Brenner-Nordzulauf
Evakuierung zwischen Auerochsen: Was die Bahn in Stephanskirchen plant
Der Fluchtpunkt Innleiten macht die Fischzucht platt, die Straße dorthin wohl die Auerochsenweide. Der Gocklwirt liegt direkt am Abraum-Verladebahnhof, Eitzing wird um Betonmisch- und Aufbereitungsanlagen, Baustraßen und ein Förderband erweitert. Alles für den Brenner-Nordzulauf.
Stephanskirchen – Karl Mair kennt die Materie „Brenner-Nordzulauf“ (BNZ) nicht erst, seit er Bürgermeister ist. Auch als Gemeinderat war er mit dem Thema befasst. Und doch haben die jetzt vorgestellten Details rund um die beiden Tunnelportale in der Gemeinde Spuren bei ihm hinterlassen: „Die jetzt präsentierten Ausmaße der Baustelleneinrichtungen sind erschreckend und unvorstellbar und untermauern unsere grundsätzliche Ablehnung des Projekts.“ Mit den im jüngsten Dialogforum präsentierten Planungen seien die massiven Eingriffe in das Landschaftsbild wieder ein Stück konkreter geworden. In mehreren Teilen des Ortes.
Tunnelportal braucht Rettungsplatz und Zufahrt
Das Tunnelportal an den Innleiten ist seit langem bekannt. Damit allein ist es nicht getan. Direkt am 40 Meter breiten Portal entsteht ein Rettungsplatz mit mindestens 1500 Quadratmetern. Muss sein, verlangen die Tunnelsicherheitsrichtlinien. Opfer des Rettungsplatzes wird aller Voraussicht nach die Fischzucht, ganz hinten am Mühlthalweg. Dieser Rettungsplatz muss, wie ein Sprecher der Bahn auf Nachfrage des OVB mitteilt, ans öffentliche Straßennetz angebunden sein.
Bahn verhandelt mit Anliegern und Gemeinde
Die Sträßchen von der Innbrücke zur Leonhardsquelle sind kaum breit genug für Autos. Geschweige denn für Lkws oder Rettungsfahrzeuge. Also wird eine kilometerlange Bau- und Rettungsstraße gebaut. Die Trasse steht nach Angaben des Bahn-Sprechers noch nicht fest, da befinde man sich in Abstimmung mit den Anliegern und der Gemeinde. Weder die einen, noch die andere sind begeistert. Die Frage scheint nur zu sein, ob es die Auerochsen- oder die Schafweide trifft. Denn 3,5 Hektar an weiteren Flächen werden für die Baustelleneinrichtung und für den Beginn der Brücke über den Inn gebraucht. „Die als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesene Auenlandschaft wird durch den Brückenbau schwer belastet“, so der Bürgermeister.
Abraum von den Tunnelbauarbeiten soll in Innleiten laut Bahn kaum anfallen, „aufgrund der besonderen örtlichen Situation achtet das Planungsteam darauf, die Auswirkungen der Bauarbeiten zu minimieren.“ Aus diesem Grund werde der Tunnelvortrieb nur vom Südportal aus erfolgen. Die Innbrücke soll laut Bahn von Westen her gebaut werden.
5,5 Kilometer weiter, in und um Eitzing, sind die geplanten Eingriffe in die Landschaft mindestens so massiv. 26 Hektar hat die Bahn dort für einen Verladebahnhof und die Baustelleneinrichtung vorgesehen. Von dem 40 Meter breiten und zwölf Meter tiefen Tunnelportal mit anschließendem offenen Trog für die zweigleisige Strecke gar nicht zu reden. Zwar ist heute noch nicht klar, wie es nach Eitzing Richtung Riedering und Rohrdorf weitergeht. Theoretisch ist ein durchgehender Tunnel bis Rohrdorf nicht ausgeschlossen – das ist aber die teuerste Variante. Stellt sich realistisch nur noch die Frage, ob die Bahn eine Über- oder Unterquerung des kleinen Flusses Sims planen wird.
Kommt die Neubautrasse des BNZ, dann kommt auch der Tunnel Ringelfeld unter Stephanskirchen hindurch. Und dessen Abraum soll, wie erwähnt, über den Ortsteil Eitzing mit seinen rund 600 Einwohnern entsorgt werden. Wie groß die dafür benötigte Fläche tatsächlich sein werde, könne noch nicht gesagt werden, erklärt der Bahn-Sprecher. Denn die Flächen für die Baustelleneinrichtung würden in der aktuell laufenden Vorplanung nur grob betrachtet. „Ziel ist es, anfallende Materialien möglichst kurz zwischenzulagern und rasch abzutransportieren.“ Dies solle vornehmlich über das hochrangige Straßennetz – sprich die nahegelegene A8 – und das Schienennetz erfolgen.
