Bär in Oberaudorf: Ortschef spricht Klartext
Warum reagiert die Politik so spät? Bürgermeister Bernhardt nimmt Versäumnisse ins Visier
Drei Schafe einer Herde in Oberaudorf sind tot, als Täter dürfte nur ein Bär in Frage kommen. Das bestätigt mittlerweile das Landesamt für Umwelt. Doch sonst sind noch viele Fragen offen. Darüber ärgert sich nicht nur Oberaudorfs Bürgermeister.
Oberaudorf - Die Mitteilung des Landesamtes für Umwelt (LfU) schildert in nüchternen Worten ein Geschehen, das für die Almbauern in Oberaudorf und weit darüber hinaus die Dimensionen eines Dramas annimmt. Auf einer Weide seien zwei tote und ein verletztes Schaf aufgefunden worden, „das aufgrund der Verletzungen euthanasiert werden musste“, heißt es in der Mitteilung. Ein Mitglied des Netzwerks Große Beutegreifer habe die Situation vor Ort „umgehend“ begutachtet und genetische Proben genommen. „Anhand der Erstdokumentation der äußeren Verletzungen der Tiere und vor Ort aufgefundener Trittsiegel kann dieser Vorfall einem Bären zugeordnet werden.“
Ein Bär war bei Oberaudorf unterwegs - doch wo ist er jetzt?
Damit ist es sozusagen amtlich. Ein Bär, ein großer Beutegreifer, stapfte zwischen Bichlersee und Felix-Alm westlich von Oberaudorf durch Bergwälder und über Almwiesen. Und er tötete Schafe - es war er erste Schafriss durch Bären in Bayern seit 2006, wie das LfU auf OVB-Anfragen antwortete. Sonst aber sind noch viele Fragen offen. Auch die, wo der Bär sich im Moment herumtreibt.
Damit sitzen die Almbauern in einer Zwickmühle. So lange sie nicht wissen, wo der Bär lauert, können sie ihre Tiere nicht guten Gewissens auf die Weide schicken. Eben das sollen sie aber demnächst - des Tierwohls wegen. Es ist das winterliche Wetter derzeit, das ihnen und ihren Tieren eine Frist einräumt.
Klarheit wird so schnell nicht zu haben sein
Es spricht jedoch nicht viel dafür, dass in naher Zukunft die nötige Klarheit herrschen wird. „Damit haben die Landwirte ein echtes Problem“, sagt Berufsjäger Sepp Hoheneder. Es sei außerdem nicht klar, ob es sich bei dem Bär von Oberaudorf um das Exemplar von Kufstein handele.
Vom Tiroler Bären sei wiederum nicht bekannt, ob er nicht auch schon in die Landkreise Miesbach, Bad Tölz-Wolfratshausen oder Garmisch-Partenkirchen gewandert sei. Stammt der Bär womöglich aus dem Umfeld der Südtiroler Problembären-Familie, der jüngst ein Jogger im Trentino zum Opfer fiel? „Wir wissen nicht mal, ob der Bär schon in irgendeiner Datenbank ist“, sagt Hoheneder. Auch das LfU hat keine näheren Aufschlüsse, wie es mitteilte. Noch während über den Oberaudorfer Bär Rätselraten herrscht, sorgt eine - durch Kamerabeweis gesicherte - Bärensichtung im Lechtal für Unruhe.
Bürgermeister Bernhardt sieht den Bär als Gesamtproblem der Alpenregion
Dass der Bär schwer zu orten ist, sieht auch Oberaudorfs Bürgermeister Matthias Bernhardt. „So ein Bär legt 40, 50 Kilometer am Tag zurück“, sagt er. Für einen so unsteten und konditionsstarken Wanderer sei es kein Problem, an einem Tag durch das Werdenfelser Land und ein paar Tage später durchs Mangfallgebirge zu spazieren. „Das ist kein Oberaudorfer Problem allein“, sagt Bernhardt daher, „das ist ein Problem der gesamten Alpenregion.“ Die Verantwortlichen sollten sich daher zusammensetzen, und zwar schnell.
Der Oberaudorfer Bürgermeister drückt deswegen so aufs Tempo, weil seiner Meinung nach schon viel zu viel Zeit vertan wurde. Seit einiger Zeit kommen Wölfe zu Besuch, nun auch der Bär. Taugen die Raubtiere wirklich als Mitbewohner in der sensiblen oberbayerischen Alpenregion? Ist der nicht mehr vom Aussterben bedrohte Bär für die Umwelt wichtiger als die Biene oder die Biodiversität, die durch die Almwirtschaft überhaupt erst ermöglich wird? „Ich frage mich, warum die gesellschaftliche Diskussion darüber nicht schon längst geführt worden ist“, kritisiert Bernhardt. Jetzt fühle sich die Gemeinde alleingelassen. „Da ist nichts, was wir tun können. Wir als Gemeinde haben keinen Werkzeugkasten, in den wir in einer solchen Lage greifen können.“
Wie sollen die Landwirte ihre Tiere schützen? Das Amt bleibt vage
„Weitergehende Erkenntnisse zum Individuum werden aus der Analyse der genetischen Spuren erwartet“, vermeldet das LfU derweil. Man stehe mit den Sicherheitsbehörden vor Ort in Kontakt. Immerhin: Der Bär verhalte sich „nach den bisherigen Erkenntnissen dem Menschen gegenüber scheu“. Nutztierhalter im Grenzgebiet des Landkreises zu Österreich seien aufgefordert, ihre Tiere „möglichst nachts einzustallen sowie Herdenschutzmaßnahmen zu ergreifen“
Herdenschutznahmen? Hoheneder und Bernhardt schütteln erneut den Kopf. Weil den Landwirten Zeit und Material fehlen. Und weil‘s in den Bergen ohnehin nicht so einfach funktioniert - schon das schwierige bis unwegsame Gelände mache eine Umzäunung so gut wie unmöglich.
Bernhardt muss es wissen, zu seiner Gemeinde gehört das größte aller zusammenhängenden Weidegebiete. Diese reiche Tradition des Almbauerntums sieht er nach 200 Jahren in großer Gefahr - „durch Wolf, Bär und Bürokratie“. Immerhin scheint der bayerische Umweltminister auch extreme Maßnahmen - etwa den Abschuss - nicht mehr ausschließen zu wollen. „Im Ernstfall kommen alle Maßnahmen in Betracht“, betonte Thorsten Glauber (FW) am Donnerstag in München.