Romed-Geschäftsführer im OVB-Interview
Kliniken in Schieflage - Romed-Chef warnt: So kann‘s nicht bleiben
Steht die Gesundheitsversorgung in der Region Rosenheim vor dem Kollaps? Romed-Chef Dr. Jens Deerberg-Wittram sagt im OVB-Exklusivinterview, wie krank das Gesundheitssystem ist, wie groß die Corona-Löcher im Etat sind und wie es mit der Versorgung in der Region dennoch weiter klappen kann.
Rosenheim – Mehr und mehr geraten die Krankenhäuser in Deutschland in Schieflage. Auch in der Region Rosenheim: Von 23,5 Millionen Euro Minus geht Romed-Geschäftsführer Dr. Jens Deerberg-Wittram aktuell aus. Rote Zahlen, die Stadt und Landkreis Rosenheim als Träger nur begrenzte Zeit schultern können. Warum Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit Schließungsplänen trotzdem nur teilweise recht hat und wie sich der Corona-Schock auch auf die Region auswirken kann, schildert Jens Deerberg-Wittram im OVB-Exklusiv-Interview.
Es häufen sich die Nachrichten von Kliniken in Schieflage. Wie nehmen Sie das wahr?
Dr. Jens Deerberg-Wittram: Ja, fast alle Kliniken sind seit der Covid-Pandemie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Kürzlich unterhielt ich mich mit Klinikgeschäftsführern aus anderen Ländern. Ein Kollege aus Boston erzählte mir, dass seine Krankenhäuser im letzten Jahr einen Verlust von 500 Millionen Dollar gemacht haben. Das sind die Dimensionen, die wir nur von strauchelnden Großkonzernen kennen. Auch in Deutschland gibt es schon Krankenhäuser, die dreistellige Millionenverluste machen. So wie es im Moment ist, kann es nicht funktionieren.
Wie groß ist das Minus im Romed-Verbund?
Deerberg-Wittram: Wir haben eine Planung mit minus 23,5 Millionen Euro ausgegeben. Wie viel es genau wird, kann ich noch nicht vorhersagen. Es ist jedenfalls eine Dimension, die wir so nicht kennen. In den vergangenen Jahren vor und während der Covid-Pandemie hatten wir immer positive Ergebnisse. Auch wenn die Gewinne nicht groß ausfielen, waren wir zufrieden, wenn wir jedes Jahr so zwischen 2 und 6 Millionen erwirtschaftet haben. Dieses Geld haben wir dann auch immer schnell investiert, etwa für eine bessere Ausstattung oder den Ersatz kaputter Geräte. Zusätzlich haben wir natürlich Förderungen unserer Träger und des Freistaats bekommen. Krankenhäuser können sich bei jährlichen Gewinnen zwischen 5 und 10 Prozent selber tragen. So sollte es idealerweise sein. Und jetzt der tiefe Fall nach dem Corona-Wahnsinn.
Was heißt das?
Deerberg-Wittram: Laut aktueller Umfragen haben neun von zehn öffentlichen Krankenhäusern 2022 Verluste gemacht. Für 2023 sind die Prognosen noch düsterer. Welche Konsequenz das hat, hängt in erster Linie vom Träger ab. In München planen die städtischen Kliniken mit einem Defizit von 90 Millionen Euro. Da springt die Stadt ohne Klagen ein. Einfach, weil das Geld da ist und die Politik dem Erhalt der Krankenhäuser einen so hohen Stellenwert beimisst. Wenn Sie einen erfolgreichen Autohersteller in ihrer Region haben, dann können Sie die hohen Kosten der Krankenhäuser durch hohe Gewerbesteuereinnahmen leicht ausgleichen.
In Rosenheim aber werden dicke Autos eher gefahren als hergestellt...
Deerberg-Wittram: Genau. Für unsere Träger, Stadt und Landkreis, ist ein zweistelliges Millionendefizit, das über Jahre besteht, nicht tragbar.
Liegt das alles an Corona, oder spielen auch die Energiepreise eine Rolle?
Deerberg-Wittram: An erster Stelle steht das Thema Personalmangel in den Bereichen, die für die Patientenversorgung besonders wichtig sind, also auf den Intensivstationen, im OP und in einigen Funktionsbereichen. Da werden wir von der demografischen Welle voll erwischt. Es gehen mehr Mitarbeiter in Ruhestand als wir nachbesetzen können. Und die Produktivität ist auch noch längst nicht auf dem Stand der Vor-Coronazeit. Wir haben immer wieder erhöhte Krankenstände, und in vielen Bereichen zwingen uns gesetzliche Vorgaben zu einem ineffizienten Personaleinsatz.
