Auf Spurensuche im Bad Aiblinger Ghersburgwald
Dem Jäger platzt der Kragen: „Unverbesserliche Hundehalter“ und die Suche nach toten Rehen
Jäger Karl Bauer ist wütend: Wieder ist ein Reh in seinem Jagdrevier einem Hundeangriffen zum Opfer gefallen. Bei einem Einsatz im Wald erklärt er, wie er die Tiere nun schützen will, was die Suche nach einem gerissenen Tier erschwert und warum noch eine weitere Gefahr im Wald lauert.
Bad Aibling – Es regnet in Strömen, als Jäger Karl Bauer durch dichtes Gestrüpp im Bad Aiblinger Ghersburgwald stampft. Mit grünen Gummistiefeln, dunklem Hut und konzentriertem Blick mustert er das durchweichte, matschige Gelände in der Nähe des St. Georg Hotels. Nachdem ihn die Polizei informiert hatte, durchforstet er sein Revier nach einem gerissenen Reh, das einer Spaziergängerin aufgefallen war. „Es muss etwas passieren, damit das endlich aufhört“, sagt Bauer, der als dortiger Jagdpächter für 265 Hektar Wald zuständig ist.
Der 74-Jährige stellt klar: „Der Großteil der Hundehalter hält sich vorbildlich an die Leinenpflicht und nutzt nur die erlaubten Hauptwege im Wald.“ Seine Kritik richtet sich an eine kleine Gruppe „Unverbesserlicher“, die sich respektlos gegenüber der Natur verhalte, so Bauer. Dieser kleine Prozentsatz der Hundehalter sorge immer wieder dafür, dass es zu derartigen Vorfällen kommt. „In den letzten zehn Jahren sind alleine in diesem Revier über 50 Rehe von Hunden angegriffen und gerissen worden“, erklärt er seine traurige Bilanz. Dazu komme eine hohe Dunkelziffer, da viele gerissene Rehe gar nicht gefunden werden.
„In ihnen steckt nun mal der Wolf“
Immer wieder, so der Jäger, gehen unangeleinte Hunde auf Rehe los, versetzen diese in große Panik und verletzten oder töten sie. „Ich mache den Hunden keinen Vorwurf, sie haben den Jagdtrieb und in ihnen steckt nun mal der Wolf“, sagt Bauer. Problematisch sei, dass die wenigen betroffenen Halter die Beschilderungen mit klaren Anweisungen ignorieren. Kommt es zu Angriffen, wird Bauer gerufen und muss entweder das getötete Tier entfernen oder das verletzte Tier von seinen Qualen erlösen. „Entweder man erschießt es dann oder, und darauf bin ich spezialisiert, man muss die Tiere abnicken“, erklärt der Bruckmühler einen gezielten Messerstich ins Genick.
Während Bauer durch den Wald läuft und das tote Reh anhand der Schilderung im Gestrüpp sucht, fallen ihm inoffizielle Pfade auf, die durch Menschen „ertrampelt“ wurden. „Hier dürfte man gar nicht langgehen“, sagt er verärgert und fotografiert Spuren, die auch auf Hufeisen hindeuten. Einige Meter weiter zeigt der 74-Jährige sogar auf von der Stadt aufgestellte Holzabsperrungen, die von Unbekannten einfach geöffnet worden sind. „Hier kommen zum Beispiel viele Mountainbiker hin und errichten sich eigenhändig ihre Trails“, erklärt der Jagdpächter die verbotenen Eingriffe in die Natur.
All dies führe dazu, dass der ohnehin begrenzte Lebensraum der Wildtiere weiter eingeschränkt werde. Bad Aibling stelle hierbei einen Sonderfall dar, da geringe Waldflächen auf überdurchschnittlich viele Freizeitbesucher treffen. Wildunfälle, etwa von Autos überfahrene Rehe, seien so oftmals auch auf Hundeattacken zurückzuführen, da das Wild aus seinem Territorium gejagt werde. Laut Bauer brauche es „mehr Respekt für Wildtiere“. Die Entwicklung sei durch Corona verstärkt worden. „Viele haben sich in dieser Zeit einen Hund angeschafft, damit sie etwa auch während des Lockdowns raus gehen konnten.“
Wenn das gerissene Reh verschwunden ist
Nach fast einer Stunde im Wald – die Beschreibung war zu ungenau –, wird der Jäger fündig. „Hier lag das Reh“, ruft er durch den Wald und zeigt auf die Stelle, an der das Tier aufgefunden wurde. Doch es liegt nicht mehr dort – zumindest nicht in Gänze.
Für den Fachmann ist der Fall dennoch sofort klar. Auf dem Waldboden sind viele helle Haare verstreut, auch kleine Überreste vom Tier inspiziert Bauer. „Das ist ein Stück vom Fell“, sagt er und hält ein haariges Fleischstück in die Luft. Das Reh sei bereits von einem Fuchs zerteilt und – „Schlegel für Schlegel, Schulter für Schulter“ – abtransportiert worden, erklärt der Jäger. Später stellt sich heraus, dass die Spaziergängerin erst einen Tag nach ihrer Entdeckung bei der Polizei angerufen hatte. Deshalb erfuhr Bauer verzögert von dem Fund.
Was kann das Ordnungsamt tun?
