Bergerlebnis Berchtesgaden erhält Daten
Zu viele Touristen im Talkessel, zu wenig Rücksicht auf Einheimische? Studie lässt aufhorchen
Betretene Mienen beim Gastgebertag vom Bergerlebnis Berchtesgaden: Die Ergebnisse einer Studie zur Tourismusakzeptanz unter Einheimischen lassen aufhorchen. Zwar wird die hohe wirtschaftliche Bedeutung für die Region anerkannt. Doch es gibt viele Kritikpunkte und einiges, woran sich die Einwohner stören. Eine Übersicht über die wichtigsten Erkenntnisse.
Berchtesgaden - Bei der Vorstellung durch Leonie Scherer (dwif Consulting, München) kristallisierten sich besonders zwei Themen als Knackpunkte heraus: Verkehr und Wohnraum. Wie ein roter Faden zogen sie sich durch die Antworten der Teilnehmer. Vergleichbar sind die Berchtesgadener Ergebnisse durchaus auch mit anderen Touristenhochburgen, zum Beispiel an der Nord- und Ostsee.
Details zur repräsentativen Erhebung
Insgesamt beteiligten sich 1563 Teilnehmer (über 16 Jahre alt).
Aufteilung der Altersgruppen, entsprechend der Altersverteilung der Einwohner in der Region: 19 Prozent zwischen 16 und 29 Jahre, 55 Prozent zwischen 30 und 64 Jahren, 26 Prozent ab 65 Jahren.
Die Befragung der Bevölkerung ab 16 Jahren im Oktober 2023 betraf die Gemeinden Berchtesgaden, Schönau, Ramsau, Bischofswiesen, Marktschellenberg, Teisendorf, Anger und Piding. Es stammten etwa ein Drittel der eingereichten Fragebögen aus Berchtesgaden sowie je knapp ein Viertel aus Bischofswiesen und Ramsau.
„Sowohl die Gäste als auch die Bevölkerung müssen mit ins Boot geholt werden. Beide müssen in Einklang leben, denn: Vielerorts brennt es bereits“, meinte Scherer mit Verweis auf Unterschriftenaktionen, Bürgerentscheide und abgelehnte Hotelneubauprojekte in anderen Regionen. Positiv hervorzuheben: Ein Großteil der 1563 Befragten stufte den Tourismus als wichtiges, zentrales Standbein für die Region ein. Vor allem die jüngste Altersklasse attestierte ihm eine „große Bedeutung“.
„Die meisten fragen sich: Was habe ich davon?“
Bei den Auswirkungen des Tourismus zeigte sich ein differenzierteres Bild: Für den eigenen Wohnort wurden diese durchaus positiv eingestuft, doch bei den eigenen persönlichen Vorteilen herrschte ein negativer Eindruck. Scherer: „Das ist durchaus üblich, dass die Vorteile für den Wohnort gesehen werden, die meisten sich aber fragen: Was habe ich davon?“
Überraschenderweise äußerste sich vor allem die Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen negativ zu den persönlichen Folgen. Dabei hatte sie laut der Studie den höchsten wirtschaftlichen Bezug, weil die Befragten selbst im Tourismus arbeiten oder jemand aus der eigenen Familie dort beschäftigt ist. „Eigentlich müssten sie die positiven Effekte am ehesten sehen, aber stattdessen sind es eher die älteren Einwohner, welche die Vorteile bemerken“, erklärte Scherer.
- Zu den weiteren zentralen Erkenntnissen der Studie gehört, dass 97 Prozent der befragten Einwohner gerne in ihrer Region leben. 89 Prozent ist ein gastfreundliches Verhalten wichtig. Und 83 Prozent finden, dass die Region attraktiv für den Tourismus als Reiseziel ist.
- Aber: Für 52 Prozent der Bevölkerung ist die Region sehr überlaufen. In ihrem Alltag fühlen sich 49 Prozent durch die Gäste gestört. Und gerade einmal 32 Prozent finden, dass bei der touristischen Entwicklung in der Region ihre Bedürfnisse ausreichend berücksichtigt werden.
