Der Wolf: Ein sachlicher Ansatz im emotionalen Diskurs. Teil I unserer Miniserie
Wolfsresolution im Achental: „Eine Lösung ohne Wolf wird es nicht geben, weil die Wölfe einfach da sind.“
In den letzten Jahren gab es viel Geheule um den Wolf – vor allem auch im Achental: Zurecht sagen die Bauernverbände, übertrieben sagen die Naturschützer. Im Minenfeld der verschiedenen Meinungen versuchen die Gemeinden des Ökomodells Achental jetzt einen pragmatischen Ansatz zu etablieren. Sie fordern die bayerische Regierung auf, konkretes und umsetzbares Wolfsmanagement zu ermöglichen. Im ersten Teil unserer Miniserie erfahrt ihr unter anderem ob Wölfe lieber über Zäune springen oder drunter durch kriechen.
Achental/München – Der Wolf ist zurück in Europa. Auch im Alpenraum hat sich der einst fast ausgerottete Räuber wieder angesiedelt. In Ländern wie der Schweiz, Italien oder Slowenien ist er schon länger heimisch und so ist es nicht verwunderlich, dass er manchmal auch durch den Chiemgau zieht.
Wolfssichtung und Wolfsrisse im Achental
So geschehen zum Beispiel am 17. Dezember 2021: Im Ortskern von Bergen trabt am Abend ein Wolf an Schaufenstern vorbei und wird dabei gefilmt. Auch Wolfsrisse an Ziegen und Gehegewild werden in dem Zeitraum gemeldet. Bereits im November 2021 waren sechs Schafe im Ortsteil Anger bei Bergen gerissen worden. Aus Wut auf die Haltung der Politik rund ums Thema Wolf hatte der Bauer die Kadaver an der Kreisstraße aufgebahrt. „Ein Nebeneinander von Tierhaltung im Freien und Großen Beutegreifern ist schlicht und ergreifend nicht möglich“, schließt damals auch Landrat Siegfried Walch (CSU).
Derzeit verunsichern drei nachgewiesene Wölfe bei Garmisch Patenkirchen die Almbauern. Und ein neues Gesetz zur Entnahme von Wölfen unserer Tiroler Nachbarn lässt die Stimmen der Wolfsgegner auch im Chiemgau wieder lauter werden. Besonders im Achental, wo Bauern bereits von Wolfsrissen betroffen waren, ist die Stimmung schnell am Kippen. Laut des bayerischen Landesamtes für Umwelt sind seit dem Wiederauftreten des Wolfes im Landkreis Traunstein zwischen Juni 2020 und Dezember 2021 an insgesamt acht Tagen Wolfsangriffe auf Nutztiere dokumentiert, teils kurz hintereinander von insgesamt drei durch DNA bestimmbaren Wölfen und einem nicht bestimmbaren Wolf.
