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Jahresrückblick 2023

Brenner-Nordzulauf: Proteste, Aufschrei, Kernforderungen, Alternativen und Gegenwind

Auf einer Grafik ist eine vierköpfige Familie zu sehen, die auf ein nicht näher bezeichnetes Stück des Brenner-Nordzulaufs blickt
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„Quo vadis, Brenner-Nordzulauf?“ Diese Frage hielt große Teile des Landkreises auch 2023 in Atem.

„Nichts unversucht lassen“: Das war 2023 die Devise beim Brenner-Nordzulauf. Das Jahrhundert-Projekt beschäftigte viele Gemeinden und Trassen-Anwohner im Landkreis Rosenheim. So ist die Lage am Jahresende.

Landkreis Rosenheim – Zehn, 20 oder doch 40 Milliarden Euro Baukosten? Acht, zehn oder doch 15 Jahre Bauzeit? Es kommt darauf an, wen man fragt. Ehrlich gesagt: Beide Fragen zum Brenner-Nordzulauf kann heute noch keiner beantworten. Eines aber ist klar: Das Bauwerk wird, wenn es denn kommt, die Region über Jahrhunderte prägen.

Widerstand leisten, bis die Bagger rollen, wollen die Bürgerinitiativen im Landkreis, die sich zumeist unter dem Dach des „Brennerdialog Rosenheimer Land“ zusammengetan haben. Seite an Seite mit den Kommunalpolitikern. Vertrauen in die Abgeordneten im Landtag und im Bundestag haben sie wenig bis keines. Das wird beim Film „Das trojanische Pferd“ rund um Stuttgart 21 ebenso deutlich, wie bei der Protestaktion „1000 Pfähle“ entlang der geplanten 54 Kilometer langen Trasse Anfang März.

Kein Bedarfsnachweis, keine Neubautrasse.

Landrat Otto Lederer

Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter sorgt an einem eisig kalten Tag Mitte März für Puls und versteinerte Mienen bei den Bürgermeistern von Tuntenhausen bis Rohrdorf und beim Landrat, als er auf dem windumtosten Inndamm bei Stephanskirchen festhält, der Brenner-Nordzulauf müsse möglichst verträglich gestaltet werden, „aber er wird kommen“. Dazu Landrat Otto Lederer trocken: „Kein Bedarfsnachweis, keine Neubautrasse.“

Christian Bernreiter, der bayerische Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr (Mitte) hörte sich die Anliegen der Kommunalpolitiker rund um Landrat Otto Lederer (rechts) und Stephanskirchens Bürgermeister Karl Mair an, versprach Rückendeckung bei den Kernforderungen zum Brenner-Nordzulauf.

Es hilft auch nicht, dass Ministerpräsident Markus Söder Monate später fordert, die Deutsche Bahn müsse den Tiroler Standard halten, mindestens 80 Prozent der Strecke in Tunnels bauen. Das hat die Bahn definitiv nicht vor, wie Schechen und Tuntenhausen im Norden leidvoll erfahren. Die beiden Gemeinden werden von Dämmen, Brücke und Trögen sowie bis zu sechs neuen Gleisen bei Ostermünchen zerschnitten. Weiter im Süden kämpfen Oberaudorf und Flintsbach gegen die Zerstörung ihrer Gemeinden, halten an der Forderung fest, die Verknüpfungsstelle aus dem engen Inntal in den Wildbarren zu verlegen.

Landtagskandidaten können nicht glänzen

Ganz aus ist es im September, als bei zwei Diskussionen die Landtagskandidaten in Rosenheim-Ost und -West die Frage beantworten sollen „Sag, wie hältst Du's mit dem Brenner-Nordzulauf?“ und was sie im Falle ihrer Wahl dagegen tun können. Dass der Bundestag entscheidet, wissen sie alle. Eine Kandidatin kommt deswegen erst gar nicht. Die meisten anderen lehnen sich mit einem bedauernden Schulterzucken zurück. Dass es Stellschrauben zum Beispiel im Landesentwicklungsprogramm und in der bayerischen Bauordnung gibt, weiß keine Handvoll.