- Auch hier wieder auffallend: Die Altersklasse unter 30 nimmt eher „zu viele“ Touristen wahr.
- Bei der Frage nach der Beurteilung der heutigen Situation in ihrem Wohnort stimmte mehr als die Hälfte dafür, dass es zu viele Touristen insgesamt gibt. Noch deutlicher wird das Stimmungsbild bei den Tagesausflüglern (für 64 Prozent zu viele) und Zweitwohnbesitzern (69 Prozent). Einzig bei den Übernachtungsgästen überwog die Meinung, dass es die richtige Menge ist (39 Prozent) oder zu wenige gibt (18 Prozent).
Mehr Bekanntheit, attraktive Arbeitsplätze und vielfältiges Freizeitangebot
Auch aus den positiven Effekten des Tourismus zeigten sich eindeutige Wahrnehmungen: Dass der Tourismus das Ansehen und die Bekanntheit des Wohnortes steigert (77 Prozent), hier attraktive Arbeitsplätze für die Bevölkerung schafft (74 Prozent) und zu einem vielfältigen Angebot an Kultur- und Freizeitangeboten beiträgt (71 Prozent), wurde größtenteils bejaht.
Dagegen fiel bereits die Frage ab, ob der Tourismus das gastronomische Angebot vor Ort verbessert: Dem stimmten nur noch 61 Prozent zu. Dass die Touristen für eine angenehme Atmosphäre sorgen beziehungsweise die Region beleben (51 Prozent) und der Tourismus das öffentliche Verkehrsangebot im Ort steigert (32 Prozent), wurden dagegen immer mehr verneint. Auffallend hierbei: Die Einheimischen ab 65 nehmen die positiven Effekte stärker wahr.
Einheimische bemerken Missachtung ihres persönlichen Eigentums
Bei den negativen Effekten sticht vor allem die Verkehrsproblematik hervor. 92 Prozent stimmten zu, dass es durch den Tourismus verstärkte Verkehrsprobleme gibt. Außerdem würden vielen Touristen das persönliche Eigentum Einheimischer missachten (73 Prozent) und durch die Touristen werde vieles teurer (72 Prozent). 69 Prozent bejahten, dass viele Angebote nur für Touristen gemacht werden. Dass einzig die Hotels, die Gastronomie und die Freizeit-/Kultureinrichtungen profitieren, empfinden 61 Prozent der Befragten. Zur Aussage „In meinem Umfeld gibt es so viele Touristen, dass man sich oft gar nicht mehr richtig zu Hause fühlt“ votierten 53 Prozent mit einem „Ja“.
Besonders ökonomisch (Grundstücksmarkt, Arbeitsmarkt, Lebenshaltungskosten) und ökologisch (Naturbelastung, Umweltverschmutzung, Lärm und Verkehr) stimmte ein Großteil der Befragten zu, dass belastende Auswirkungen des Tourismus an ihrem Wohnort festzustellen sind. Im sozialen Bereich (Beeinträchtigung von Tradition und Brauchtum, Zusammenhalt der Bevölkerung, Gestaltung des öffentlichen Raums) herrschte ein ausgeglichenes Meinungsbild.
Zwei zentrale Themen mit Handlungsdruck
Bei der Frage, wie die negativen Auswirkungen des Tourismus reduziert werden könnten, wurde unmissverständlich von den Befragten klargemacht: Die Lösung von Verkehrsproblemen hat oberste Priorität für die Bevölkerung. Vielfach wurde auch der Wunsch nach Wohnraum für die Einheimischen geäußert.
