Willinger Tunnel: Spatenstich vor 25 Jahren
Vom Streit-Projekt zur Rekord-Straße: Über den zähen Kampf um die Bad Aiblinger Südumgehung
Mit einem Aufkommen von rund 17.000 Fahrzeugen pro Tag ist die Bad Aiblinger Südumgehung mit dem Willinger Tunnel laut Staatlichem Bauamt Rosenheim heute die meistbefahrene Staatsstraße im Landkreis. So zäh war das Ringen um den Tunnel, mit dessen Bau vor 25 Jahren nach jahrelangem Streit begonnen wurde.
Bad Aibling - Der 15. Juli 1998 war zweifellos ein historischer Tag in der Stadtgeschichte von Bad Aibling. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, Landrat Dr. Max Gimple und Bürgermeister Dr. Werner Keitz nahmen gemeinsam den ersten Spatenstich für das Projekt vor, das gut zwei Jahre später seiner Vollendung entgegensah.
Der Tunnel war der Knackpunkt
„Der Tunnel war der Knackpunkt“, erinnert sich Keitz noch heute gut an den großen Streit, der dem Bau der Ortsumfahrung vorausging und bereits lange vor seiner Amtszeit begonnen hatte. Bis ins Jahr 1953 reichte der Planungsvorlauf zurück. Den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 1984 brachten 195 Klagen zu Fall.
Rechtsstreit lief über sechs Jahre
Der Rechtsstreit lief über sechs Jahre und endete erst am 16. Juli 1990 vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das bestätigte ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 1989, welches die Planfeststellung aus Lärmschutzgründen kippte.
Der härteste Widerstand kam damals von der Interessengemeinschaft Willing (IGW), der rund 160 Mitglieder angehörten. Sie fürchtete durch den Bau der stadtfernen Südumgehung vor allem eine zusätzliche Lärmbelästigung für ihren Ortsteil und eine Verschandelung des Landschaftsbildes.
Startschuss für rund zweijährigen Dialog
„Ein weiterer Prozessweg erschien mir nicht sinnvoll. Deshalb habe ich versucht, zu eruieren, ob es seitens der Gegner ‚ein ganz klein wenig Verhandlungsbereitschaft‘ gibt“, sagt Keitz, der heute Altbürgermeister ist. Als er entsprechende zarte Signale empfing, war dies der Startschuss für einen rund zweijährigen Dialog, an dessen Ende der Erfolg stand.
Kosten in Höhe von 6,2 Millionen Euro
Die Stadt garantierte der IGW, dass bei der Planung niedrigere Lärmgrenzwerte eingehalten werden, als sie das Gesetz vorsah. Damit verbunden war eine „Tieferlegung der Staatsstraße im Ortsbereich Willing auf circa 450 Metern mit einer 150 Meter langen Überdeckelung zur Wahrung des Ortsbildes von Willing.“ So hielt Hans-Dieter Berg, der damals Leiter des zuständigen Straßenbauamtes war (Anmerkung der Redaktion: Die einst selbstständige Behörde ist heute im Staatlichen Bauamt integriert), die erzielte Vereinbarung fest. Der Tunnel musste laut Berg „wegen des hoch anstehenden Grundwassers im Mangfalltal“ als Trogbauwerk errichtet werden. Einschließlich der Betriebseinrichtungen kostete er 6,2 Millionen Euro.
Das hat der Bürgermeister wirklich gut gemacht
„Das hat der Bürgermeister wirklich gut gemacht“, zollt der ehemalige CSU-Landtagsabgeordnete Sepp Ranner, der in Mitterham lebt und Mitglied der Interessengemeinschaft war, dem SPD-Politiker noch heute Respekt für sein Handeln. Die größte zu überwindende Hürde war nach Auskunft von Keitz die Tatsache, dass es sich um eine staatliche Baumaßnahme handelte und der Staat den 150 Meter langen Tunnel nicht finanzieren wollte. Gleichzeitig habe er aber lange abgelehnt, dass die Stadt dessen Finanzierung übernehme.
200.000 Kubikmeter Boden bewegt
Erst als staatlicherseits der Widerstand aufgegeben worden sei, sei der Weg für dessen Realisierung frei gewesen. Die Aiblinger Südumgehung weist heute eine Gesamtlänge von 7,3 Kilometern auf, das Herzstück ist der Tunnel. In rund vier Jahren Bauzeit für das Gesamtprojekt wurden nach Aufzeichnungen in der von Keitz geführten Stadtchronik 200.000 Kubikmeter Boden bewegt, 30.000 Kubikmeter Beton verbaut und 51.000 Quadratmeter Straßenflächen asphaltiert.
Stadt beteiligte sich mit 9,2 Millionen Mark
Die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 50,9 Millionen Mark (Anmerkung der Redaktion: Die Kostenauflistung in der Chronik erfolgte in D-Mark-Angaben). Für die Baumaßnahmen fielen Ausgaben in Höhe von 40,5 Millionen Mark an, für den Grunderwerb mussten 10,4 Millionen Mark berappt werden. 35,3 Millionen Mark übernahm der Freistaat Bayern, 6,4 Millionen der Landkreis Rosenheim und 9,2 Millionen die Stadt.
Sepp Ranner war wichtig, dass die berechtigten Interessen der Willinger und der Bauern, deren Grundstücke benötigt wurden, berücksichtigt werden. „Ein Trassenverlauf, der unnötig landwirtschaftliche Fläche geteilt hätte, hätte keinen Sinn gemacht“, sagt der ehemalige Kreisobmann des Bauernverbandes rückblickend.