Nur Protest, das war mal (unser Bild zeigt die Vorbereitungen zur Mahnstab-Aktion) – jetzt wollen die Bürgerinitiativen gegen den Brenner-Nordzulauf eine eigene Planung einreichen.

Dem Brennerdialog und seinen Kampfgefährten reicht's. Sie hatten schon im Januar einen Anwalt engagiert. Nicht weil sie aktuell gegen irgendwas an der „völlig unsinnigen Monstertrasse“ – so der Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz, Rainer Auer – klagen wollten, sondern um gewappnet zu sein, falls was kommt. Und um den besten Zeit- und Angriffspunkt zu finden. Es wird keine Klage. Es wird eine Alternative. Vorgestellt und nach Berlin abgeschickt im November.

Brenner-Basistunnel 2032 fertig, Nordzulauf nicht

Der Brenner-Basistunnel ist Stand jetzt 2032 fertig. Der Nordzulauf sicher nicht. Also muss die Bestandstrasse ohnehin technisch auf den neuesten Stand gebracht werden. Inklusive Lärmschutz. Den Güterverkehr schafft die bestehende Trasse derzeit locker. Sollte der tatsächlich mehr werden, kann die Strecke Rosenheim-München entlastet werden. Denn: Von München über Mühldorf nach Freilassing und Salzburg wird die bestehende Strecke bereits ausgebaut, soll 2030 fertig sein. Das reicht nicht, im Rosenheimer Bahnhof wird's eng und enger. Ein fünf Kilometer langer Tunnel schafft Abhilfe. Und als ultima ratio kann die Strecke Rosenheim-Wasserburg-Mühldorf-Landshut mit Überholgleisen ausgebaut werden. Kostet für alles nicht mal ein Viertel des BNZ, sagt Lothar Thaler, Vorsitzender des Brennerdialogs. Geht schneller und kann an den Bedarf angepasst werden.

Ein Tunnel im Rosenheimer Seeton? Plant die Bahn ohnehin schon. Im Süden wird der Inn unterquert, im Nordosten Riedering und Stephanskirchen. Es folgen, statt des laut Bahn technisch machbaren teuren Tunnels, Brücke und Dämme quer durch Schechen. Fast alles im Rosenheimer Becken.

Flächen für Baustellen schockieren

Im Spätsommer hallen Aufschreie durch weite Teile des Landkreises. Die Bahn gab bekannt, wo Flächen für die Baustelleneinrichtung gebraucht werden. 45 Hektar standen dafür einst im Raum. Jetzt ist klar: Es wird ein Vielfaches mehr. Baustelleneinrichtung, Zwischenlager von Erdreich, Container, Parkplätze, Werkstätten, Betonmisch- und Aufbereitungsanlagen brauchen ihren Platz. Der Abraum der Tunnel muss erst irgendwo hingeschafft, schließlich per Lkw über die Autobahn abtransportiert werden. Oder nach Stephanskirchen zum Verladebahnhof am Südende des Simssees. Der allein ist mit 14 Hektar eingeplant.

Rund um die Verknüpfungsstelle Niederaudorf sind 40 bis 45 Hektar für die Baustelleneinrichtung vorgesehen. An der schmalsten Stelle des Inntals. 25 Landwirte verlieren dort 50 bis 90 Prozent ihrer Flächen und damit ihre Existenz. Ob der Boden nach mindestens einem Jahrzehnt als Baustelle jemals wieder landwirtschaftlich genutzt werden kann, das weiß niemand. Wie viele Landwirte zwischen Oberaudorf und der Landkreisgrenze hinter Tuntenhausen aufgeben werden müssen auch nicht. 2021 sprach der Bauernverband von „hunderten“ gefährdeter Betriebe.

