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Verzweifelte Eltern

Wohin mit dem kranken Kind? Warum sogar Dr. Marko Senjor aus Wasserburg Aufnahmestopp hat

Der Wasserburger Kinderarzt Dr. Marko Senjor sieht auch die kinderärztliche Versorgung in Gefahr.
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Der Wasserburger Kinderarzt Dr. Marko Senjor sieht auch die kinderärztliche Versorgung in Gefahr.

Um die ärztliche Versorgung steht es zum Teil schlecht. Das ist besonders schlimm, wenn Kinder betroffen sind. Ein Gespräch mit dem Wasserburger Kinderarzt Dr. Marko Senjor. Über verzweifelte Eltern, die keinen Arzt finden, Kinder, die noch immer die Folgen der Pandemie ausbaden, und die Wurzeln des Übels.

Wasserburg – Eltern, die mit ihren Neugeborenen und ihren kranken Kindern bis in Nachbarlandkreise fahren, weil sie keinen Kinderarzt finden, überlastete Praxen, Wartelisten: Viele Leserinnen und Leser beklagen sich im Raum Wassserburg über diese Probleme. Wir haben einen Kinderarzt besucht, der die Sorgen der Eltern gut nachempfinden kann und weiß, warum die Situation so verfahren ist: Dr. Marko Senjor.

Dienstagabend, 20 Uhr: In der Kinderarzt-Praxisvon Dr. Marko Senjor im Parkhaus Kellerstraße brennt nach wie vor Licht. Der 61-Jährige hat noch etwa eine Stunde Arbeit vor sich: Telefongespräche führen, Krankenakten lesen, Abrechnungen erledigen. Trotzdem wirkt Senjor nicht frustriert. „Ich habe eine 60-Stunden-Woche, ja, das stimmt, aber ich bin immer noch mit ganzem Herzen gerne Kinderarzt“, fasst er seine Gefühlslage zusammen. Er räumt aber ein: „Ich komme derzeit an meine Grenzen. Meine Kraft ist schließlich nicht unendlich groß.“

Eine Infektionswelle nach der anderen

Es war ein besonders schwieriger Winter, der ihn und sein Team stark gefordert hat. Eine Infektionswelle nach der anderen: Influenza, Mykoplasmen, die Bronchitis und Lungenentzündungen auslösen. Langsam ebben die Infektionen ab, so sein Gefühl. „Lasst es uns nicht verschreien“, sagen die Mitarbeiterinnen, die ebenfalls Licht am Tunnelende sehen, aber vor verfrühter Erleichterung warnen.

Dass so viele Kinder erkrankt sind und noch erkranken, liegt nach Senjors Erfahrung an einem immer noch nicht ausreichend trainierten Immunsystem. Die Hygiene-Maßnahmen während der Corona-Krise haben viele gut durch die Pandemie geführt, doch jetzt holen die Mädchen und Buben die in der frühen Kindheit üblichen Erkrankungen mit Macht nach, so Senjor.

Bis vor kurzem hat er noch unbegrenzt neue Patienten aufgenommen, doch jetzt musste auch er den unbeliebten Aufnahmestopp verhängen. Einzige Ausnahme: Kinder aus Familien, die er bereits kennt. „Es tut mir wirklich sehr leid, aber mehr geht einfach nicht“, sagt er. Wie schwer ihm diese Situation zusetzt, ist Senjor deutlich anzumerken. Doch er erwartet eine personelle Krise, die ihm keine andere Wahl gibt: Eine Kinderärztin, die ihn in Teilzeit unterstützt hat, hört auf. Außerdem sucht Senjor dringend weitere Kräfte für sein Team: erneut eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt in Ausbildung, medizinische Fachangestellte oder Kinderpflegerinnen, eine Auszubildende.

„Ohne meine Mitarbeiterinnen bin ich nichts“

„Ohne meine Mitarbeiterinnen bin ich nichts“, unterstreicht er die Bedeutung eines eingespielten, engagierten Teams. Das hat er, doch es ist zu klein und neue Fachkräfte zu finden „sehr schwer geworden“, wie er bedauernd feststellt. Das liege an mehreren Gründen: Der Beruf sei anstrengend, aber auch sehr befriedigend, wenn man Kinder möge und gerne helfe, aber der Arbeitsalltag sei von viel Unvorhersehbarem geprägt. Krankheit lasse sich halt nicht planen.

Viele Fachkräfte, vor allem weibliche, die nach wie vor die Hauptlast der Kindererziehung tragen würden, seien jedoch auf geregelte Arbeitszeiten angewiesen. Deshalb würden sich auch immer mehr Ärztinnen für ein Angestelltenverhältnis, etwa in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), entscheiden. Auch Auszubildende zu finden, werde schwerer. Der Beruf der medizinischen Fachangestellten (früher: Arzthelferin) sei anspruchsvoll. Gebraucht würden junge Leute, die mitdenken und konzentriert arbeiten könnten, stressresistent und flexibel seien sowie gerne mit Menschen umgehen würden.

Ansprüche an die Leistung steigen

„Immer mehr Patienten, immer weniger Man- beziehungsweise Women-Power“, bringt Senjor die Problematik auf den Punkt. Wasserburg wachse, das Umland auch, ein Grund, warum die Nachfrage nach kinderärztlicher Versorgung steige. Ebenso die Ansprüche an die Leistungen einer Praxis: mehr Vorsorgeuntersuchungen, mehr Atteste, mehr Impfungen. Außerdem gebe es mehr Patienten mit Migrationshintergrund, bei denen die Verständigung Probleme bereite, sich also der Zeitaufwand in der Praxis erhöhe.