Und an zweiter Stelle?
Deerberg-Wittram: Auch wir bei Romed verzeichnen wie fast alle Krankenhäuser in Deutschland einen Rückgang der stationären Fälle. Das sind im Durchschnitt etwa 15 Prozent weniger als im Jahr 2019, also vor Corona! Die Gründe sind gemischt: Einige Patienten gehen heute mit ihren Problemen nicht mehr ins Krankenhaus. Während Corona durften wir zeitweise Patienten mit geplanten Eingriffen nicht behandeln. Die sind dann in ambulanten OP-Zentren versorgt worden, und da gehen sie dann auch heute noch hin. Also die Abwanderung in den ambulanten Bereich. Manchmal werden Behandlungen auch aufgeschoben oder sogar ganz aufgegeben, weil die Patienten Angst vor Wartezeiten und ständigen Terminänderungen haben.
Es gibt keine Nachholeffekte?
Deerberg-Wittram: Die gab es in einzelnen Bereichen, und manche Fachklinik hat auch davon profitiert. Bei den großen Allgemeinkrankenhäusern gibt es aber insgesamt einen klaren Rückgang der Fälle. Im ersten Corona-Jahr 2020 waren es 13 Prozent weniger, 2021 dann schon 14 Prozent. 2022 fühlte sich für uns eigentlich schon etwas entspannter an als die Vorjahre. Da waren es aber deutschlandweit sogar 15 Prozent weniger Krankenhausfälle. Bei Romed waren es im letzten Jahr 17 Prozent weniger stationäre Fälle als noch 2019.
Ist eine Trendwende in Sicht?
Deerberg-Wittram: Glücklicherweise steigen die Fallzahlen in diesem Jahr wieder. Unser Problem ist aber die Vorhaltung von Ressourcen. Wir müssen trotz niedrigerer Fallzahlen alle kritischen Bereiche wie die Notaufnahmen voll einsatzfähig halten. Als die einzigen Notfallversorger der Region Rosenheim müssen wir zu jeder Tages- und Nachtzeit auch auf einen großen Ansturm vorbereitet sein. Wenn zum Beispiel eine Hitzewelle den Menschen zu schaffen macht, müssen wir an vier Standorten alle Notfälle versorgen können. Damit ist aber ökonomisch der Großteil unserer Kosten zementiert. Wir können unsere Kosten nicht kurzfristig an eine geringere Nachfrage anpassen. Wenn sie bei 300 Millionen Euro Umsatz 15 Prozent weniger Umsatz machen - dann fehlen 45 Millionen. Zwei Millionen sind Energie, fünf Millionen Inflation und so weiter, kommen da dann noch obendrauf.
Energie spielt gar nicht die ganz große Rolle?
Deerberg-Wittram: Im Verhältnis nicht so sehr. Wir haben den großen Vorteil, dass wir schon seit langem ein sehr gutes Energiemanagement haben. Allein in den letzten Jahren haben wir 30 Prozent eingespart. Das RoMed Klinikum Rosenheim wurde kürzlich als Green Hospital Plus von unserem Gesundheitsminister und vom Umweltminister ausgezeichnet. Da kann ich mich nur vor meinen Kollegen in der Technik dankbar verneigen.
Hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit seinem Reformprojekt recht?
Deerberg-Wittram: Minister Lauterbach sagt, wir hätten in Deutschland schon immer zu viele Krankenhäuser. Aus seiner Sicht zeigt die aktuelle wirtschaftliche Krise, dass ein Drittel der Krankenhäuser einfach weg müssten. Mit weniger Krankenhäusern gäbe es für die verbleibenden dann mehr Geld und mehr Personal. Allerdings sagt Minister Lauterbach auch, dass etliche Häuser pleitegehen würden, unabhängig davon, ob sie gute Qualität bieten oder notwendig für die Versorgung sind!
Das hängt vom Träger ab.
Deerberg-Wittram: Eben. Und deswegen ist das für einen Bundesminister eine unhaltbare Aussage.
Wie viel Geld bräuchten Sie im Moment für Sanierungsarbeiten?