Vier- bis sechsspurig führt eine neue Trasse samt Verknüpfungsstelle und neuem Bahnhof mitten durch die landwirtschaftlichen und das Sportgelände Ostermünchen durch die Gemeinde Tuntenhausen.

Ende Oktober legt die Bahn in Dialogforen den Trassenverlauf vor, mit dem sie ins weitere Verfahren gehen wird. Flintsbachs Bürgermeister Stefan Lederwascher spricht von der Vernichtung einer Kulturlandschaft. Seine Kollegen aus Riedering, Christoph Vodermaier, und Neubeuern, Christoph Schneider, führen zudem die Vernichtung des Tourismus ins Feld.

Warum man überhaupt an dieser absurden Planung weitergearbeitet hat, ist für mich nicht nachvollziehbar

Stephanskirchens Bürgermeister Karl Mair

Dass in den Dialogforen von Dialog keine Rede sein könne, beklagen alle Bürgermeister. Die Bahn habe sie immer wieder mit bösen Überraschungen überfallen – die zwischenzeitliche Verlegung der Trasse direkt über den Stephanskirchner Trinkwasserbrunnen. Der „Überholbahnhof Riedering“, der weder ein Bahnhof ist, noch in Riedering, sondern zwei zusätzliche 1000 Meter lange Gleise zwischen Lauterbach und Immelberg in der Gemeinde Rohrdorf. Zuhören, gar Wünsche berücksichtigen? Nun ja. In Tuntenhausen hatten die Kommunalpolitiker lange gerungen, was denn nun erträglicher wäre, hatten dazu auch die Bürger gefragt. Sie entschieden sich für einen Ausbau nahe am Bestand und den Erhalt des alten Bahnhofs. Die Bahn plant vier bis sechs neue Gleise auf einer neuen Trasse und einen neuen Bahnhof in der offenen Landschaft zwischen Ostermünchen und Tuntenhausen.

Kernforderungen werden gebündelt

Bis Ende Januar müssen die Kernforderungen aus der Region stehen und vom Landratsamt Richtung Berlin abgeschickt sein. Sie unterscheiden sich von Gemeinde zu Gemeinde. Aber drei Punkte werden ganz deutlich: Der Lärmschutz an der bestehenden Strecke muss schnellstmöglich auf Neubaustandard gebracht werden. Der Inn soll nördlich von Rosenheim nicht über-, sondern unterquert werden. Das ist, auch nach Aussage der Bahn, technisch möglich. Die Bahn bezifferte allerdings die Kosten mit drei Milliarden Euro. Zu teuer.

Die Verknüpfungsstelle Niederaudorf soll im Wildbarren verschwinden. Was die Bahn ablehnt. Eine Einhaltung der sicherheitstechnischen Vorgaben könne für diese Planung nicht nachgewiesen werden. Das wollten die Gemeinden Oberaudorf, Flintsbach, Nußdorf, Neubeuern, Brannenburg, Raubling, Kiefersfelden, Erl, Niederndorf und Ebbs sowie die Interessensgemeinschaft „IG Inntal 2040“ so nicht stehen lassen. Sie beauftragten renommierte Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit einer Studie. Und siehe da: Dass die Deutsche Bahn vergleichbares noch nicht gebaut habe, heiße ja nicht, dass es nicht gehe. „Es zeigt sich, dass nach dem derzeitigen Wissens- und Erkenntnisstand nach Einschätzung der Autoren, alle untersuchten Varianten als genehmigungsfähig angesehen werden, sofern entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.“

Auch diese Studie wird, zusammen mit den Kernforderungen aus der Region und der Alternativplanung des Brennerdialogs, Ende Januar an die DB Netze AG geschickt. Wie es dann weitergeht? Wir bleiben dran. Und fassen im Jahresrückblick 2024 zusammen.

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