Protest gegen Brenner-Nordzulauf
Bis die Bagger rollen: Kampf gegen die Bahn-Schnellstrecke durch den Landkreis Rosenheim
Kopfschütteln, höhnisches Gelächter, Fassungslosigkeit, Wut - aber auch verstärkte Motivation für den Kampf gegen den Brenner-Nordzulauf. Es war ein emotionaler Abend in Rohrdorf, der vielen Besuchern durch einen Film zu „Stuttgart 21“ erst klar machte, gegen wen und was sie ankämpfen.
Rohrdorf - Das Lachen blieb ihnen das eine oder andere Mal im Hals stecken, den Frauen und Männern, die zu Hunderten ins Turner Hölzl gekommen waren, um sich den Film „Das trojanische Pferd“ über „Stuttgart21“, eines der Großprojekte der Deutschen Bahn, anzuschauen. Zu weit klaffte die Schere zwischen den Aussagen ehemaliger politischer Größen sowie Bahnvorstände und den dann gebauten und noch im Bau befindlichen Tunnels, Gleisen und unterirdischen Bahnhöfen auseinander.
Die Politik hält uns für blöde
„Die Politik hält uns für blöde“, hatte Christoph Ohliger, Mitgründer und Sprecher des Aktionsbündnis Bahn-Bürgerinitiativen Deutschland (ABBD) aus Stephanskirchen, schon vor Filmbeginn festgestellt. Rohrdorfs Bürgermeister Simon Hausstetter, Gastgeber des Abends, berichtete von einer Begegnung mit drei Landtagsabgeordneten am Dienstag, 7. Februar: „Meine Argumentation schlug fehl“. Er ließ Zweifel an der vollen Aufmerksamkeit der Gesprächspartner anklingen.
Spöttisches Gelächter unter den etwa 300 Besuchern, als die Kostenschätzung für Stuttgart 21 von 2005 eingeblendet wurde: 2,5 Milliarden Euro veranschlagte die Bahn damals. 18 Jahre und etwa 100 Tunnelkilometer später werden von Fachleuten eher 20 Milliarden Euro geschätzt- und die Vorhaben sind noch längst nicht alle umgesetzt. Von ähnlichen Kostensteigerungen - einer Versechsfachung - geht laut Thomas Riedrich, Sprecher des Brennerdialogs, der europäische Rechnungshof auch für den Brenner-Nordzulauf (BNZ) aus. Dort wird derzeit mit 125 Millionen Euro pro Streckenkilometer gerechnet.
Flucht bei Brand im Tunnel nur über das Gegengleis
Totenstille in der Halle, als Bilder vom Brand einer ICE-Lokomotive 2001 im Offenbacher Bahnhof die Leinwand füllten. Wie so ein Brand in einem der Tunnel zwischen Kufstein und Stephanskirchen ausginge, mochte sich niemand so recht vorstellen. Denn in die benachbarte Tunnelröhre flüchten können Passagiere erst, wenn dort der Zugverkehr gestoppt ist. Eine echte Fußgänger-Fluchtröhre wie im Euro-Tunnel unter dem Ärmelkanal ist in den aktuellen Plänen der Bahn nicht enthalten.
Murren im Publikum, als Riedrich daran erinnerte, dass die Bahn in ihrer Projektbroschüre zum sogenannten Scan-Med-Korridor, also der Verbindung über die Ostsee bis zu den italienischen Mittelmeerhäfen, selber schreibt, dass ein Ausbau der Bestandsstrecke im Inntal ausreiche, um eine entsprechende Zahl (Güter-)Züge zu bewältigen, und eine neue Trasse nicht nötig sei. „Steht auf Seite 38.“ Erst seit die Bahn auf einer durchgehenden Hochgeschwindigkeitsstrecke bestehe, sei die Bestandsertüchtigung raus.