Angesichts der hohen Verkehrsbelastung in diesem Bereich ist der Tunnel bei Bad Aibling sicherlich ein großer Gewinn
Wenn Stefan Leitner, Bereichsleiter Straßenbau des Staatlichen Bauamtes in Rosenheim, auf die aktuellste Verkehrszählung aus dem Jahr 2021 für diesen Abschnitt der Staatsstraße 2078 blickt, ist sein Urteil eindeutig. „Angesichts der hohen Belastung in diesem Bereich ist der Tunnel bei Bad Aibling sicherlich ein großer Gewinn.“ Das tägliche Aufkommen an Fahrzeugen liege mit etwa 17.000 „weit über dem Durchschnitt“ von 4000, den die Behörde für die Staatsstraßen in ihrem Zuständigkeitsbereich ermittelt habe.
„Aiblinger Früchtchen“ und 153 Meter Weihnachtsstollen
Die offizielle Verkehrsfreigabe der Bad Aiblinger Südumgehung, die am 1. Dezember 2000 an der neuen Mangfallbrücke erfolgte, stieß auf reges Interesse der Bevölkerung. Staatssekretär Hermann Regensburger sprach „von einem Meilenstein für Bad Aibling“. Nach der kirchlichen Weihe setzte sich ein Autokorso, angeführt vom Moorexpress, über die neue Straße Richtung Stadtzentrum in Bewegung. Dort wurde das Ereignis mit einem Empfang im Rathaus und der Eröffnung des Weihnachtsmarktes gefeiert. Die Innenstadt war für den Verkehr gesperrt.
Am Weihnachtsmarkt wurde zur Feier des Tages ein 153 Meter langer Stollen angeschnitten. Außerdem wurde den Besuchern ein kostenfreies Heißgetränk serviert, das sich „Aiblinger Früchtchen“ nannte. Das Rezept ist in der Chronik nicht überliefert.
Nicht zuletzt aus diesem Grund nahm das Bauamt von Ende Juli bis Ende Oktober 2019 umfangreiche Sanierungsmaßnahmen in dem Tunnel vor. Unter anderem wurden die Brandschutzvorkehrungen ausgeweitet sowie die Fluchtwege-Kennzeichnung und die Beleuchtung im Tunnel erneuert. „Nach Abschluss der Arbeiten ist der Tunnel wieder auf dem neuesten Stand der Technik, was zu einer erhöhten Verkehrssicherheit innerhalb dieses Abschnittes führt“, resümierte die Behörde damals in einer Pressemitteilung.
Landrat spricht von Schlüssel „für mehr Lebensqualität“
Beim ersten Spatenstich für das Bauwerk bezeichnete Landrat Dr. Max Gimple das Projekt damals „als einen Schlüssel für mehr Lebensqualität im westlichen Landkreis“, der Ministerpräsident ging in seiner Rede auch auf die große Bedeutung ein, die die Maßnahme für den Erhalt des Prädikats Kurort für Bad Aibling habe. Sepp Ranner bringt das aus heutiger Sicht auf einen kurzen Nenner. „Der Tunnel ist ein ganz großer Gewinn, nicht nur für Willing.“
Der Tunnel ist ein Segen für die Stadt
Bürgermeister Stephan Schlier schließt sich dieser Sichtweise an. „Der Tunnel ist nicht mehr wegzudenken und ein Segen für die Stadt.“ Dass die politisch Verantwortlichen vor Ort damals so vorausschauend in die Zukunft geblickt hätten, verdiene großen Respekt. Dies ist nach Überzeugung des Rathauschefs auch der Tenor bei der Stadtbevölkerung. „Ich habe noch nie jemanden gehört, der schlecht über die Südumgehung gesprochen hat.“
Schlier ist allerdings auch bewusst, dass für die größtmögliche Entlastung der Innenstadt vom Durchgangsverkehr die Südspange alleine auf Dauer nicht ausreicht. Deshalb ist seit vielen Jahren die Nordumgehung als logischer Lückenschluss ein Thema, entscheidende politische Weichenstellungen hierfür gibt es allerdings bis jetzt nicht.
Verkehrsplaner legen demnächst Zwischenbericht vor
Einen „weiteren Zwischenschritt“ erwartet Schlier allerdings schon in nächster Zeit - wenn das Büro für Stadt- und Verkehrsplanung (BSV), Dr. Reinhold Baier GmbH mit Sitz in Aachen, seinen aktuellen Zwischenbericht vorlegt. Die GmbH berät die Stadt seit Jahren in Fragen der Verkehrsführung. Schlier geht davon aus, dass der Bau der Nordumgehung auch in der Fortschreibung wieder enthalten ist. „Mich würde es wundern, wenn es diesmal anders wäre.“
Auf der Basis des aktuellen Zwischenberichts müsse die Stadt dann Schlüsse zur weiteren Entlastung der Innenstadt ziehen - auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Rosenheimer Westtangente ihrer Vollendung entgegensehe und sicher Auswirkungen für Bad Aibling mit sich bringe.
Der Bürgermeister erwartet einen insgesamt „schwierigen Abwägungsprozess“, äußert aber eine Vermutung. „Man kann wohl davon ausgehen, dass sich am Schluss eine Nordspange als die einzig sinnvolle Lösung herausstellen dürfte, um möglichst viel Verkehr aus der Innenstadt zu verbannen.“
