Runder Tisch mit Experten
Attraktivere Innenstadt? Hier sehen die Aiblinger Unternehmer die größten Probleme
Gemeinsam für eine attraktivere Innenstadt – das ist eine der Zielsetzungen, die sich das Bad Aiblinger Stadtmarketing auf die Fahne geschrieben hat. Bei einem runden Tisch im Rathaus sprachen lokale Unternehmer jetzt darüber, wo sie der Schuh drückt.
Bad Aibling – Im Leerstand vieler Ladenflächen sehen Aiblinger Geschäftsleute neben der aktuellen Baustelle eines der größten Probleme der Innenstadt – auch wenn Stefan Müller-Schleipen, Geschäftsführer der Initiative „Die Stadtretter“, der Kurstadt in seinem Impulsreferat zuvor bescheinigt hatte, dass er Situation als „gar nicht mal so schlecht“ im Vergleich zu anderen Innenstädten sehe.
Als einen möglichen Lösungsansatz empfahl der Experte die Online-Plattform „LeAn“ (Leerstand anpacken und Ansiedlung steuern). Dieses digitale Angebot hat das Institut für Handelsforschung (IFH) Köln zusammen mit 14 deutschen Modellstädten unterschiedlicher Größe in dem Projekt „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“ erarbeitet. Dort können unter anderem Leerstände erfasst und interessierten Nachnutzern präsentiert werden. In diesem Zusammenhang kritisierte der Referent auch die Homepage der Stadt: „Die holt mich als Bürger nicht richtig ab.“ Bürgermeister Stephan Schlier merkte an, dass eine neue Version derzeit in Arbeit sei und im Herbst online gehe.
Auch dafür legte Müller-Schleipen der Stadt dringend die Entwicklung eines Zielbildes ans Herz. Dieses sei wichtig, damit alle darauf hinarbeiten und dieses gemeinsam umsetzen können, beispielsweise die Weiterentwicklung unter dem Slogan „Die gesunde Stadt“, die Stadtrat Thomas Geppert ins Spiel gebracht hatte.
Bürger vermissen Postdienstleistungen in der Innenstadt
Die Post als Frequenzbringer ist aus der Innenstadt verschwunden. Ein Problem, das so gut wie jede Kommune habe, bestätigte Stefan Müller-Schleipen. Eine Einzelhändlerin bekommt das täglich zu spüren: „Ich bin die einzige, die hier noch Briefmarken verkauft - für 1500 Euro im Monat!“ Die Kunden vermissten aber die fußläufigen Postdienstleistungen generell. Ihr Vorschlag, „die Damen der Stadtbücherei könnten Marken verkaufen und Pakete annehmen. Das wäre ein guter Service und eine kleine Geschichte. Doch es wurde alles abgeschmettert, totgeredet, nichts gemacht“, machte sie ihrem Unmut Luft. Dazu der Verkehr, die Großbaustelle und das Gerüst direkt vor ihrem Geschäft im Rathaus: „Ich höre den ganzen Tag nichts anderes. Die Baustelle ist für jeden Einzelhändler frustrierend. Es hängt hier an so vielen kleinen Sachen. Man resignier. Ich mache nichts mehr für die Stadt Bad Aibling.“
Briefmarkenverkauf oder Paketannahme kommen für Bürgermeister Stephan Schlier nicht in Frage. Hingegen schwebe ihm das Bahnhofsgebäude als Ankerbetrieb für die Post vor. Vom Anforderungsprofil her sei eine Umsetzung jedoch „nicht ohne“.
„Nehmen Sie die Bürger mit ins Boot. Deren Kreativität wird oft unterschätzt“, gab der Redner den Versammelten mit auf den Weg: „Versuchen Sie, sie zum Mitmachen zu motivieren, hier schlummert viel ungenutztes Potenzial.“ Fulda habe zum Beispiel versprochen, die drei besten Ideen aus der Bürgerschaft für die Innenstadt umzusetzen. Ein über 40-Jähriger habe dort ein Tanzcafé gefordert, ein 80-Jähriger habe sich angeschlossen, die Stadt habe ihr Versprechen gehalten, das Tanzcafé kam ebenso wie eine Pop-Up-Konzertbühne. In Starnberg sei ein leerer Kirchplatz mit lauter blauen Stühlen bestückt worden, die bald zu wenig waren. In Wien wiederum seien auf Parkplätzen Grillplätze oder „Klassenzimmer“ errichtet worden.