Deerberg-Wittram: Bayern hat im vergangenen Jahr 639 Millionen Euro für Investitionen in Krankenhäusern ausgegeben. Das ist im Bundesvergleich viel. Bei 410 Krankenhäusern sind das aber auch nur eineinhalb Millionen pro Haus. Fünf bis zehn Prozent des Umsatzes sind nötig, damit ein Krankenhaus vernünftig investieren kann. Es müssen Instandhaltungen getätigt werden, neue Techniken angeschafft werden, und alle paar Jahrzehnte ist auch mal ein Neubau nötig. Für uns wären das also jährlich 15 bis 30 Millionen, damit wir perfekt finanziert wären. Davon kann bei 640 Millionen für 410 Häusern natürlich keine Rede sein. Krankenhäuser sind unterfinanziert. So werden sich auch in Bayern leider nicht alle halten können.
Also doch Schließung, wie Lauterbach sagt.
Deerberg-Wittram: Ich bin hin und hergerissen. Aus den vergangenen Jahren sind mir zwei große politische Entscheidungen in Erinnerung, bei denen ich falsch gelegen bin. Die eine war der Ausstieg aus der Atomkraft, die andere das Ende der Wehrpflicht und der Abbau von Bundeswehrstandorten. Beide Entscheidungen leuchteten mir im Kontext ihrer Zeit, also dem Unglück von Fukushima und dem Ende des kalten Krieges, absolut ein. Und in beiden Fällen lag ich falsch. Weil sich Rahmenbedingungen ändern können. Meine Sorge ist, dass bei den Krankenhäusern die gleichen Fehler gemacht werden wie bei den Kasernen.
Inwiefern?
Deerberg-Wittram: Es gibt immer mehr alte, kranke Menschen. Die Mobilität wird immer teurer, und die Leute brauchen einfach eine kompetente und wohnortnahe Versorgung. Wir haben ein unheimlich hohes Durchschnittsalter in der Region. Mit das höchste in Bayern. Wir sehen auch, dass es bei uns nicht überall gute Bus- und Bahnverbindungen gibt. Deswegen halte ich es für möglich, dass wir in 20 Jahren so manche Krankenhausschließung als falsche Entscheidung ansehen werden.
Wir können es uns nicht leisten, wir können es nicht aufgeben.
Deerberg-Wittram: Unser wichtigstes Ziel ist und bleibt die exzellente und zuverlässige Versorgung der Menschen der Region. Dem ordnen wir alles unter. Aber wirtschaftlich ist unsere aktuelle Situation nicht lange durchzuhalten. Wir werden deshalb zusammen mit unseren Führungskräften Maßnahmen beschließen, die uns helfen wirtschaftlich besser zu werden. Wir machen das umsichtig, und wir werden hinsichtlich der Versorgungsqualität keine Kompromisse machen. Landrat Lederer, Oberbürgermeister März und der ganze Aufsichtsrat der Romed Kliniken wollen die bestehenden Strukturen in der Region, wenn es irgendwie geht, aufrechterhalten. Wir ziehen bei Romed da alle an einem Strang.
Ist unser Krankenhaustyp ein Auslaufmodell?
Deerberg-Wittram: Wir haben in weiten Teilen ein Versorgungsmodell, das unheimlich viel qualifiziertes Personal erfordert. Viele Betten, Schichtsysteme, Personaluntergrenzen, Hintergrunddienste und so weiter. Dieses Modell ist im Kern seit dem Mittelalter unverändert, und es kippt in Zeiten des Fachkräftemangels. Wir müssen wieder dahin kommen, wo wir vor der Ära der Krankenhäuser mal standen: nämlich, dass die Menschen, die zu Hause eine stabile Pflege- und Versorgungssituation haben, sich dort auch behandeln lassen.
Kann man für diese Art von Hausaufgabe medizinische Standards garantieren?
Deerberg-Wittram: Mit Hilfe der Telemedizin und modernen Sensoren haben wir da ganz neue Möglichkeiten, die in einigen Ländern schon genutzt werden. Wir können nicht einfach 25 Millionen Euro sparen und dabei alles beim Alten belassen. Wir brauchen eine Mischung aus Sparen, einem effizienteren Einsatz von Personal und vielleicht auch der Schließung einzelner Abteilungen. Wir müssen aber vor allem die Kraft finden, um in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit zu investieren. In neue Versorgungsmodelle. Damit wir in zehn Jahren sagen können: Die Pandemie war nicht nur ein Schock, sondern sie war auch der Beginn für ein neuen und nachhaltigen Versorgungsangebot für die Menschen unserer Region.