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Praxissterben auf dem Land

Mit 73 Jahren: Auch Hausarzt Dr. Andreas Rottenwaller hört auf in Wasserburg – So geht‘s nun weiter

Gibt mit 73 seine niedergelassene Praxis in Reitmehring (Wasserburg) auf: Dr. Andreas Rottenwaller.
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Gibt mit 73 seine niedergelassene Praxis in Reitmehring (Wasserburg) auf: Dr. Andreas Rottenwaller.

Nächster harter Einschnitt für die Hausarztversorgung in Wasserburg: Nach Internist Thomas Wilsmann hat auch Dr. Andreas Rottenwaller seine Praxis mit Kassensitz aufgegeben. Über eine schmerzhafte Entscheidung, ein krankes Kassenarzt-System und einen 73-Jährigen, der das Stethoskop nicht ganz an den Nagel hängt.

Wasserburg – Weit über 40 Jahre ist Dr. Andreas Rottenwaller bereits als Arzt tätig. Tausende Patienten hat er in dieser Zeit betreut. Ein Mediziner, den in Wasserburg fast jeder kennt, denn hier ließ er sich vor 38 Jahren im Stadtteil Reitmehring mit eigener Praxis nieder. Rückblickend stellt der heute 73-Jährige fest: „Es war fast immer, aus unterschiedlichen Gründen, eine harte, aber auch schöne Zeit.“

Die Herausforderung begann schon in jungen Jahren, denn Rottenwaller wollte unbedingt Medizin studieren, damaliger Numerus Clausus (NC) beim Abitur; 1,6. „Da habe ich mich ganz schön reinhängen müssen, damit es klappt“, erinnert er sich schmunzelnd. Nach dem Medizinstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) wurde der gebürtige Buchbacher Stabsarzt bei der Bundeswehr, dann Klinikarzt für Anästhesie in Deggendorf, später Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirurgie und innere Medizin am Krankenhaus Traunstein. Erneut eine herausfordernde Zeit, denn eine Stelle zu ergattern, war damals sehr schwer. Der Alltag an Kliniken war außerdem geprägt von 36-Stunden-Diensten, 60- bis 80-Stunden-Wochen, dazu noch Notarzteinsätze. „Eine harte Schule“, sagt Rottenwaller rückblickend.

Start der Niederlassung: 60-Stunden-Woche an der Tagesordnung

Vor 38 Jahren gelang es ihm dann, sich als Landarzt niederzulassen. Die Wahl fiel auf Reitmehring, weil ihm und seiner Frau die Stadt Wasserburg so gut gefallen habe und sie zwischen den beiden früheren Heimatorten Buchbach und München lag. Die Existenzgründung war erneut „sehr fordernd“, erinnert sich Rottenwaller. Er hätte es ohne seine Frau, die mitarbeitete, nicht geschafft. Die Investition war hoch, ein Patientenstamm musste erst aufgebaut werden. Damals gab es auch noch die Pflicht, als Notarzt zu fahren. Erneut waren 60-Stunden-Wochen an der Tagesordnung, auch nachts und am Wochenende war Rottenwaller im Einsatz, viele Hausbesuche standen auf seinem Arbeitsprogramm. „Es war grenzwertig“, sagt er im Rückblick.

Bis zum 73. Lebensjahr gab er jedoch nach eigenen Angaben „immer hundert Prozent“. „Ich hatte sehr viele nette Patienten. Wenn es stimmt, dass Ärzte immer die Patienten bekommen, die sie verdient haben, dann habe ich es sehr gut gehabt.“ Viele kommen sogar von weit her, denn Rottenwaller machte sich einen Namen als Allgemeinmediziner, der auch auf Naturheilverfahren und Osteopathie setzt. In diesen Bereichen hat er sich intensiv weitergebildet, denn Naturheilverfahren sind nach seiner Erfahrung eine in vielen Fällen funktionierende ergänzende Komplementärmedizin. Auch die konventionelle Schulmedizin habe sich in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem technologisch und medikamentös, sehr gut weiterentwickelt, etwa bei der Behandlung von Diabetes oder Bluthochdruck. „Es hat sich enorm viel getan“, freut sich Rottenwaller.

