Auf Einladung der FWG Bad Reichenhall
„Overtourism“ oder übertriebene Kritik? Bartl Wimmer äußert sich zur öffentlichen Debatte
Gibt es den übermäßigen Tourismus im Berchtesgadener Talkessel wirklich und wenn ja, welche Konsequenzen zieht Dr. Bartl Wimmer daraus? Zu diesem Vortrag hat die FWG Bad Reichenhall am Montagabend eingeladen. Der Vorsitzende vom Bergerlebnis Berchtesgaden kommt nur zu gerne, denn die Studie zur Tourismusakzeptanz war in den vergangenen Wochen häufig Gegenstand vieler Diskussionen. Jetzt positioniert sich Wimmer selbst und findet klare Worte.
Bad Reichenhall/Berchtesgaden - In vielen Großstädten wendet sich die Stimmung der Einheimischen gegen den Massentourismus. Auch in Salzburg wird über eine Begrenzung der Touristenströme nachgedacht. Alles nur Probleme der großen Touristen-Hochburgen? Von wegen: Die Mitte März vorgestellte Studie zur Tourismusakzeptanz im Berchtesgadener Talkessel lässt aufhorchen - und stößt durchaus eine öffentliche Debatte an.
„Von Venedig über Barcelona bis zu den Kanaren liest und hört man, dass die einheimische Bevölkerung plötzlich den Touristen feindselig gegenübersteht, gegen sie demonstriert und in Venedig sogar Eintritt verlangt wird. Die Gründe hierfür sind vielfältig“, schreibt die FWG Bad Reichenhall in ihrer Ankündigung zu einem Vortrag von Bartl Wimmer am Montagabend in der Poststuben-Gaststätte. Dass jetzt plötzlich auch im inneren Landkreis eine Bewegung heranwachse, die auch dort die Tendenz zu übermäßigem Tourismus beklage, nehme die FWG zum Anlass, dies zum Thema eines Info-Abends zu machen.
Manche Ergebnisse überraschten auch Wimmer
Eine Einladung, die Wimmer gerne annahm, denn als Vorsitzender des Zweckverbands Bergerlebnis Berchtesgaden beobachtet er die öffentlichen Debatten dazu ganz genau. Doch: Wie plötzlich und überraschend ist diese Entwicklung tatsächlich? Wie Wimmer betonte, sei ein Großteil der Studienergebnisse erwartbar gewesen. Doch manches habe auch ihn überrascht. „Zum Beispiel, dass quer durch alle Altersklassen von den Teilnehmern erkannt wird, dass der Tourismus der Region guttut, aber persönlich eher die Nachteile überwiegen.“
Ihm sei wichtig zu betonen, dass es nie darum ging festzulegen, was wichtiger sei, also allgemeine oder persönliche Vor- und Nachteile. „In manchen öffentlichen Diskussionen ist nämlich genau dieser Eindruck entstanden. Ich lehne auch den ,Overtourism‘-Begriff ab und halte nichts davon, mit allgemeinen Begriffen um mich zu werfen. Es braucht konkrete Handlungslösungen“, so Wimmer.
Hohe Rücklaufquote und über 1500 Teilnehmer
Für den Vorsitzenden des Zweckverbands sei die Studie definitiv repräsentativ - auch das war Bestandteil mancher Diskussionen in den vergangenen Wochen und wurde durchaus hinterfragt. „Wenn eine Studie zur Bundestagswahl mit 1000 Befragten aus ganz Deutschland schon als repräsentativ gilt, dann ist es eine Studie mit einer sehr hohen Rücklaufquote und über 1500 Teilnehmern, die hauptsächlich aus dem Berchtesgadener Talkessel stammen, erst recht“, betont er.
Zu den beiden Hauptkritikpunkte der Einheimischen - Verkehr und Wohnraum - sagt Wimmer: „Das ist auch ein großes Versagen der Politik, denn wir sprechen seit 20 Jahren über diese Probleme.“
Entscheidung der RVO eine „Vollkatastrophe“
Beim ÖPNV herrsche durchaus ein deutliches Gefälle zwischen dem südlichen und nördlichen Landkreis. „Bei uns im Talkessel gibt es zwar schon noch problematische Gebiete, aber größtenteils haben wir eine sehr gute Taktung und kommen teilweise städtischen Verhältnissen nahe“, meint Wimmer. Das Problem sei, dass die RVO früher während der Hochsaison noch Ersatzbusse bereitstellen konnte. „Aber es gibt ja keine Busfahrer mehr.“ Dass der Verkehr zu manchen Zeiten im Jahr ein Problem darstelle, etwa durch Staus oder überfüllte Busse, sei durchaus berechtigt.
