Defizite bei Romed und Co.
Alarmstufe Rot in Rosenheim und bei Nachbarn: Wie krank sind unsere Krankenhäuser?
Das Romed-Defizit schlug hohe Wellen. Doch den Nachbarn geht‘s nicht besser. Jüngste Ausblicke in Traunstein und Mühldorf lassen die Alarmglocken schrillen. Und das bayerische Gesundheitsministerium sieht das Gesundheitswesen gegen die Wand fahren – so wird die Krankenhaus-Krise zum Politikum.
Rosenheim – Ein Landrat schlägt Alarm, so laut, dass es noch weit jenseits der Landkreis-Grenze zu hören ist. Das Klinik-Defizit werde Folgen für die Menschen in der Region haben, sagte Mühldorfs Landrat Max Heimerl, es drohe eine „kommunale Haushaltskrise“. Heimerl macht auch gleich deutlich, welche Konsequenzen das Mega-Minus vom Inn-Klinikum haben könnte. Beispielsweise auf den öffentlichen Personen- und Nahverkehr. Das 49-Euro-Ticket ist nach Heimerls Worten in ernsthafter Gefahr: „Wenn es der Bund nicht mehr zu 100 Prozent finanziert, sondern die Kommunen mitfinanzieren müssen, endet das Deutschland-Ticket am 31. Dezember.“ Denn die Kommunen sind klamm. Sehr klamm.
Rosenheim kein Einzelfall: Katastrophenstimmung bei den Nachbarn
Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, hohe Inflation, Energiepreise, die Demographie-Delle auf dem Arbeitsmarkt: Für die Kliniken in der Region Rosenheim und den Nachbarlandkreisen braut sich so etwas wie ein Sturm zusammen. Zunächst leuchteten in Rosenheim die Warnlampen.
Dort hatte Romed-Geschäftsführer Dr. Jens Deerberg-Wittram zunächst von 23,5 Millionen Euro Defizit gesprochen. In einer Aufsichtsratssitzung kurz darauf war dann die Rede von bis zu 29,5 Millionen Euro minus. Und jüngst nannte SPD-Fraktionschef Abuzar Erdogan vorm Rosenheimer Stadtrat sogar von Insidern durchgesteckte Schätzungen von bis zu 40 Millionen Euro. Erdogan sprach von „Salamitaktik“.
Harte Angriffe auf Romed: Wahlkampf lässt grüßen
Dass sich in der Politik der Ton verschärft, könnte freilich nicht nur mit dem Defizit, sondern auch mit dem Wahlkampf zusammenhängen. Am 8. Oktober wird in Bayern der Landtag gewählt. Dafür bringt sich mancher offenbar in Stellung. Auch der AfD-Landtagsabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Andreas Winhart aus Bad Aibling. Er sieht in dem „Rekorddefizit“ der Romed-Kliniken einen klaren Hinweis auf „Missmanagement der vergangenen Jahre“.
Die Personalknappheit, die nicht zuletzt durch die „hausinternen, verschärften Corona-Maßnahmen“ ausgelöst worden sei, presseöffentliche Rechtsstreitigkeiten sowie „betriebswirtschaftliche Fehlentscheidungen“ trugen dazu bei. Zu den falschen wirtschaftlichen Weichenstellungen zählt Winhart die Schließung der Geburtshilfestation in seinem Wohnort Bad Aibling. Denn die sei „gewinnpositiv“ gewesen, sagt Winhart.
Im Gegensatz dazu hatte die Romed-Führung das Aus stets mit Qualitätsproblemen und der Schwierigkeit begründet, ausreichend qualifiziertes Personal für die Station zu gewinnen. „Gewinnpositiv“ war die Station im übrigen auch nicht – sie konnte nur aufgrund von Ausgleichszahlungen des Freistaats für kleinere Stationen ausgeglichen wirtschaften.