Lebensqualität auf Jahre eingeschränkt
Für den Abtransport auf der Schiene ist nach aktuellem Planungsstand ein Verladebahnhof an der Strecke Rosenheim-Salzburg im Bereich des ehemaligen Bahnhofs Stephanskirchen vorgesehen. 14 Hektar Fläche – nur wenige hundert Meter vom Simssee und seinem Naturschutzgebeit entfernt, wie Mair in Erinnerung ruft – sind dafür verplant. Beginnend am letzten Haus in Eitzing und endend am Kult-Lokal „Gocklwirt“ im Ortsteil Weingarten. „Grob geschätzt acht Jahre lang wird dieser Bereich durch Zwischenlager von Erdreich, Container, Parkplätze, Werkstätten, Betonmisch- und Aufbereitungsanlagen, Baustraßen und den Betrieb eines Förderbandes geprägt, so dass die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger massiv eingeschränkt wird“, äußert sich Mair ungehalten.
Haarscharf am Gärbottich vorbei
Dazu kommen zwei große Flächen zur Baustelleneinrichtung, unabhängig davon, welche Trasse dort weiter geplant wird. Eine Fläche liegt direkt neben Krottenhausmühle. Und genau dort ist die Simsseer Braumanufaktur. Vor allem bei den beiden möglichen Tunnelvarianten bebt da vermutlich der Gärbottich. Geschäftsführerin Erika Riedrich muss angesichts der Fragestellung lachen: „Gut möglich. Ich weiß nicht, was die Hefen dazu sagen...“. Auswirkungen auf die Bierproduktion befürchtet sie aber derzeit nicht. Wobei nicht abzusehen sei, wie sich die massive jahrelange Staubbelästigung durch eine Betonmischanlage bemerkbar machen würde.
Die Braumanufaktur ist in Krottenhausmühle nur zur Miete. Der Vermieter, Eigentümer eines alten großen Hofes, auf dessen Gelände dieses Jahr das Stephanskirchner Freilufttheater spielte, hätte laut Erika Riedrich schon Lust, den Hof öfter für Veranstaltungen zu nutzen. Das könne er, komme die Neubautrasse, dann aber wohl genauso vergessen wie sie ihre Brauereifeste.
Umspannwerk in Waldering
Eine Großbaustelle braucht Strom, die Züge im Tunnel auch. Also ist nahe Waldering ein Umspannwerk geplant. Denn dort quert der geplante Tunnel eine bestehende Bahnstromleitung. „In diesem Bereich ist vorgesehen, die Neubaustrecke über ein neues Unterwerk anzubinden“, bestätigt der Bahn-Sprecher. Ein genauer Standort stehe noch nicht fest.
Trinkwasser nach wie vor in Gefahr
„Nach wie vor ist die in Genehmigung befindliche Trinkwasserversorgung der Gemeinde im Bereich Kieling/Ödenwald durch die Trassenvariante „Pink“ gefährdet, die von der Bahn immer noch untersucht wird“, so Mair gegenüber dem OVB. Der Bürgermeister ärgert sich über diese Planung schon, seit die Bahn aus der Trasse violett die Trasse pink machte und diese direkt über den schon errichteten Brunnen führte. „Die Auswirkungen auf das geplante Trinkwasserschutzgebiet werden betrachtet und in der Variantenabwägung berücksichtigt“, heißt es von Seiten der Bahn. „Was ist für den Trassenneubau eigentlich noch ein Ausschlusskriterium?“ fragt sich Erika Riedrich, auch Gemeinderätin in Stephanskirchen.
Vorzugstrasse bis Jahresende
Bis Jahresende soll, heißt es von Seiten der Bahn, aus den verschiedenen Alternativen eine Vorzugstrasse unter Berücksichtigung der Aspekte Mensch, Natur, Umwelt, Technik, Betriebsführung und Wirtschaftlichkeit erarbeitet werden.
„Enorme Auswirkungen auf die Gemeinde“
Mairs Vorgänger im Bürgermeisteramt, Rainer Auer, wurde regelmäßig sauer, wenn mal wieder ein Politiker versprach, er tue alles, dass die Trasse unterirdisch verlaufe. Das sei eine fahrlässige Beschwichtigung, die den Bürgern Sand in die Augen streue. Mag bisher funktioniert haben. Nun wohl nicht mehr. Denn, sagt Mair: „Es wird zunehmend klarer, wie enorm die Auswirkungen des Brenner-Nordzulaufs auf die Gemeinde Stephanskirchen sind.“