Generell käme die Entscheidung der RVO, zwischen Berchtesgaden und Traunstein mehrere Buslinien aus wirtschaftlichen Gründen einzustellen, einer „Vollkatastrophe“ gleich. „Wir brauchen Lösungen über Partei- und Gemeindegrenzen hinweg, sonst wird das zum Fiasko für uns alle. Wenn uns das um die Ohren fliegt, brauchen wir auch nicht mehr über die Akzeptanz des Tourismus sprechen, dann haben wir andere Probleme.“ Umso wichtiger sei es, auf kommunaler Ebene flexibler zu werden und sich Konzepte zu überlegen. Beispielhaft nannte Wimmer den geplanten On-Demand-Verkehr im Landkreis.
Vorteile des Tourismus mehr hervorheben
Wimmer betont, dass es sich bei der Studie natürlich um ein subjektives Empfinden der Befragten handelt. „Aber bei über 1500 Teilnehmern können wir schon davon ausgehen, dass ein Großteil der Bevölkerung ähnlich denkt. Für uns als Zweckverband ist klar, dass wir die Vorteile des Tourismus klarer und besser kommunizieren müssen.“
Das gelte vor allem für junge Menschen: Zwar habe man in Facebook und Instagram sehr viele Follower, aber die meisten seien Touristen und Besucher und eben keine Einheimische. „Da die Jüngeren keine Zeitung mehr lesen, müssen wir uns über andere Wege Gedanken machen. Dazu zählt auch TikTok“, zeigt Wimmer eine Möglichkeit auf, junge Zielgruppen besser zu erreichen.
Stichwort Personalmangel
Wimmer sieht am Horizont noch ein weiteres, drohendes Problem: Einerseits gehen die geburtenstarken Jahrgänge bald in den Ruhestand, „dann verlieren wir etwa ein Drittel der Arbeitskräfte“. Anderseits fehlt es schon jetzt an Wohnraum, den man künftig noch stärker brauchen wird, um neue Arbeitskräfte anzulocken.
„Wir versuchen, als Zweckverband voranzugehen, aber das Bauprojekt der Sparkasse an der ehemaligen Kurdirektion in Berchtesgaden ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es braucht eine Gesamtanstrengung der Region.“ Denn ohne den Zuwachs an Arbeitskräften drohe vielen kleinen und mittelständischen Betrieben das Aus. Schon jetzt kämpfen viele mit dem Personalmangel. „Das wird noch schlimmer, davon bin ich überzeugt. Corona hat durch Home Office und Co. vieles kaschiert“, findet Wimmer.
Mehr auf Nebensaion konzentrieren
Insgesamt gesehen seien die Erkenntnisse der Studie nicht dramatisch, aber: „Wir müssen sie als Alarmzeichen ernst nehmen. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, wird die Akzeptanz sinken und dann haben wir vielleicht wirklich Verhältnisse wie in Hallstatt oder Mallorca.“ Deshalb fordert er gezielte und pragmatische Lösungen, und hat hierfür gleich zwei Beispiele parat: Der Zweckverband bewerbe beispielsweise mittlerweile die Hauptsaison gar nicht mehr, um die Touristenströme auf die Nebensaison zu verteilen. Doch: „Weil es in Spanien oder Italien im Sommer zu heiß wird, konzentrieren sich dort die Verantwortlichen auch mehr auf die Nebensaison. Die Konkurrenz wird also auch wieder größer.“
Dann haben wir vielleicht wirklich Verhältnisse wie in Hallstatt oder Mallorca.
Wie Wimmer aufführt, habe die Erhöhung der Eintrittskarten am Kehlstein sowie die Begrenzung der Gäste dafür gesorgt, dass weniger Touristen kommen, der Wirt der dortigen Gaststätte aber deutlich mehr Umsatz erziele. Generell gehe es dem Tourismus im BGL sehr gut, was Wimmer auch mit Verweis auf die „herausragenden Zahlen“ aus den Betrieben des Zwecksverbands im Jahr 2023 verdeutlicht. Die hohe Wertschöpfung käme schlussendlich auch der Region zugute, betont er.
Wertschöpfung hilft der Region
Der Bevölkerung müsse bewusst gemacht werden, dass der Tourismus nicht nur Vorteile für die Allgemeinheit, sondern auch für jeden einzelnen biete. Watzmann-Therme, die gastronomischen Angebote und vieles mehr seien nur durch die Einnahmen aus dem Tourismus möglich. „Das Paradebeispiel ist eigentlich der Parkplatz am Königsee: Der ist komplett in öffentlicher Hand, das heißt die Einnahmen gehen an die Gemeinde Schönau. Dadurch ist zum Beispiel das gute ÖPNV-Angebot, das auch von vielen Einheimischen gerne genutzt wird, überhaupt erst finanzierbar.“
Deshalb sieht Wimmer beim Thema Kommunikation den größten Handlungsbedarf und will auch den Zweckverband stärker darauf konzentrieren, die Vorteile des Tourismus hervorzuheben - für die Allgemeinheit, aber auch für jeden persönlich.