Die Nachbarn haben ähnlich hohes Minus wie Rosenheim
Rosenheim ist augenscheinlich weder Einzelfall noch Ausreißer nach unten. Die Inn-Kliniken mit den vier Standorten in Mühldorf, Burghausen, Haag und Altötting gingen bislang von 22,5 Millionen Euro aus, nun könnte das Minus noch auf über 30 Millionen anwachsen. Allerdings wiegt die Last für die Kommune vergleichsweise schwerer als für Rosenheim Stadt und Landkreis: Im Landkreis Mühldorf wohnen 115.000 Menschen, im Landkreis Altötting nur 110.000, macht nur etwas mehr als zwei Drittel der 325.000 Menschen in Stadt und Landkreis Rosenheim.
Auch in Traunstein sorgt man sich. Dort geht es um die Zahlungsfähigkeit und die Zukunft der Kliniken Südostbayern (KSOB). Ein Defizit von über 26 Millionen Euro droht dem Klinikverbund in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land heuer im schlimmsten Fall. Traunsteins Landrat Siegfried Walch spricht von einer „Bedrohungslage“ und will seine Kommune mit zwei millionenschweren Deals aus der Bredouille holen. Der Plan: Die Gebäude und Grundstücke der Krankenhäuser in Freilassing und Ruhpolding sollen verkauft und jene Bereiche, die man für den Klinikbetrieb noch braucht, wiederum gemietet werden. Knapp 20 Millionen wollen die Kliniken damit erlösen und damit das Defizit im einstelligen Millionenbereich halten.
Derzeit werden die Marktpreise für die Immobilien in Freilassing und Ruhpolding ermittelt. Außerdem suchen die Kliniken nach Kauf-Kandidaten. Infrage kommen die beiden Gesellschafter der KSOB, also die Landkreise Berchtesgadener Land und Traunstein.
Was tun Stadt und Landkreis Rosenheim? Abwarten bis Oktober
Stadt und Landkreis Rosenheim wollen sich weiterhin weder an den Spekulationen über die mögliche Höhe des Romed-Minus beteiligen noch laut über Maßnahmen angesichts der Millionen-Last nachdenken. Im Oktober will man sich bei einer Zusammenkunft des Aufsichtsrats über mögliche Konsequenzen Gedanken machen. Doch handelt es sich dabei nicht um eine außerordentliche Sitzung, einen „Krisengipfel“ – der Termin für Oktober ist turnusgemäß angesetzt.
Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März und Landrat Otto Lederer (beide CSU) hatten in den vergangenen Wochen der Öffentlichkeit gegenüber kein Hehl daraus gemacht, dass sie die Verantwortlichkeit für das Defizit-Desaster beim Bund sehen. Die Krankenhäuser seien generell unterfinanziert, Corona und die jüngsten Krisen haben, das sehen auch Experten so, Strukturmängel lediglich sichtbar gemacht.
Nicht nur in Rosenheim: „Es krankt im System“
Eine Ansicht, die das bayerische Gesundheitsministerium teilt. Viele Kliniken kröchen „finanziell auf dem Zahnfleisch“, da die Energie- und Sachkosten nach Angaben der bayerischen Krankenhaus-Gesellschaft (BKG) massiv gestiegen sind. Diese Kostensteigerungen werden vom Bund, beziehungsweise den Krankenkassen nicht ausreichend ausgeglichen.
Die Bundesregierung habe mittlerweile Hilfen in Höhe von bis zu 6 Milliarden Euro für die Krankenhäuser bundesweit freigegeben. „Diese Mittel reichen aber im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser nicht aus“, sagte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber dem OVB. „Die Krankenhäuser können die Kostensteigerungen nicht in vollem Umfang refinanzieren, da Erlössteigerungen gedeckelt sind.“ Nach der Defizituhr der BKG machen die Krankenhäuser im Freistaat insgesamt knapp 143.000 Euro Verlust – in jeder Stunde des Tages.
Die Folgen sind dramatisch. Das Gesundheitsministerium des Freistaats spricht auch von einem „Alarmsignal“ und beruft sich auf eine frische Erhebung des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). Demnach sehen 69 Prozent der Kliniken ihre Existenz kurz- und mittelfristig gefährdet, fast kein Krankenhaus kann seine Ausgaben aus den laufenden Einnahmen decken. „Das heißt: Nicht nur die Krankenhäuser hier vor Ort haben starke finanzielle Schwierigkeiten; es krankt im System.“