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Eines der ersten Frühchen im Perinatalzentrum

Finger so dünn wie die Mine eines Kugelschreibers: Mutter aus Neubeuern berichtet über Frühgeburt

Bei der Geburt war Stefanie Furtner so groß wie drei Stück Butter, sagt ihre Mutter Elisabeth Paul.
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Bei der Geburt wog Stefanie Furtner so wenig wie drei Stück Butter, sagt ihre Mutter Elisabeth Paul.

Stefanie Furtner war eines der ersten Frühchen im Rosenheimer Perinatalzentrum. Ärzte versorgen dort Früh- und Neugeborene. Seit 30 Jahren gibt es das Zentrum. Zum Jubiläum berichtet Furtners Mutter, Elisabeth Paul, von den vielen Wochen auf der Station. Ein Leben neben dem Brutkasten.

Neubeuern – Elisabeth Paul (60) aus Neubeuern hatte mit Ende 20 eine Totgeburt. In der 30. Woche verstarb ihr Kind noch im Mutterleib. Ein Jahr später wurde sie erneut schwanger. Und wieder veränderte die 30. Woche ihr Leben. Sie war für eine Untersuchung beim Arzt. „Er hat gesagt, dass mein Kind nicht mehr richtig versorgt ist“, berichtet die Mutter. Ihre Tochter sei zu klein für das Alter gewesen und wäre fast verhungert.

Kaiserschnitt statt Verlegung nach München

Um das zu verhindern, kam Elisabeth Paul ins Rosenheimer Krankenhaus. Dort wollten die Ärzte eine Doppler-Untersuchung machen, berichtet sie. Nach Angaben auf der Webseite des Berufsverbands der Frauenärzte kann durch eine Dopplersonografie die Blutversorgung des ungeborenen Kindes gemessen werden. 

„Das Gerät war da, aber nicht angeschlossen“, sagt Paul. Sie hätte für die Untersuchung nach München verlegt werden müssen. Doch der Chefarzt habe das als zu riskant empfunden und entschieden, das Kind sofort zu holen. Am 14. Februar 1992, sieben Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Ein bis zwei Stunden habe der Kaiserschnitt gedauert. Genau kann sich Paul nicht mehr erinnern.

760 Gramm hat Stefanie Furtner bei der Geburt gewogen. Sie war 30 Zentimeter groß.
Stefanie Furtner in dem Inkubator, in dem sie nach ihrer Geburt überwacht wurde.

Einen Moment wird sie aber wohl nie vergessen: Als sie aus der Vollnarkose aufwachte und das erste Polaroid-Foto ihrer Tochter gesehen hat. Sie lag in einem Brutkasten. 760 Gramm schwer, 30 Zentimeter groß. Ein Gewicht von 3000 bis 4000 Gramm ist laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung normal.

Die Ärzte legten dem Baby einen Katheter, ein Medikamenten-Zugang von der Armbeuge bis zum Herzen und eine Nasensonde für die Ernährung. „Es war alles so klein“, sagt Paul. „Dass man da überhaupt Zugänge legen kann.“ Am Nachmittag sei sie dann das erste Mal vor dem Inkubator gestanden. Vor ihr lag ein Kind einer Windel für Neugeborene. „Die war so groß wie ein Taschentuch.“ Jede Windel wogen die Schwestern. Um festzustellen, wie viel die Kleine ausgeschieden habe.

So schwer wie drei Stück Butter

Die Mutter streicht mit ihren Fingern über die Fotos in dem Album, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Sie beschreibt, wie ihre Tochter ausgesehen hat: Finger, so dünn wie die Mine eines Kugelschreibers, Oberschenkel wie ein Zeigefinger und ein Kopf wie ein Tennisball. Jeden Gegenstand habe sie mit ihrem Kind verglichen. Drei Stück Butter, so viel hat sie gewogen.

Ein Vergleich, der auch für Stefanie Furtner etwas bedeutet. Im Grundschulalter habe sie erfahren, dass sie zu früh auf die Welt gekommen ist. Ihre Mutter habe ihr dann drei Stück Butter in die Hand gelegt. Da sei ihr klar geworden, wie klein sie gewesen war. „Dass ich lebe, war nicht sicher“, sagt Furtner heute. Ihre Mutter nickt und ergänzt: „Man weiß nie, wie es ausgeht, und hofft natürlich.“

Elisabeth Paul und ihr Mann Josef als sie ihre Tochter das erste Mal halten.