Bauer hätte das tote Tier sonst ohnehin auf den „Luderplatz“ gebracht. Eine errichtete Stelle im Revier, an der Wildabfälle für Füchse platziert werden. „Ich lebe in der Gegend, gehe hier drei Mal in der Woche entlang“, erzählt die betroffene Spaziergängerin, die eigentlich Vögel beobachten wollte, im Nachgang. Als sie das tote Reh entdeckte, wurde der ehemaligen Hundebesitzerin klar, dass auch sie nun auf unvernünftige Hundehalter einwirken wolle. „Ich denke, es ist total wichtig, die Leute nicht persönlich anzugreifen, aber ihnen klar zu machen, warum die Vorschriften wichtig sind.“
Ein Ansatz, der Karl Bauer gut gefällt. Gerade weil sich die überwiegende Mehrheit aller Hundehalter richtig verhalte, müsse man auf die Vernunft der übrigen setzen. Denn klar sei: „Die Tiere haben nun mal nur unsere Stimme und wir müssen sie schützen.“ Deshalb hat Bauer gemeinsam mit der Stadt Bad Aibling zahlreiche Schilder aufgestellt, die auf die Leinenpflicht und die Einhaltung der Hauptwege hinweisen. Er wünscht sich jedoch, dass Verstöße endlich auch mit Geldbußen geahndet werden.
Für Aiblings Ordnungsamtsleiter Martin Haas ist klar: „Herr Bauer kämpft für die richtige Sache.“ Er bestätigt die beschriebenen Probleme. Auch deshalb habe man ihn etwa mit der Schilderaktion unterstützt. Allerdings sieht Haas bei allem Verständnis nur eine geringe Chance, die Probleme durch Bußgelder zu minimieren. „Die rechtlichen Möglichkeiten sind tatsächlich beschränkt.“ Grundsätzlich sei das Landratsamt für jagd- beziehungsweise naturrechtliche Fragen zuständig. Die Stadt könnte dagegen etwa bei Verstößen gegen die Leinenpflicht tätig werden. Allerdings stehe man hier meist vor dem Problem, die Verstöße nicht beweisen zu können.
Anzeigen verlaufen meist im Sand
„Selbst wenn der Jäger jemanden auf frischer Tat ertappt und diesen zur Rede stellt, könnte es sein, dass sich dieser nicht ausweist und einfach weitergeht“, so Haas. Anzeigen gegen anonym verliefen dann meist im Sande. Haas bedauert, dass Wildtieren immer weniger Freiräume zur Verfügung stehen. Indes hätten viele Hunde schlicht einen „massiven Jagdtrieb“ in sich, weswegen die Vernunft einzelner Hundehalter gefragt sei.
Laut Aiblinger Satzung herrscht für Hunde über einer Schulterhöhe von 50 Zentimetern Leinenzwang, etwa in öffentlichen Anlagen, Straßen und Wegen. Auch im Bereich Unterheufeld und Ghersburg weisen Schilder darauf hin. „Da es zwischen Februar und Oktober auch Junghasen in Wald, Feld und Wiese gibt, ist es zweckmäßig in diesen Bereichen auch kleinere Hunde anzuleinen“, ergänzt Jäger Bauer. Er berichtet zudem von Problemen im Bereich Heimatsberg, wo derzeit ein großes Baugebiet erschlossen und wodurch auch hier der Freizeitdruck größer werde. „Bereits jetzt wird zwischen einem Wander- und einem Feldweg entlang eines Grabens verbotenerweise die Wiese bis in die Nacht hinein durchquert.“ Sich in der Natur bewusst zu verhalten bedeute jedoch, auf den Hauptwegen zu bleiben.
Landratsamt: Wildernde Hunde dürften erschossen werden
Doch die Ahndung bleibt ein Problem. „Bei Hunderissen handelt es sich um Jagdwilderei und somit um eine Straftat“, macht Michael Fischer, Pressesprecher des Landratsamtes, auf Nachfrage dennoch deutlich. Solche Fälle würden in der Regel von der Polizei an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Sollte diese das Verfahren einstellen, leitet sie den Vorgang zur Verfolgung als Ordnungswidrigkeit an das Landratsamt weiter. „Sobald solche Anzeigen bei uns eingehen, werden die Betroffenen angehört und es kann ein Bußgeld zwischen 150 Euro und 250 Euro verhängt werden.“ Bei wiederholten Verstößen erhöht sich das Bußgeld.
„Grundsätzlich stellt ein unbeaufsichtigt in einem Jagdrevier umherlaufender Hund eine Ordnungswidrigkeit dar“, so Fischer. Wildernde Hunde dürften von den zuständigen Jägern in diesen Fällen erschossen werden. „Hunde gelten als wildernd, wenn sie im Jagdrevier erkennbar dem Wild nachstellen und dieses gefährden können.“ Doch Jäger Bauer ist klar: „Wenn ich einen Hund erschießen würde, auch wenn ich es dürfte, würde es einen riesigen Shitstorm geben.“
Im Landratsamt Rosenheim werden jährlich zwischen fünf und zehn gerissene Rehe zur Anzeige gebracht. Laut der Behörde sind diese Zahlen in den vergangenen Jahren konstant geblieben. Man vermutet jedoch, dass sie nicht der tatsächlichen Anzahl gerissener Rehe entsprechen.
Wie die Polizei mit Anzeigen umgeht
„In dieser Richtung gehen bei uns immer mal wieder Anzeigen ein“, sagt Stefan Sonntag, Pressestelle des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. In der Regel meldeten sich Jäger, die einen freilaufenden Hund gesehen oder vermutet haben bei den örtlichen Dienststellen. Sonntag betont jedoch auch, dass eine Aufklärung meist „schwer bis unmöglich“ sei, da die Fälle im Nachgang kaum zu beweisen sind.



