Aber vermutlich hat ihm das sein Anwalt so geraten“, ergänzt sie. „Ich fände es schrecklich, wenn ein so junger Mensch so lange unschuldig im Gefängnis sitzt“, sagt sie. Sie vermutet eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ und schließt auch einen Unfall nicht aus.
Auf dem Weg trifft sie auf eine Nachbarin, die gerade Getränke aus ihrer Garage holt. Sie wirkt gelassen, als sie auf das Thema Hanna angesprochen wird. „Ich enthalte mich da“, sagt sie. Dieses Hin und Her sei nichts für sie. „Ich verfolge es auch schon lange nicht mehr. Irgendwann muss es mal gut sein.“ Es ist eine Stimmung, die in Aschau an diesem Tag noch häufiger auffällt. Auch andere Nachbarn zeigen sich unschlüssig. Wollen selbst kein Urteil fällen.
24-Jährige in Sorge: „Man fühlt sich nicht mehr sicher“
Die Menschen haben langsam genug. Es soll wieder Ruhe einkehren. Doch mit einem neuen Verfahren wird das so schnell wohl nicht geschehen. Zurück am „Eiskeller“-Parkplatz: ein junges Paar mit Baby und Wander-Ausrüstung. Sie kommen aus Berlin, sind hier, um Urlaub zu machen. Von dem Tod der jungen Frau vor mehreren Jahren haben sie nichts mitbekommen. Auch zwei Männer aus Österreich wissen nichts über den Fall, zeigen sich aber interessiert. Nach kurzer Erklärung merkt einer der beiden nur ironisch an: „Ah, das ist für die Eltern ja auch super, wenn es jetzt wieder losgeht…“.
Im Café König an der Kampenwandstraße erzählt die 24-jährige Mitarbeiterin Ayse Itmec, wie es ihr seit dem tragischen Tod der jungen Studentin geht. Sie ist auch aus Aschau. Als sie damals von Hannas Tod erfahren hat, sei sie schockiert gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass in Aschau so etwas passieren kann“, sagt sie. „Es hat mich sehr mitgenommen.“ Und auch in ihrem Leben hat sich seitdem etwas verändert. „Man fühlt sich nicht mehr sicher“, gesteht sie. Sie gehe selbst sehr gerne im Eiskeller feiern. Doch inzwischen mache sie sich dabei schon Gedanken. Während sie vor ein paar Jahren auch noch ohne Bedenken alleine nach Hause gelaufen ist, macht sie das heute nicht mehr. „Wir gehen alle nur noch mit Freunden los“, sagt sie.
Stimmung in Aschau: „Man hat einfach ein ungutes Gefühl“
So geht es scheinbar mehreren Aschauern. Eine Ladenbetreiberin, die gerade ihre Fenster putzt, wusste noch nicht, dass der Fall nun neu aufgerollt wird. Sie zeigt sich überrascht und beschreibt Ähnliches wie Itmec. „Meine Kolleginnen haben Töchter in Hannas Alter. Natürlich denkt man da immer dran, wenn dort eine Party ist“, sagt sie. „Man hat einfach ein ungutes Gefühl.“
Ähnlich geht es einer anderen Frau, die mit ihrem Mann im Dorf spazieren ist. Sie wohne zwar nicht hier, habe in Aschau aber eine Ferienwohnung und sei regelmäßig zu Besuch. Daher habe sie auch von dem tragischen Todesfall gehört. „Ich habe selbst Kinder in dem Alter. Da macht man sich schon Gedanken, was nach dem Feiern alles passieren kann“, sagt sie. Dennoch finde sie es sehr positiv, dass der Fall nun neu aufgerollt werde: „Jeder hat einen gerechten Prozess verdient.“ Aus dem Dorf habe sie immer wieder Stimmen und Gerüchte gehört, dass man bei Gericht nur einen Schuldigen finden wollte.
Aschau im Chiemgau: „Würde mir wünschen, dass endlich Ruhe einkehrt“
Dass in Aschau viele Gerüchte die Runde machen, kann eine weitere Spaziergängerin bestätigen. Sie lebt erst seit vier Jahren in der Gemeinde. „Damals hat das die Menschen ganz schön erschüttert“, sagt sie. „Ich meine, wir sind in Aschau, einem kleinen Dorf.“ Sie selbst komme aus der Großstadt, wo Fälle wie dieser keine Seltenheit seien. Sie selbst bildet sich über den Fall kein Urteil. „Man muss rausfinden, was passiert ist.“ Das wünscht sie sich besonders für das gesamte Dorf und auch die Familien von Hanna und Sebastian. „Ich würde mir wünschen, dass endlich Ruhe einkehrt“ – und so geht es wohl vielen im kleinen beschaulichen Aschau.
