Tragödie von Aschau im Chiemgau
Urteil im Fall Hanna abgeschmettert: Erste Reaktionen auf den Justiz-Hammer aus Karlsruhe
Paukenschlag aus Karlsruhe: Der Bundesgerichtshof kassiert den Schuldspruch gegen Sebastian T. im Mordfall Hanna. Der BGH sah die Revision wegen des Vorwurfs der Befangenheit als berechtigt an. Nun muss das Verfahren neu aufgelegt werden. Erste Reaktionen.
Aschau im Chiemgau – Es war der Befangenheitsantrag, den Verteidigerin Regina Rick im Februar 2024 eingereicht hatte: Die Ablehnung dieses Antrags durch die erste Jugendkammer des Landgerichts macht das Urteil gegen Sebastian T. jetzt zur Makulatur. Denn die Richter des ersten Senats des Bundesgerichtshofs entschieden, dass gewisse Umstände des Prozesses sehr wohl geeignet gewesen seien, „Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen“. Jacqueline Aßbichler hätte die Verhandlung nach Ansicht des BGH also tatsächlich nicht fortsetzen dürfen.
Anwalt von Hannas Eltern: Wissen, was geschehen ist
Der Mordfall Hanna W. muss nun neu verhandelt werden, der BGH verwies den Fall an eine andere Kammer des Landgerichts. Walter Holderle wurde als juristischer Vertreter von Hannas Eltern am Mittwochnachmittag (16. April) über die Entscheidung informiert. „Ich sehe das ganze mit einer gewissen Distanz“, sagte der Rechtsanwalt aus Rosenheim. Schließlich sei es ihm ebenso wie Hannas Eltern nicht darum gegangen, „einen bestimmten Schuldigen im Gefängnis zu sehen“. Vielmehr sei es den Eltern ein dringendes Anliegen gewesen zu erfahren, was in den letzten Minuten im Leben ihrer Tochter geschehen sei.
Genaueres etwa darüber, wie Hannas Eltern die Nachricht aufnahmen, konnte er noch nicht berichten, er werde später am Tag das Gespräch mit der Familie suchen. Die Entscheidung selbst wollte er nicht weiter kommentieren. Was geeignet sei, Misstrauen an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters zu wecken, sei immer auch eine subjektive Entscheidung.
Mutter von Sebastian T.: Große Freude
Sebastian T.s Verteidigerin Regina Rick gab sich gelassen angesichts der Nachricht, dass gegen ihren Mandanten neu verhandelt werde. „Ich bin Juristin, mal gewinnt man, mal verliert man.“ Freilich sei die Rüge des Verfahrens am Landgericht Traunstein „sehr berechtigt“. Die Mutter von Sebastian T. habe sie bereits benachrichtigt, „sie freut sich sehr“. Im Vordergrund stehe nun, den „ganz offensichtlich“ unschuldigen jungen Mann aus der Haft zu holen.
Rick hatte in den Ermittlungsakten den E-Mail-Verkehr entdeckt, der nun zur Aufhebung des Urteils führte. Darin hatten sich Richterin Aßbichler und Staatsanwalt Fiedler darüber ausgetauscht, dass sich der Tatvorwurf gegen Sebastian T. geändert habe, auf gefährliche Körperverletzung plus Mord. Die Verteidigung war über diese Absprache nicht informiert worden.
Revisionsspezialist spricht von Triumph
In Hamburg äußerte sich Revisionsspezialist Dr. Yves Georg zur Aufhebung des Urteils. Regina Rick hatte ihn ins Boot geholt. „Natürlich habe ich ein Triumphgefühl“, sagte er nun auf Anfrage des OVB. „Es ist ja auch ein Triumph.“ Schließlich seien Revisionen wegen Befangenheit außerordentlich selten, die Erfolgsquote liege bei zwei Prozent. An der Begründung des Antrags habe er 250 Stunden lang gearbeitet. Schließlich habe der BGH in Karlsruhe die Voreingenommenheit des Traunsteiner Gerichts bestätigt. „Der Angeklagte ist offensichtlich unschuldig, das Urteil offensichtlich ein Fehlurteil.“ Nun sei es das erste Ziel, Sebastian T. mittels einer Haftbeschwerde oder einer Haftprüfung vorerst wieder auf freien Fuß zu setzen. „Die Aussichten dafür stehen gut, sonst würden wir‘s nicht versuchen.“
Neuer Termin noch nicht bekannt
Wann das Verfahren neu aufgelegt wird, ist offen. Werden Hannas Eltern in dieser Neuauflage endlich erfahren, was Hanna in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022 widerfuhr? Die Medizinstudentin hatte mit Freunden im Club „Eiskeller“ gefeiert, sich dann allein auf den Heimweg gemacht, war dort aber nie angekommen. Fast zwölf Stunden später entdeckte ein Spaziergänger ihren leblosen Körper in der Prien treibend, zwölf Kilometer von Aschau entfernt.
Hannas Körper wies Spuren von Gewalteinwirkung auf, die Gerichtsmediziner legten sich bald auf ein Verbrechen fest. Verteidigerin Rick sieht allerdings weiterhin entscheidende Hinweise, dass Hanna einem Unfall zum Opfer fiel und ohne Einwirkung eines anderen Menschen zuerst in den Bärbach stürzte und dann von den Wassermassen nach einem Starkregen in die Prien gerissen wurde.
Keine Zeugen, kein Geständnis
Sechs Wochen nach Hannas Tod war Sebastian T. als dringend tatverdächtig festgenommen worden. Allerdings: Niemand hatte ihn bei einer Tat beobachtet, er hatte auch nie gestanden. Lediglich gegenüber einem Mithäftling soll er sich offenbart haben. Nach 35 Tagen eines wechselhaften Indizienprozesses hatte schließlich Richterin Aßbichler das Urteil gesprochen: neun Jahre Haft. Dabei, das erscheint nunmehr als wahrscheinlich, wird es nicht bleiben.