Bei einigen Patienten gab es Tränen

Die Niederlassung aufzugeben, das sei ihm trotzdem sehr schwergefallen. Bei einigen Patienten habe es sogar Tränen gegeben. Er habe zum Jahresende viele berührende Briefe mit Dankesworten erhalten. Und habe vielen geholfen, bei Kolleginnen oder Kollegen Aufnahme zu finden. „Alle sind untergekommen, das war jedoch gar nicht so einfach“, sagt er angesichts des vielerorts geltenden Aufnahmestopps erleichtert.

Dabei hätte auch er, so wie Kollege Thomas Wilsmann, der an ein MVZ verkaufte, gerne seinen Kassensitz und die niedergelassene Praxis an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger übergeben. Drei Jahre lang suchte Rottenwaller, es gab nach seinen Angaben einige Interessenten, die geeignet gewesen seien. „Ich habe wirklich alles versucht, es potenziellen Nachfolgern recht zu machen. Doch es hat nicht geklappt.“ Die Gründe sind nach seinen Erfahrungen vor allem in der Tatsache zu finden, dass viele junge Mediziner die hohe Arbeitsbelastung und Verantwortung scheuen würden. Eine neue Generation an Ärzten habe andere Ansprüche an das private und berufliche Leben, die sogenannte „Work-Life-Balance“ sei sehr wichtig geworden. Sich aufarbeiten für die Selbstständigkeit, so wie er und seine Frau es getan hätten, das wolle heute kaum jemand noch. Zu groß sei die Sorge vor Überlastung.

„Überbordende Bürokratie“ – „ungerechte Budgetierung“

Diese ist nicht unberechtigt, räumt Rottenwaller ein. Denn die „überbordende Bürokratie“ mache es den Niedergelassenen sehr schwer. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) komme ihrer Aufgabe als Interessenvertretung nicht wirklich nach, sie sei gleichzeitig auch ein Disziplinarorgan geworden und lasse viele Niedergelassene im Regen stehen. Auch die Krankenkassen würden ihr eigenes Süppchen kochen, „wir niedergelassenen Ärzte müssen über jedes Stöckchen hüpfen, dass man uns hinlegt.“ Rottenwaller kritisiert die Budgetierung, die „äußerst ungerecht“ ausfalle. Hausärzte seien in den vergangenen Jahren zu Spielbällen von KV und Kassen geworden und Opfer einer Gesundheitspolitik, die sich in die falsche Richtung entwickelt habe.

Die medizinische Versorgung, vor allem in ländlichen Regionen, sei deshalb gefährdet. Obwohl der Hausärzteverband seit über zehn Jahren vor einem Praxissterben warne, gehe das „Politikversagen“ weiter. Die Förderprogramme für Niederlassungen auf dem Land würden nicht ausreichend fruchten, sie seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch die extremen NC-Anforderungen würden dafür sorgen, dass viele junge Leute, die gerne Arzt werden wollten, nicht zum Zuge kämen oder zum Studieren ins Ausland gehen würden.

„Tröstlicher Hoffnungsschimmer“

Auch aufgrund der Sorge um eine ausreichende Versorgung fiel Rottenwaller der Abschied von seiner Praxis mit Kassensitz schwer. „Es war eine rein rationale Entscheidung“, sagt er, „ich bin 73, da muss und sollte auch mal Schluss sein.“ Außerdem geht es weiter: mit einer Privatpraxis für Selbstzahler mit 16 Stunden Sprechzeiten pro Woche. Schwerpunkt: Naturheilverfahren, Osteopathie, Behandlung von Darm- und Autoimmunerkrankungen, Themen, auf die er sich schon als Niedergelassener spezialisiert hatte. Und noch einen „tröstlichen Hoffnungsfunken“ gibt es: Eine Tochter von Rottenwaller arbeitet in der Praxis mit, sie wird Heilpraktikerin.

Der Vater wird ebenfalls begrenzt weitermachen, jedoch auch mehr Zeit finden für all jene Dinge, die er in über 40 Jahren Tätigkeit als Arzt nicht oder nur selten tun konnte: die Sprachkenntnisse auffrischen, mehr Sport treiben, reisen, sich mit Freunden treffen, garteln, mal in Ruhe ein Buch lesen, Gitarre spielen neu lernen, die Enkel hüten.

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