Denn es bestand die Gefahr einer Gehirnblutung. Und das Baby hatte Risse in der Lunge. Doch es ging alles gut aus. Zwei Wochen nach der Geburt durfte die kleine Stefanie das erste Mal aus dem Inkubator. „Das war ein gutes Gefühl“, sagt Paul. Die Schwestern hatten ihre Tochter in ein Handtuch gewickelt. Sie habe einen Puppen-Overall getragen, etwas anderes habe ihr nicht gepasst.

Die Mutter spricht von einer „intensiven Zeit“. Sie konzentrierte sich nicht auf das Positive. Denn es sei jeden Tag aufwärts gegangen. Die Schwestern und anderen Eltern auf der Frühchen-Station unterstützten sie wie eine große Familie. Und in einer Familie fühlt man mit. Etwa als andere Kinder operiert wurden. Oder einer von zwei Zwillingen starb. „Man weiß, an was für einem dünnen Faden das Leben hängt“, sagt Paul.

Zweimal am Tag Besuch im Krankenhaus

Nach drei Wochen konnte Elisabeth Paul das Krankenhaus verlassen. Zu diesen Zeitpunkt wog ihre Tochter 1000 Gramm. Sie musste noch bleiben. Jeden Tag besuchte Paul sie, mittags alleine und abends mit ihrem Mann Josef. Die Eltern mussten sich in Geduld üben. Denn bis zum ursprünglich geplanten Geburtstermin am 2. Mai musste ihre Tochter in der Klinik bleiben.

Vom Inkubator kam Stefanie Furtner in ein Wärmebett. Am 21. April durfte sie das erst mal in einem normalen Baby-Bett schlafen. Die Schwerster haben ihren Puls beobachtet, berichtet ihre Mutter. Bei Frühchen komme es zu Pulsabfällen. Dagegen helfen Medikamente. Vor der Entlassung werden sie abgesetzt und es dürfe eine Woche nicht zu einem Pulsabfall kommen.

Zweimal sei es zu einem Pulsabfall gekommen. Dann war Stefanie Furtner endlich eine Woche stabil. Am 15. Mai durfte sie nach Hause, mit rund 2300 Gramm. Der Abschied fiel schwer, sagt Paul. Sie und ihr Mann hätten sich an die Klinikmitarbeiter gewöhnt. „Mein Mann hat gesagt: Ist ja schön, dass wir zuhause sind, aber ich vermisse die Schwestern“, erinnert sich die Mutter und lacht.

Für Zuhause bekamen die Pauls einen Monitor. Er war mit Elektroden verbunden, die auf die Brust des Kindes geklebt waren. So konnten sie die Vitalwerte ihrer Tochter überwachen. Es habe jedoch nie ein Problem gegeben. „Stefanie ist eine Kämpferin“, sagt Paul. Das hätten auch die Schwester auf der Station gesagt: Sie habe sich ins Leben gekämpft.

Drei gesunde Kinder

„Ich hatte großes Glück“, sagt Stefanie Furtner. Sie ist 31 Jahre alt, hat eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert und diese mit Staatspreis abgeschlossen. 2016 war sie Miss Herbstfest und traf ihren Ehemann Michael. Gemeinsam haben sie drei Kinder: die vierjährige Sophia, den bald zweijährigen Michael und die kleine Lisa mit dreieinhalb Monaten.

„Ich war bei meinen Schwangerschaften immer froh, wenn die 30. Woche vorbei war“, sagt Furtner. Es sei nicht selbstverständlich, dass ein Frühchen drei gesunde Kinder bekommt. Dafür sei sie dankbar. Über ihre Familie sagt die Mutter: „Jetzt sind wir komplett.“

30 Jahre Perinatalzentrum in der Romed-Klinik Rosenheim

In Deutschland gibt es 166 „Level 1“ Perinatalzentren. In einem Umkreis von 100 Kilometern um Rosenheim nur elf. Davon sind acht Zentren in München. In Traunstein, Landshut und Rosenheim gibt es jeweils eines. 2010 hat sich die Romed-Klinik Rosenheim mit Traunstein zusammengeschlossen – zum Perinatalzentrum Südostbayern. Ein „Level 1“ Zentrum entspricht der höchsten Qualität. „Wir sind weit über der Anforderung“, berichtete Chefarzt Dr. Andreas Schnelzer bei der Jubiläumsfeier. Deshalb überleben in Rosenheim wohl auch 29 von 30 Frühchen.

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