Auch die Bürokratie ist nach Erfahrungen von Senjor ein Zeitfresser. Wobei er Wert auf die Feststellung legt, dass es in Ordnung sei, wenn beispielsweise Abrechnungen kontrolliert würden und Leistungen dokumentiert werden müssten. „Auch in unserem Beruf gibt es schließlich schwarze Schafe. Doch es fehlt manchmal bei der Kontrolle das Augenmaß“, findet er. Die überbordenden bürokratischen Anforderungen empfindet er auch als Symbol für ein vorherrschendes Misstrauen, das unberechtigterweise all jene Niedergelassene treffe, die ordentlich arbeiten würden. Senjor fühlt sich deshalb von Kassen und Kassenärztlicher Vereinigung (KV) manchmal gegängelt.

Viel Mehrarbeit durch Digitalisierung

Auch die Digitalisierung erfordere derzeit noch viel Mehrarbeit, weil Daten eingepflegt werden müssten. Die E-Akte hält er außerdem in puncto Datenschutz zum jetzigen Zeitpunkt „für extrem fragwürdig“, weshalb er allen Patienten empfehle, aktiv zu widersprechen. Grundsätzlich findet Senjor: Kosten und Nutzen der Digitalisierung ständen in keinem Verhältnis.

Beruf bereitet noch immer Freude

Trotzdem möchte er nicht in das Klagen vieler im Gesundheitswesen Tätiger einstimmen. „Mein Beruf bereitet mir noch überwiegend Freude. Nur manche Tätigkeiten nerven.“ Als niedergelassener Arzt habe er nach wie vor ein sicheres Auskommen ohne große betriebswirtschaftliche Risiken. Die Selbstständigkeit biete ihm eine Entscheidungsfreiheit, die es im Angestelltenverhältnis nicht gebe. Und mit Kindern zu arbeiten, sei eine große Freude. „Sie sind neugierig aufs Leben, das sind tolle Patienten.“ Viele Familien begleite er über lange Zeit, oft bis zur U 9, einige sogar bis zum 18. Geburtstag. Als Kinderarzt nehme er oft Teil am Leben, an den Nöten und den Freuden von Menschen. Er könne Weichen stellen, bei gesundheitlichen Problemen die Folgen abfedern oder heilen, schlichtweg helfen, sagt der Vater von drei erwachsenen Kindern.

„Brauchen eine Ausbildungsoffensive“

Trotzdem müsse die Politik die Rahmenbedingungen verbessern, damit es mehr Fachpersonal gebe und die ärztliche Versorgung nicht in „englische Verhältnisse“ abrutsche. „Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive“, fordert Senjor. Gesundheitsberufe müssten wieder attraktiver werden, auch in der Darstellung nach außen. Und es sei wichtig, auch potenzielles Fachpersonal aus dem Ausland zu fördern. Menschen mit Migrationshintergrund, die für medizinische Berufe, egal ob ärztlich, pflegerisch oder therapeutisch, infrage kämen, müssten schneller als bisher integriert werden. A und O sei die Sprache, also das Deutschlernen.

Gerne würde Senjor außerdem langsam eine Nachfolge aufbauen. Er ist 61, hat noch viel Freude am Beruf, „doch ich sollte mehr Zeit dafür haben, auf mich aufzupassen“, räumt er ein. „Work ist gleich life“, erteilt er der sogenannten Work-Life-Balance jedoch in seinem Beruf eine Absage. Trotzdem finde er noch Zeit für Privates, auch weil seine Frau ihm den Rücken freihalte. „Ich bin viel draußen in der Natur“, sagt er. Und er sei ein geselliger Mensch, der sich gerne mit Freunden treffe.

Kinderärztliche Versorgung: Zahlen

Der Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) nennt für die Kreisregion Rosenheim einen Versorgungsgrad von 114,3 Prozent. Niedergelassen hätten sich 39 Ärztinnen und Ärzte, 21 weiblich, 18 männlich. 14 davon seien bereits im Alter von 60 plus. Im Raum Wasserburg am Inn, wo laut Versorgungsatlas 57.000 Einwohner unter 18 Jahren leben, sind zwei niedergelassene Praxen in Wasserburg gemeldet (neben Dr. Marko Senjor noch Dr. Georg Birkinger), außerdem eine im Nachbarort Edling (Dr. Christoph Herbst). Ansonsten zeigt der Atlas für das Wasserburger Land viele weiße Flecken.

Sorgen bereitet Eltern auch die Frage, wie die kinderärztliche Versorgung in der Geburtsklinik Wasserburg weitergehen wird, weil die dortige Ärztin aufhört. Elisabeth Siebeneicher, Sprecherin des Romed-Klinikverbunds, teilt auf Anfrage mit, die Versorgung sei weiterhin geregelt. Hier geht es vor allem um die ersten Vorsorgeuntersuchungen U 1 und U2. Die Kinderärzte aus der Romed-Klinik Rosenheim, die bereits in Vertretungsfällen einspringen würden, würden die Versorgung in Wasserburg weiterhin sicherstellen.

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