Betroffene Landwirte: „Da geht es richtig rund.“
Stefan Schneider (Bündnis 90/ die Grünen), Bürgermeister aus Bergen, weiß, wie aufgeheizt die Gemüter nach solchen Vorfällen sind: „Da geht es richtig rund. In Bergen waren ja die sechs Risse von Schafen, das war Allerheiligen (2021). Da waren die Landwirte massiv betroffen. Zwei, dreimal hat auch die Schafhaltervereinigung in Bergen am Parkplatz Demonstrationen gemacht.“ Schneider ist auch Mitglied der Partei die Grünen, die für Artenvielfalt und Naturschutz steht: „Natürlich sitzt man zwischen allen Stühlen, aber ich wäre kein Bürgermeister geworden, wenn ich ein Extremist wäre.“
Appell an die bayerische Staatsregierung
Die neun Mitgliedsgemeinden des Ökomodell Achental e.V., unter anderem auch Bergen, haben eine gemeinsame Resolution zum Thema Wolf verfasst. Ziel sei, die Dringlichkeit und Notwendigkeit für einen sachlichen Umgang mit dem Thema Wolf zu verdeutlichen und die Politik zum Handeln aufzufordern. Am Donnerstag (30. März) wurde der schriftliche Appell an Umweltminister Thorsten Glauber übergeben: „Die Totalentnahme von jedem Wolf, das ist nicht unser Ziel, genauso kann es aber auch nicht sein, jeden Wolf unabdingbar zu schützen“, erklärt Stefan Schneider und betont den Wunsch der Resolution „die Leute wieder an einen Tisch holen zu holen.“
„Lager, die sich sehr extrem gegenüberstehen“
Christoph Bauhofer, der Geschäftsführer des Ökomodell Achentals erklärt, wie die Idee zur Resolution entstanden ist: „Es schwankt ja zwischen den Extremen, von den einen, die so tun als wäre es noch möglich, den Wolf auszurotten, was faktisch nicht mehr möglich ist, weil er so verbreitet ist und den anderen, die so tun, als wäre es doch jetzt nicht so schlimm, wenn der Bauer mal ein paar Kühe verliert, die sollen sich nicht so anstellen.“ Das, so Bauhofer, seien die Lager, die sich sehr extrem gegenüberstehen. Ziel wäre „das mal ein bisschen wieder zu versachlichen und auf den Punkt zu bringen, dass wir uns anrichten müssen, mit dem Wolf zu leben.“
Mit dem Wolf leben – wie soll das gehen? Welche Forderungen stehen in der Resolution und was sagt der Bund Naturschutz dazu? Chiemgau24 hat sowohl mit Paul Höglmüller, dem Verfasser der Resolution als auch mit dem Artenschutzbeauftragen Uwe Friedel vom Bund Naturschutz gesprochen.
„Lösung ohne Wolf wird es nicht geben“
„Eine Lösung ohne Wolf wird es nicht geben, weil die Wölfe einfach da sind.“ Paul Höglmüller sei weder für noch gegen den Wolf und vielleicht war er ja unter anderem genau deshalb der Richtige, um die Wolfsresolution zu konzipieren. Sicherlich ist es auch die Expertise des Marquartsteiners als langjähriger Leiter der Staatsforsten in Ruhpolding, als Almbesitzer und Schafshalter, die ihn befähigt hat ein „angenehm konstruktives und durchdachtes Papier“ zu erstellen. Das Lob kommt vom Artenschutzbeauftragten des Bund Naturschutzes, Uwe Friedel: Man habe „inhaltlich viele Übereinstimmungen mit unserer Sicht, aber auch Differenzen.“
Die Wolfsresolution: Grenzen der Wolfsprävention im Chiemgau
Die Resolution gliedert sich in drei wesentliche Abschnitte: Nach einer Einführung in das Thema und der Darstellung der derzeitigen rechtlichen Lage in Bayern und Europa werden die Grenzen der Prävention gegen Wolfsangriffe in unseren bayerischen Kalkalpen skizziert. Im letzten Teil werden Forderungen zum weiteren Vorgehen an die Entscheidungsträger der Politik gestellt.
Hoffnung auf wolfsfreie Region zwecklos
Einigkeit herrscht bei der Tatsache, dass ein Leben im Chiemgau ohne Wolf nicht mehr möglich sein wird: „Ich glaub von Seiten der Landwirtschaft hat man immer gehofft, wenn man nur energisch genug gegen den Wolf opponiert, dann wird man das vielleicht politisch so steuern, dass es bei uns vielleicht gar nie Wölfe gibt.“ Höglmüller bringt den derzeitigen Stand der Dinge auf den Punkt: „Dadurch, dass es so starke Populationen in Mitteldeutschland und Südeuropa gibt, werden wir als Bayern, die zwischen diesen großen, sich rasant entwickelnden Wolfspopulationen liegen, nicht schaffen, wolfsfreie Zonen zu generieren.“ Entsprechend sei die Profilaxe gegen Wolfsangriffe ein wichtiger Punkt.