Ein weiterer Finger in der Wunde ist das Thema Verkehr, wie sich unter anderem an der Kritik einer Geschäftsfrau am Marienplatz zeigte. Hier war Müller-Schleipen die „undefinierte Verkehrsführung“ aufgefallen. Je weniger Verkehrsaufkommen, um so eher könne man den Bürgern anbieten: „Nehmt Platz und macht was draus.“ Eine autoärmere Stadt sei ein Gewinn für alle: „Machen Sie es als Probelauf“, empfahl er den Entscheidungsträgern.
Eine Unternehmerin berichtete aus ihren Urlaubserfahrungen von „extrem verkehrberuhigten Zonen“ in aus Dänemark: „Da gab es zwei riesige Sandkästen mitten in der Fußgängerzpne, Treppen am Wasser, auf denen sich gefühlt 300 Jugendliche tummelten, da hat man sich gerne aufgehalten. Bei uns muss man aufpassen, dass man nicht zusammengefahren wird.“
Ein Unternehmer, der in Kürze ein Geschäft an der Kirchzeile aufmachen wird, hat diese Beobachtung auch bereits gemacht. „Mindestens zehn Mal habe ich Menschen mit Rollator oder schwerer Behinderung gesehen, die nicht mal auf die andere Straßenseite kommen. Hier herrscht aktiver Bedarf, etwas zu ändern.“ Ein weiterer pflichtete ihm bei: „Wir sprechen immer wieder die gleichen Themen an.“ Ein anderer meinte: „Wozu haben wir Tempo 20 im Zentrum? Ich habe noch nie einen Blitzer in der Rosenheimer Straße gesehen. Ich habe schon überlegt, selber einen Zebrastreifen aufzumalen.“
„Die letzten 40 Jahre wurde Stadtplanung für Autos gemacht“
Zur Anregung einer weiteren Rednerin, im Zentrum nur noch Ziel- und Quellverkehr zuzulassen, erklärte Bürgermeister Schlier: „Zumachen ist rechtlich nicht möglich, weil wir noch keine Umfahrung haben.“ Müller-Schleipen merkte an: „Die letzten 40 Jahre wurde Stadtplanung für Autos gemacht“ und zeigte sich überzeugt, dass man vieles neu denken müsse, auch für Menschen mit Rollator und jene, die das Auto zuhause stehen lassen würde, wenn sich die Verhältnisse änderten. Dazu gehöre die Digitalisierung des Warenangebots des Einzelhandels und auch die Frage, ob die Kommune vielleicht einen eigenen lokalen Lieferdienst brauche.
Einige Gewerbetreibende wünschte sich mehr Aktivität und Sichtbarkeit des Stadtmarketings, monierten, dass eine ganze Reihe gar nichts von der Einladung zum runden Tisch gewusst hätten. Schlier betonte, die an diesem Abend aus dringendem Grund kurzfristig verhinderte Stadtmarketing-Chefin Teresa Jancso habe ihr Amt im Oktober angetreten und habe zunächst den Auftrag gehabt, sich zunächst nur auf den neuen Christkindlmarkt am Irlachweiher zu konzentrieren.
Für das Innenstadtleben habe Jancso bereits eine ganze Reihe an kreativen Ideen, mit den Gewerbetreibenden beratschlagt werden sollten. Dies soll bei einem zweiten Termin stattfinden. Müller-Schleipen bekräftigte: „Ein ,Innenstadt-Kümmerer“ ist essentiell. Ohne geht es nicht. Aber dieser benötigt Vorlauf. Innenstadtveränderung ist kein Prozess, der sich von heute auf morgen vollzieht.“