„Klimabahn statt Tempowahn“: Petition von Fehmarn bis Kiefersfelden
35.000 Unterschriften, die die Bürgerinitiativen im Landkreis für eine Petition an den Bundestag sammelte, liegen seit gut drei Jahren unbeachtet in Berlin. Was den Brennerdialog nicht daran hindert, es erneut zu versuchen und unter brennerpetition.de Unterschriften für die Petition „Klimabahn statt Tempowahn“ zu sammeln. Dieses Mal aber nicht allein: Das seit März 2022 bestehende Aktionsbündnis Bahn-Bürgerinitiativen Deutschland (ABBD) mit Mitgliedern von Fehmarn bis Kiefersfelden trägt die Petition in die ganze Republik.
Der „Hochgeschwindigkeitswahn“ der europäischen Eisenbahngesellschaften sei für ihn nicht nachzuvollziehen, so Riedrich. Diese seien in allen Ländern defizitär. Kein Wunder: Die DB sage selber, dass sie 16 mal mehr Menschen im Nahverkehr befördere als im Fernverkehr mit IC und ICE, wie Ohliger erinnerte. „Da wollen sich einige Industrien und Unternehmen auf unser aller Kosten bereichern“, so Riedrichs Vermutung. Für die er reichlich Applaus erntete.
Und die Bahn spielt mit. Auch in Österreich. Dort kam es schon zu Enteignungen, wie Hans Walk im Gespräch mit dem OVB berichtet. Die ÖBB wollte partout auf seinem Grundstück bohren. Einen entsprechenden Bescheid gab und gibt es nicht. In drei Schreiben - per Einschreiben geschickt- habe er die ÖBB auf ein benachbartes öffentliches Grundstück verwiesen. Eine Antwort gab es nicht. Dafür habe er kürzlich das Schreiben über die Enteignung des Grundstückes bekommen. „Das ist kein Stil, ist nicht ergebnisoffen, nicht auf Augenhöhe“: So haut er ÖBB und DB deren eigene Aussagen zur Bürgerbeteiligung um die Ohren, bevor er sich mit den Worten „hier bei Euch wird es nicht anders sein“ in sein Auto schwingt und nach Hause, nach Schaftenau in Tirol, fährt.
Sepp Brem und Andreas Fuihl haben Walks Geschichte nicht gehört. Würden daraus aber vermutlich mehr Widerstandsgeist schöpfen. Beide sind in Lauterbach in Sichtweite der geplanten BNZ-Trasse aufgewachsen. Diese räumliche Nähe sei Auslöser ihres Engagements gegen die BNZ-Neubautrasse gewesen, sagen sie. Je mehr sie sich mit dem BNZ beschäftigten, desto größer wurde der Widerstand. Ja, sie müssten im Freundes- und Bekanntenkreis viel argumentieren, „Güter auf die Schiene“ habe sich bei den Menschen gut eingebrannt. Sei ja auch ein gutes Ziel, sagt Fuihl. Aber eben nicht die ganze Geschichte. Auch weil ausreichend und ausreichend moderne Verladeterminals fehlen.
Hat sie der Film über die Ereignisse um Stuttgart 21 motiviert oder demotiviert? „Motiviert!“ sagen die beiden im Chor. Fuihl will sich von seinen Kindern und möglichen Enkeln nicht die Frage anhören müssen, ob er auch wirklich alles gegeben habe, die Neubautrasse zu verhindern. Und sie wissen auch schon, wo sie weiter anpacken wollen: Bei der Generation der 25- bis 40-Jährigen. Die fehle völlig. „Die gilt es einzufangen, zu gewinnen.“
Mahnaktion und Kundgebungen am 4. März
Kabarettistin Christine Prayon, eines der Gesichter des Widerstands gegen Stuttgart 21, sagte im Film, sie hätten nicht in die Schlichtung gehen sollen. Die sei nachweislich manipuliert gewesen. „Wir hätten den Widerstand auf der Straße lassen sollen.“ Da wird sie im Landkreis Rosenheim bleiben. Beziehungsweise auf der Fläche. Am Samstag, 4. März, markieren 1000 Mahnstäbe die geplante Trasse des BNZ, gibt es Kundgebungen in Lauterbach, Oberaudorf und Ostermünchen. „Wir haben einen Vorteil“, sagt Thomas Riedrich: „Anders als in Stuttgart gibt es bei uns den Widerstand schon, bevor die Bagger rollen und vollendete Tatsachen schaffen.“