Herdenschutz: Zäune im „bewegten Relief“ schwierig
Höglmüller betont in der Resolution aber auch, dass Herdenschutz nicht eins zu eins von unseren Nachbarländern wie der Schweiz transferierbar sei: „Grundsätzlich ist das Gelände bei uns sehr schroff und bewegt. Deshalb ist es schwerer zu zäunen als zum Beispiel oberhalb der Baumgrenze, wie in der Schweiz, wo es mehrere hundert Hektar Matten gibt, die vergleichsweise in sanftem Gelände liegen.“ Der Wolf ginge, so erklären sowohl Höglmüller als auch der Artenschutzbeauftrage, Uwe Friedel, im Normalfall immer unter dem Zaun durch statt über den Zaun, um an die Weidetiere zu gelangen. Deshalb müsse man die unterste Litze eines Elektrozaunes auf maximal 20 Zentimeter Bodentiefe führen: „Das können sie in so einem bewegten Relief, wie bei uns eigentlich auf fast jeder Alm kaum leisten.“
Kleine Almen im Chiemgau – nicht mit der Schweiz vergleichbar
Ein weiteres Problem sei die Kleinteiligkeit unserer Almen. Höglmüller erklärt, dass es bei weitläufigen Almwiesen mit 300 Hektar Fläche wie in Frankreich oder der Schweiz dann auch mal Bereiche von 20 oder 30 Hektar gibt, die nicht einzäunbar seien, aber das spiele dann keine große Rolle. Bei uns im Chiemgau mit einer Weide von insgesamt 10 Hektar würden dann drei Hektar nicht einzäunbarer Bereich sehr ins Gewicht fallen.
Zu wenig Einnahmen für die Einstellung eines Hirten?
Die Geographie und Morphologie unserer Almwiesen ist das eine Problem. Ein anderes ist die Rentabilität unserer vergleichsweise kleinen Schafs- und Rinderherden: „Man muss sich denken, die zweite große Schiene, wie man Herdenschutz betreiben kann, ist Behirtung: In der Schweiz und im italienischsprachigen Raum gab es ohne Unterbrechung immer den Auftrieb von großen Schafherden, die behirtet wurden. Inzwischen ist es so, dem Wolf geschuldet, da hat die Behirtung eine ganze andere Bedeutung, es gibt wesentlich mehr Hirten und auch Betriebe, die keine Hirten hatten, haben jetzt welche angestellt. Warum konnten die das machen? Natürlich weil es wesentlich rentabler ist mit 300 Schafen einen Hirten anzustellen als für zehn.“
Herdenschutzhunde: Eine Gefahr für Wanderer?
Ein anderes, in unseren Nachbarländern oft erfolgreich eingesetztes Mittel zur Abwehr des Wolfes sind sogenannte Herdenschutzhunde. In der Resolution des Achentales wird diese Möglichkeit für unsere Region de fakto ausgeschlossen: „In Gegenden wie in der Schweiz oder in Gargano, da habe ich dann eine riesige Fläche mit einer Schafherde und da ist ein Hirte mit drei Herdenschutzhunden dabei. Wenn ich mich auskenne und die Touristeninformationen gelesen habe, dann mache ich um die Hunde und die Herde einen Bogen. Das ist da einfach, weil die Landschaft das hergibt.“ Bei uns sei, auch wieder durch die Kleinteiligkeit der Almen, gar nicht die Möglichkeit vorhanden, als Wanderer einen entsprechenden Abstand zu Hunden und Herde zu halten.“
Warum sich beim Thema Herdenschutzhunde Uwe Friedel vom Bund Naturschutz und Paul Höglmüller nicht einig sind und wie beide zum Thema Abschuss des Wolfes stehen, erfahrt ihr im zweiten Teil unserer Miniserie zum Wolf.