Nach der Vorstellung der Studie gab es zunächst stilles Schweigen im großen AlpenCongress-Saal. Die Daten und Aussagen hatte durchaus Spuren hinterlassen, manch einem Gastgeber fehlten schlichtweg die Worte. Eine Frau ergriff dann doch das Wort und meinte: „Ich bin sehr enttäuscht darüber, dass so wenige Einheimische den Tourismus wertschätzen. Therme, Taxis, ÖPNV, die Erhaltung der Wanderwege: Das alles wird durch den Tourismus möglich.“
Ähnliche Probleme auch in anderen bayerischen Touristenregionen
Genau hier hakte die Referentin Scherer ein und betonte mehrmals, dass es sich stets um eine subjektive Wahrnehmung handle. „Das alles muss faktisch nicht so sein“, warb sie dafür, auch etwas Vorsicht walten zu lassen. Und: Eine hohe Identifikation mit dem Wohnort könne die Tourismusakzeptanz beeinflussen. Auch in anderen bayerischen Destinationen seien Verkehr und Wohnraum die größten Problemfelder, schilderte sie.
„Die Herausforderung liegt darin, die vielen politischen Akteure an einen Tisch zu bringen“, so Scherer. „Und viele wissen gar nicht, wie sehr der Tourismus auch für positive Effekte sorgt.“ Es sei zu empfehlen, ein stärkeres Bewusstsein dafür zu schaffen und dementsprechend die Kommunikation auszubauen. Als Beispiel verwies sie auf ein Video der bayerischen Tourismusbranche.
„Warten enorme Aufgaben auf uns“
„Es warten enorme Aufgaben auf uns“, meinte Bartl Wimmer, Verbandsvorsitzender vom Bergerlebnis Berchtesgaden, mit Blick auf die Daten. „Ich war auch sehr erschrocken über die Zahlen“, sagte er in Richtung der etwa 300 Teilnehmer des Gastgebertages, die der Vorstellung der Studie gespannt gelauscht hatten. Manches sei jedoch nicht überraschend, etwa die Wohnraumproblematik.
Ein kleiner Beitrag von uns, aber tendenziell verschlimmert sich die Situation eher.
„Vor allem bezahlbarer Wohnraum in öffentlicher Hand ist in den vergangenen Jahren massiv verloren gegangen. Wir sind einfach zu langsam und müssen beim Wohnungsbau schneller werden“, betonte er und verwies auf den Verkauf der Kurdirektion an die Sparkasse Berchtesgadener Land, die dort Mitarbeiterwohnungen bauen möchte. „Ein kleiner Beitrag von uns, aber tendenziell verschlimmert sich die Situation eher. Der Handlungsdruck wird größer, das gilt auch für den ÖPNV.“
Forderung nach parteiübergreifender Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg
Natürlich sei in den vergangenen Monaten viel getan worden, meinte Wimmer und verwies unter anderem auf die Ausweitung des Angebotes beim „Watzmann-Express“ und der Ringlinie Schönau oder das geplante landkreisweite On-Demand-Konzept. Aber: „Wir sind nicht die Hauptverantwortlichen für den Neubau von Wohnungen oder beim ÖPNV. Wir können nur koordinieren, Projekte anschieben und ein Bewusstsein dafür schaffen“, erklärte er. Wimmer wünscht sich, dass parteiübergreifend und über Gemeindegrenzen hinweg die Themen angegangen werden. „Nur wenn wir zusammen anpacken, können wir den Tourismus langfristig als Wohlstandsträger für uns alle erhalten“, ist er überzeugt.
Hier wird nicht der Kopf in den Sand gesteckt.
Mut machten auch die Aussagen von der Referentin Scherer, die „in Berchtesgaden eine hohe Lösungsorientierung“ beobachtet habe. „Hier wird nicht der Kopf in den Sand gesteckt, sondern gleich darüber nachgedacht, mit welchen kleinen und großen Maßnahmen etwas bewirkt werden kann. Manche Schritte werden sich nicht sofort positiv auswirken, manche müssen auch einfach ausprobiert werden. Aber hier ist man auf einem guten Weg.“


